Langeoog

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Nahezu norske inntrykker 29.05.10 bis 2.06.10

Natürlich viel geschwinder um weitere Eindrücke von dieser wunderbaren Insel zu sammeln, geht das Betrachten der äh, wenigen Bilder die ich sorgsam jeden Moment auswählend gespeichert habe: Langeoog-Bilder, eine Auswahl.

Und noch geschwinder: Reisebuchaufzeichnungen — Zusammenfassung


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Dag en

Weckergestütztes Erwachen um 5 Uhr morgens — Ich sitze in Zug-Trance — Niedersachsen, Land: Lüttjes Bäckerei. Uschis Fischladen. Stefans Motorradshop. — Meer! Grünbraungrau. An die Betonkais schwappend — Überfahrt Langeoog, Abundzuland — Gleichung aus der die Autos entfernt wurden — zwei Entenherren watscheln durch unseren Vorgarten — wir erreichen über Hagebuttendünenmeere schließlich den Strand. Und den dahinter liegenden Strand. Und den Strand der hinter diesem liegt.

Anreise. Weckergestütztes Erwachen um 5 Uhr morgens. Frühstmorgens aufzustehen ist etwas das ich erstaunlich mir selbst beinahe widersprüchlicherweise mag. Die Welt ist neu. Es wird ein Tag voll Sonne werden, man weiß es bereits, bevor die Vögel merken dass es hell geworden ist. Über den Bäumen im Hinterhof heller, silbriggolden beleuchteter, weißer Dunst. Auf dem Weg zur Straßenbahn zieht man den Koffer in Richtung einer Sonne die nur scheint, aber noch nicht wärmt.

Stunden später ist nichts mehr in mir wach. Es ist nur noch Zug fahren. Der Himmel wurde grau. Mr. Pynchon in dem ich gerade lese verwendet im laufe der 900 Seiten einmal den Begriff Stadt-Trance aus der die gerade beschriebene Figur, durch eine Stadt wandernd, erwacht, sich dann erst orientieren und verorten muss wo sie sich nun befindet. Ich sitze in Zug-Trance. Doch noch wenige Stunden mehr, sechs oder so, was ist schon Zeit, und wir werden am Meer sein, kurz vor der Überfahrt. Im Mikroklima. Wetter wie alles.

Wir nähern uns dem nördlichen Niedersachsen und alles wird rote Ziegelsteinbebauung, heglich gepflegte Gärten und Höfe, Kuhweiden mit weiß-schwarz gefleckten Rindern wie eine Erinnerung an die Azoren. Als würde jede Urlaubsreise einen Teil der letzten wiederspiegeln. Windräder die das flache Land durchsprenkeln, Wäldchen, Bäche, Schlösschen, alles in Backstein, Pferdekoppeln und der Blick aus dem Fenster bleibt an einem plump und mühevoll sich über eine Hecke schwingenden Vogel länglich-bauchiger Bauart hängen. Ein Rebhuhn? Ein Fasan! In den Kurtouristenstädtchen faszinieren unzählige Geschäfte, ein jedes eine Kombination aus Vorname plus Tätigkeitsbeschreibung. Lüttjes Bäckerei. Uschis Fischladen. Stefans Motorradshop. Ein jedes in mit Ziegelei umgebener Schaufensterfront, visuell in das Wohnhäuserensemble eingepaßt. Im Zug irgendwo zwischen Emden und Norden. Drei ältere Nordniedersachsen die in einem fort schnattern und snakken. Keine Frau käme jemals dazwischen zu Wort. Audielle Einstimmung, wie wir es auf Langeoog selbst vermutlich nicht mehr hören werden.

Überfahrt. Anleger Bensersiel. Gepäck zur Verstauung in einen der bereitstehenden, eckigen, divers bunt beplanten Kofferwagen, die auf die Fähre und dann auf die Inselbahn verladen werden, aufgegeben. Noch eine halbe Stunde bis Abfahrt der Fähre. Meer. Meinethalben nur ödes, eine alte, aber nicht so alt dass sie pitoresk zu nennen wäre, Hafenanlage weiter betristendes, umgebendes Meer. Aber Meer! Grünbraungrau. An die Betonkais schwappend. Und darüber. Freund Möwe.

Auf der Fähre ergattern wir einen Platz oben ganz ganz vorne, der sich bei Abfahrt und einer Wendung als Platz ganz ganz hinten herausstellt. Und so sehen wir dem Festland zu, wie es sich entfernt. Die Sonne nur ein leicht zu erahnender Schemen, der kaum auf dem Wasser glitzert. Einzelne Möwen fliegen lange auf einen zu, der Fähre hinterher, bis sie irgendwann entnervt vom sich immerzu entfernenden Ziel abdrehen. Auf dieser kleinen Fähre auf einem kleinen Teil des endlichen aber riesigen Ozeans. Tatsächlich war ich bis jetzt nur einmal vorher auf einem Schiff auf dem Meer, und damals war es nur das abgeschirmte Mittelmeer. Sich jetzt wie ein Korken auf dieser riesigen Wasseroberfläche zu befinden mutet seltsam kitzelig an. Der Blick ins Wasser und die Vorstellung wieviel es davon gibt, wie weit es die Erde umspannt. Kilometertief.
Auf der Fähre eine Mischung aus Alt und Jung und Kleinkindern, die an der Reeling geklammert und von Eltern zusätzlich befestigt, stehen und glotzen. So wie ich.

Die Fähre spuckt uns aus, und in die bereit stehende Langeoog Inselbahn, ein jeder Wagen in anderer Kinderfarbe bunt, bezaubernd auf alt gemacht oder noch immer alt. Und weiter gehts über die Wiesen, begleitet von Heerscharen an Fahrradfahrern, die über die Insel fleuchen wie Ameisen. Weitere Kühe und vor allem: alles liegt in Sonne. Richtiger Sonne!

Am Bahnhof Langeoog bedient sich ein jeder aus den Gepäckwagen und sucht sich was schönes raus. Und los wird gerollert, im zickzack Richtung Ferienwohnung, durch die rote Ziegelei, zahllose Gärten mit Hagebutten eingefasst, am Geruch erkannt, begleitet vom Hufgeklapper der Pferdekutschen, durch dieses unwirklich wirkende Städtchen. Einer Gleichung aus der die Autos entfernt wurden. Wie eine Model-Siedlung zu Vorführzwecken, oder wie in einer der unendlich vielen Parallelwelten zu unserer Welt. Und während ich schreibe klackern sie weiter, die Hufe, im Wechsel mit dem Surren eines Elektromüllwagens.

Wir finden die Ferienwohnung, die Tür steht offen, wir gehen hinein. So natürlich der Sachverhalt, so klar was zu tun, als wäre es von Helge beschrieben. Die Wohnung ist fein und sehr klein. Auf der Terasse ein eigener Strandkorb. Und während wir in jeden zur Verfügung stehenden Winkel Gepäckstücke stopfen, watscheln zwei Entenherren durch unseren Vorgarten. Dreist!

Vor allem an der Terassentür stehend, wird mir immer wieder wie ein kurzer Hauch auffallen, dass die Luft hier ohne Autoausgüsse und -abgase ist. Einbildung oder Wirklichkeit, sie wirkt unglaublich naturrein. Porentief. Wie frisch aus einer Waschmaschine.

Wir wenden uns nach Norden, durch mit Hagebutten und anderem Gesträuch bepflanzte Hügel, die ich ab jetzt bitte Dünen nennen soll. An einem Informationsanschlag informieren wir uns über das kulturelle Angebot. Vielleicht durch ein Akkordeon begleitet Seelieder in den Dünen zur Abenddämmerung singen? Wir wollen es uns noch überlegen. Immerhin fände das abends statt und nicht wie die Vogelbeobachtungstour im frühsten Morgen.

Wir verlassen die Anschlagtafeln und erreichen über weitere Hagebuttendünenmeere schließlich den Strand. Und den dahinter liegenden Strand. Und den Strand der hinter diesem liegt. Ebbebedingt gibt es eindeutig mehr Strand als gewöhnlich. Der Sand erst feinstkörnig fließend, wandelt sich je mehr man sich dem Wasser nähert in immer anders festgewordene Muster, Wellen, Kräusel, Klumpenbildungen. Je nachdem wie sich das Wasser beim letzten Mal zurückgezogen hat. Muscheln über Muscheln, Möwen. Quallen. Wir laufen noch am Wasser entlang. Als wir Richtung Land zurückwollen, bemerken wir, dass sich zwischen uns und dem Land ein Fluß, nicht tief aber garstig kalt, gebildet hat. Helden die wir sind geraten wir nicht in Panik, zucken lediglich angewiedert ob der zu erwartenden Kaltflüssigkeit die Schultern und begeben uns an eine Furt die wir in der Ferne erspähen. Nach Überfurtung fühlt sich der Sand an den Füßen eigenartig organisch-schaumig an. Bah. Wir quetschen weiter bis wir an den grashalmig bepflanzten Dünen eine Bank zum Fußentsanden erreichen. Die Sonne scheint noch immer. Ein unförmiger huhnartiger Vogel kullert aus der Dünenbepflanzung und marschiert den Holzsteg entlang. Ein Fasan!

Nachhauseweg über Dorfzentrum offenbart weitere Fasane in der Dünung, die Tischtennishalle, dort leider Kindergeburtstag und hochgeklappte Tischtennistische, viele Restaurants, Pizzerien, einen Supermarkt. Kaufen ein, speisen Cholesterinkäsepizza, gehen nach Hause. Trinken Eierlikör. Schlafen.


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Dag to

Wir müssen eilend los — der Touristeninformationstresen wird von unserer Regennässe benetzt — pinkrosarote Gummistiefel — wir schlurfen modrig zurück in die Ferienwohnung — mit Gummistiefeln an den Strand und Sonne — Selbstauslöserfotografie aktiviert die Selbstzerstörung meiner Kamera — Rettung durch Ingenieursbeflissenheit — der Regen nimmt zu — der erste Moment im Gummistiefel, ich bin Ostfriesin — Regenschirme aus Regensburg — Betrachtungen über das Lebensgefühl in Gummistiefeln — Identifikationsschock — Fasan pikiert — das Verteilen regennasser Gegenstände in kleiner Ferienwohnung — Unterschlupf, Tee und Plätzchen — Bereit für neue Taten, Spaziergang ans Meer — Farben, leuchtend farblos — Fluß Priel und Landeier in Lebensgefahr, Rettung durch Beobachtung — Fasan flüchtet unter einen Marquibusch

Vormittag. Es hat geregnet, und nun steigt langsam die Sonne durch. Frisches Wetter, tiefgraublauer Himmel. Vögel zwitschern. Wir müssen eilend los. Zum Rathaus. Viel steht auf dem Spiel: der restliche Tag, unser Wohlergehen, ob wir morgen wandern und verschellen oder auch wiederkehren werden. Der Erwerb von Gummistiefeln. Alles! Und vor allem: Tickets für das Watt. Das Insel-Informationszentrum schließt sonntags um 12 Uhr und wir benötigen eine detaillierte Inselkarte für die nächsttägig geplante Wanderung ans Ostende.

Sonntag, früher Abend. Regen. Regen. Regen. Der Weg zur Touristeninformation im Rathaus, die es vor 12 Uhr zu erreichen galt war Regen. Mit einem Schirm für 2 Personen. Dauerregen. Nasser Regen. Wirklich nass. Und Pfützen. Pfützenmeere wie sie die Welt noch nicht gesehen. Wir erreichen die Touristeninformation 5 Minuten vor 12 und überschwemmen den Tresen mit Wasserpfützen die vom Jackenärmel abfallen. Werden mit detaillierterer Karte von Langeoog und Ticket für die Wattwanderung Dienstag morgen ausgestattet. Bei Verlassen des Rathauses hat der Regen aufgehört. Mission unter widrigsten Bedingungen erfüllt. Station 2, Drogerie. Regenschirmkauf. Station 3, Gummistiefel.
Welche zu finden ist etwas schwerer als gedacht, und ich muss darauf verzichten leuchtend gelbe Gummistiefel zu erwerben. Doch auch der Kauf pinkrosaroter Stiefel mit Blümchen bleibt mir erspart. Es siegt das Modell schlichtes Blau.

Nach all den erfolgreichen Erledigungen schlurfen wir, halb angetrocknet aber noch etwas modrig, zurück in die Ferienwohnung. Die Sonne kommt. Noch schnell was essen. Gummistiefel in einen Rucksack packen. Nie wieder ohne sie. An den Strand. Für eine halbe Stunde scheint die Sonne, lacht das Leben.

Das gestern so ferne Wasser liegt heute näher. Darin treiben zahllose tote Quallen. Sonne macht schläfrig. Ein Strandkorb wird aufgesucht. Dösen. Nach aufregender Selbstauslöserfotografie bei der die Kamera auf dem Sand platziert war, Entsetzen. Der von meinem Davonpreschen auffliegende Sand hat sich auf Objektiv und Gewinde verteilt. Entkrümmele beides, schließe und öffne dazu mehrmals das Objektiv, bis es zerrastet und nicht mehr ausfahren will.

Arrrghhhhh. Gerade noch zwei friedlich an uns durch den Sand vorbeimarschierende Enten fotografiert und nun? Fotourlaub ade. Das kann nicht sein. Mit Herrn Waltes Taschenmesser kratze ich an den ineinander liegenden Ringen zwischen die sich die Sandkristalle eingespreizt haben und versuche sie herauszupulen, dabei immerzu feine Plastikhobel ablösend. Ein weiterer Schritt Richtung Individualität für meine Kamera. Minutenlanges konzentriertes Arbeiten im Strandkorb. Herr Walte entspannt zusehends und genießt die Stille und das Verharren an einem Ort. Urlaub, endlich Urlaub. Immer mal wieder testweise An- und Ausschalten der Kamera, und auf das stoppende Objektivausfahrgeräusch lauschen. Manchmal fährt es fast aus. Meist passiert nichts als ein knisterndes Wimmern. Doch irgendwann, nachdem Sandkristall nach Sandkristall mühselig entfernt wurde, fährt es wieder aus. Der Neukauf einer Kamera am nächsten Tag bleibt mir erspart, ebenso wie eine Wanderung ohne 3. Auge.

In der Zwischenzeit hat es zu Regnen angefangen. Da ich nun Meisterin im Entsanden bin, entsande ich meine Barfüße und ziehe Socken und Gummistiefel über. Wärmendes Wohlgefühl breitet sich aus. Ich bin Ostfriesin!

Der Regen nimmt zu. Ich tue es Herrn Walte gleich und schütze mit aufgelegten Rucksack die Oberschenkel vor dem Durchweichen. Minuten später, als der Regen immer mehr vom Wind in unseren Strandkorb gejagt wird, greife ich ingenieursbeflissen zum neu erworbenen Schirm, und wir verbarrikadieren uns weiter. Beobachten hinterm Schirm hervorlugend die ungemach kreischenden, den Regen anprangernden Möwen beim durch den Sturm segeln. Es wird entdeckt dass der Schirm aus Regensburg ist. Ein Kreis schließt sich.

Wir gummistiefeln zurück zur Ferienwohnung, hindurch durch die Siedlung Langeoog. Wir verlaufen uns nicht! Nicht im Regen. Die Tischtennishalle wird ein zweites Mal überprüft. Wiederum steht das namensgebende Möbel in unbrauchbaren Zustand an die Wand gedrängt von irgendeinem Sportfest. Ein Weg bergab führt an einer Galerie vorbei, die das mannshohe, monumentale, ergreifende Bild eines Seemanns im entsprechenden Nerz bei Sturm am Strand in die Ferne blickend ausstellt. Genieße das Gefühl in Gummistiefeln zu gehen, dieses in einem Schuh stecken und doch auch nicht, doch freien Fußes zu sein, dieses watende, hatschende Ausschreiten genauer zu ergründen. Es geht sich leicht und federnd. Fußfreiheitlich irgendwie. Irgendwann fällt mir ein, dass die meisten Thriller-Serienmörder auch Gummistiefel tragen und gerate in einen Identifikationsschock.

Queren einen mit Ziegeln bepflasterten breiteren Weg, rechts von uns in 3 m Entfernung stakst pikiert und vielleicht naserümpfend ob seiner triefenden Nassheit ein Fasan. Er wirkt nicht zufrieden.

Zuhause das Verteilen regennasser Gegenstände in kleiner Ferienwohnung. Tee und Plätzchen. Warten auf Regenende. Irgendwann wird es aufgegeben, frustfliehend kann einem nur noch ein kuscheliges Bett Unterschlupf geben.

Nach Nickerchen und Abendessen um Halbacht bin ich bereit zu neuen Taten. Ein windumtoster Spaziergang wird sein wie eine Einstimmung auf das Lesen von der Windgenervtheit der Figuren in Mason und Dixon auf St. Helena, die mir von Herrn Walte schon ausblicksweise angekündigt wurde. Es tost. Windet. Schneidend. Es ist wunderbar.

Der Weg zum Strand führt am Dünenfriedhof entlang, und seine friedliche Abgeschiedenheit lenkt mich. Er ist in geschwungenen Dünenkurven angelegt. Wie eingemuldet, geborgen. Ein kleiner mit Muscheln bekiester Weg führt zum Ehrengrab russischer Kriegsgefangener. Auf den Grabsteinen liest man von Seemännern und Kapitänen.

Durch die Hagebutten Richtung Meer. Farben, leuchtend farblos irgendwie. Wie als würden sich die Farben die definitiv da sind, in der Weite des Himmels, des Meers und im Wind verlieren. Über dem Sand Wüstenwind, der einzelne Sandkörner zerreibend über die Oberfläche treibt. Vereinzelte Strandgänger wie ich. Ebbezustand. Vor dem Meer hat sich bereits wieder der Fluss Priel gebildet. Ich beobachte besorgt zwei Spazierengehende auf der Meerseite, die, soweit das Auge reicht, abgeschnitten sind. Diese unerfahrenen Landeier! Wenn man nicht immerzu nach ihnen sieht! Nach endlosen Minuten erreichen sie eine Sandbrücke und wechseln zurück auf die Inselseite, und ich kann mich wieder meinen eigenen Taten widmen.

Ohren und Hände fallen langsam klirrend ab, doch es ist schwer von den sanftfarbenen blauen und grauen Linien, Himmel, Meer, Fluss, Strand, Holzsteg, Dünenerhebung mit zartgrünem Grasbewuchs, dazwischen die Strandkörbe eingesprenkelt, die im Horizont aufeinandertreffen und sich dort auflösen, genug zu bekommen. Und von den im Sturm wehenden Möwen. Und davon mit Gummistiefeln trockenen Fußes all diese Linien queren zu können.

Auf dem Weg zurück, durch die marquiartig niedrig bewachsenen Dünen, fühlt es sich schon an wie immer hier gelebt zu haben. Wie Zuhause, ein Ort an dem man ewig und immerzu spazieren könnte. Die Insel fürs Leben. Hmmm.

Ein Fasan flüchtet unter einen Marquibusch.


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Dag tre

In Erledigungen vertändelter Vormittag — Wasserturm und Grill-König-Idylle — Riesenmöwe erhebt sich unter Schmausballast — Langwanderung ans lange Ende der Insel — Wuschelkühe am Wegesrand — der gerade Weg dehnt Zeit und Geist — Fernglas zerstört Seehundbeobachtungsillusion — pieksender Reisigweg ins Paradies — Muschelschuttstrecken — witterungsbedingter Kopfumwickelungszwang — Reich der Möwen — Abweg ins grüne Hügelland — platten Fußes ins Hobbitdorf

Abend. Erschöpfung vollständig, in Kaputtheit übergegangen, von dort keine Wiederkehr. Vormittäglicher Spaziergang durch Langeoog-Ort, vorbei an zahllosen Fahrrad-, sowie Angelverleihnixen.

Wasserturmbesichtigung und freudvolle Entspannung beim gemütsruhendem Warten in der Schlange, schmucke Bebilderung mit alten Langeoog-Ansichten und originärem Wasserturmbesichtigungswart. Pommes speisen in gegenüber dem Supermarkt eingezwängtem Freisitz des Grill König. Auf dem Nachhauseweg sitzt in einem Garten eine der Riesenmöwen, eine komplette und noch halb verpackte Fischsemmel im mächtigen Schnabel. Ächzend erhebt sie sich und fliegt an uns vorbei über die Straße, sich mit dem leckeren Schmausballast mühsam über ein Dach schwingend. Momente der reinen zivilisationsfernen Naturbeobachtung die einen kurz bedächtig inne halten lassen. Zuhause wird auf der Straße ein bald in den Nachbargarten überwechselnder Kampf zwischen 2 Erpeln und einer leidtragenden Entendame, die mehrmals unter den Duellanten begraben wird, beobachtet.

Die Losung des Tages lautet, auf ans lange Ende der Insel, zu den Seehundbänken! Nach dem Mittagessen geht es los, bei leuchtender Sonne. Geschätzte 19 km hin und zurück, zahllose Schlaufen auf und zwischen Dünen, über Muschelgeröllhalden nicht mitgerechnet. Keine Landwanderung, eine Langwanderung. Der Weg hin schnurgerade, rechts Salzwiesen, leuchtend hellgrüne Beschilfung und Grasbehalmung. Irgendwo zwischen Entspannung durch Eintönigkeit. Kurz vor Geistzermürbung wachsen hellbraune Flecken in der Ferne zu kuhgroßen Wuscheln an. Immer mal wieder ein Vogel im Gras sitzend zu sehen, immer zu hören und manchmal in Schwärmen oder einzeln darüber fliegend. Links die Dünenhügel mit azorenähnlicher Marquibestrüppung. Und auf dem Weg wir und viele Radfahrer und Kutschende, die die Weglänge nicht so maßlos unterschätzten wie wir. In beständigem Zug an uns Gehenden vorbei. Die Herren Pilger sollten uns sehen. Sie sollten nun unseren Geist fühlen, da eine kleine Schar Gedanken bei ihnen weilen. Wanderer für einen Tag auch wir.

Irgendwann kommt die Meierei, und nur ein winziges bisschen später – haha – sind wir wieder am Meer, das die ganze Zeit nur fern hörbar war. Der Weg zur Seehundbeobachtungsstation ist endlich Abwechslung, alles frisch, neues Erleben. Nur die Seehundkolonie entpuppt sich bei Blick durchs montierte Fernglas als Vogelkolonie. Illusion, zerstört.

Über die Dünenheide führt ein mit pieksendem Reisig bestreuter Weg Richtung Strand. Meine Barfüße jaulen und quietschen hie und da vergnügt. Und dann das Meer und eine endlose mit vereinzelten Grashalmen bewachsene Dünen-Hügellandschaft, wie ein Paradies. Kuhlen uns auf einer windabgelegenen Dünenseite zu stärkendem Keksverzerr vor dem anstehendem Marsch zurück ans kurze Ende der Insel.

Ab da zurück am Strand. Strand der so breit ist, dass er Wüste genannt werden sollte. Das Meer immer noch weit weg, aber zu hören und zu sehen, und so bizarr wie Wüstenformationen ist der Boden über den wir uns inzwischen in einer Art fortbewegen, die man wohl als schleppen bezeichnen muss. Formschöne Wellen, festgefroren, dann wieder dunklerer Sand mit einer Vielzahl kleiner Stacheln aus Sand, und Muschelschuttstrecken. Sonne brennend, und endlos der Wind, schneidend kalt, andauernder, pfeifender, ohrensausender, genickverspannender Wind. Mit Kapuze und/oder Schal umwickelt trotzen wir gleich Wüstenwanderern den Naturgewalten, dem nervenzerrenden Wind und der gnadenlosen Sonne. Die Erinnerung zeigt mediale Bilder der Wüstenvolkbekleidung und erkennt nun den natürlichen Sinn darin, und die Erkenntnis stolpert austrocknend weiter. Schritt um einsinkenden Schritt. Ein Erlebnis! Endlos über unzählige Muscheln hinweg, die knackend etwas festeren Tritt bieten. Soweit das Auge in die Ferne reicht, hie und da ein kurzer Schwung muschelfreie Zone, eine aufgeworfene Sanddüne. Und in dieser fremden Welt immer mal wieder eine kleine Möwengruppe, abwartend, den Strand bewachend, sitzend, und abschätzend beäugend, und am Ende doch kreischend aufwirbelnd. Das ist ihr Reich. Ihr Strandabschnitt. Wir sind hier die Fremdgänger. Verloren.

Ein, zwei Stunden später ist auch der abwechslungsreichste und breiteste Strand für den Geist wüst und leer. Glücklich biegen wir ab, als endlich ein Pfad vom Strand wegführt, und finden uns in Hügel-, respektive grün überwucherter Dünenlandschaft wieder, die das Auge begierig aufsaugt. Bis auch sie Wüste wird … kurze Rasten und Beobachtung von Seeschwalbenkunsstücken beleben. Kurze Erfreuung durch Fasane die sich im Dickicht tarnen. Doch der Weg ist immer noch weit. Und der Tag neigt sich dem Ende zu. Irgendwann eine letzte Anhöhe zu bezwingen, die Seenotbeobachtungsstation, und bergab platten und geschundenen Fußes, zurück ins Hobbitdorf. Und tags darauf an einem Wegschild vorbeispazieren dass die wahre Distanz dieses Tagesausflugs schockierend offenbart.

Glücklich malen wir uns aus, wie es morgen sein mag, zu einer dreistündigen Wattwanderung frühmorgens aufzubrechen.


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Dag fire

Immerzu hell — die Sonne ist heiter, die Waden verschmerzt — Wattruf — es war die Lerche, nicht die Möwe — durch die Salzwiesen ans Watt — staaks, schluuuarz, ziehsaugquetsch, Staaks, nächstes Bein, staaks, schluuuarz, ziehsaugquetsch, staaks — fischig und schlickschwefelig, Lehrstunden im Watt — Herzmuscheln werden von Aliens entführt — zerschmelzender Salzwiesenhase — re-Strandspaziergang — Entdeckung eines Buddellochs — alter Mann glücklich wie gemeißelt im Strandkorb seines Gartens verweigert Tee und Hausschuhe

Dienstag, 8 min vor 8 Uhr.

Geschlafen. Und geschlafen und geschlafen. Um Halbelfnachts wach geworden und es war noch hell. Wieder eingschlafen, wieder wach geworden, Entsetzen, das Watt verschlafen, kein Wecker klingeln. Uhr geprüft, 5 Uhr. Hell, schon wieder hell. Der Norden im Sommer. Die Sonne ist heiter, die Waden verschmerzt, dafür schmerzt der sonnenstichige Kopf nicht mehr. Die Tauben gurren als wären sie Waldkauze wie sie es immer tun. Das Watt ruft. Die Gummistiefel warten.

Und wir warten auf den Beginn der Wattführung. Nachdem wir unter schmerzlichem Wiedererleben des vorhergehenden Tages einen Teil des erst gestern gerade begangenen Weges, links die Dünenhügel, rechts die Salzwiesen, geradeaus der Weg bis zum Horizont, bis zum Startpunkt der Wattwanderung zurückgelegt haben, sitzen wir nun an der Wegkreuzung, und sehen zu wie immer mehr Menschen heranströmen, und ihr Schuhwerk erwartungsfroh, ritisch, gegen Gummistiefel tauschen.

Dienstag, abend 10 vor 21 Uhr

Das Watt war herrlich schlickig. Die Wattführung ein Happening. Zusammen mit Klasse 3b, deren einzelne Bestandteile von Wattführer Uwe Garrels liebevoll in seine Gezeitenpantomime einbezogen und auf den Hinterkopf geknufft, gezaust oder anderweitig animiert werden, durchstreifen wir Salzwiesen und Watt, viele Barfuß wie für das seelische Gleichgewicht vom Wattführer empfohlen, und lernen …

… was Plankton ist, dass Dünen durch den Wind entstehen und deswegen sich hoch über das Wasser auftürmen können, beginnende Ebbe höheren Wasserstand haben kann als endende Flut. Nur die Wörter Niedrig- und Hochwasser für deren jeweilige Endpunkte stehen. Wie sich diverse Muscheln ernähren und fortbewegen, unbeschränkt durch die Möglichkeiten menschlicher Anatomie vom Wattführer einprägsam vorgeführt, ebenso wie das glücklichste Lebewesen der Welt, die Wattschnecke, die, den Mund am Fuß, im Gehen Fressen kann.

Wir kennen nun die Tricks der in den Salzwiesen wachsenden Pflanzen zur Entsalzung, Strandflieder, Strandgrasnelke, Salzmelde, und das Gluckern das im Gras an- und abfließenden Wassers wird unsere Seele begleiten. Haben eine Lerche im Schwebe-Verharr-Flug gesehen, das Verhalten der Salzwiesenbrüter um von ihrer Brut abzulenken erklärt bekommen, und deren Nester am Wegesrand gesehen. Können nun Herings- und Silbermöwen auseinanderhalten. In den Salzwiesen ein würziger, beinahe stinkiger Geruch. Im Watt ein fischiger, schlickschwefeliger Gestank. Untermalt von gluckernden, sickernden und schlurchzenden Geräuschen, sobald man eine beliebige Extremität wieder aus dem Schlick herauszieht, und dabei nochmehr Wattgeruchsmoleküle freigibt. Begutachteten diverse Würmer und mit Saugschlauch versehene Muscheln. Haben Herzmuscheln mit rechenden Händen gesammelt und sie dann in mittelhohem Bogen wieder in das wadenhohe Wasser geworfen. Nach einigen Minuten erholen sie sich von ihrer Beduseltheit aufgrund plötzlicher Gefangennahme und Flug über den Boden und beginnen sich einzugraben. Quetscht man eine sich eingrabende Muschel zusammen, so kann man ihren schneckweißlichtransparenten Grabfuß bewundern. Auch von diesem weiteren Trauma wird sich Herzmuschel sicher erholen oder es als Erinnerung durch ihr weiteres Leben ziehen. Sehen Wattwurmausscheidungen live aus dem Nichts entstehen. Und wissen nun: im Watt überlebt man am besten indem man so aussieht als wäre man nicht da.

Nicht nur dass man sich am Norddialekt satt hören konnte und am Nordhumor. Nein das Watt sehen und dabei von jemanden geleitet werden, der nach quirrligem Verhalten und Aussehen dem Film Life of Brian entsprungen scheint, mit einem Käscher bewaffnet wie ein Irrer im flutenden Watt herumjagt um Garnelen zu sammeln, und immerzu von wilder Watt- und Lebensfreude sprüht, wird sich auf immer in mein visuelles Gedächntnis eingebrannt haben. Daneben verblassen beinahe alle Eindrücke von Wind, Sonne, Regen, Meer, Kurtourismus, Dünen, Quallen, Federvieh und Hagebuttenduft.

Nach 3 fußfrierenden, windigen, doch sonnenumscheinten Stunden im Watt stapfen wir zurück auf die Salzwiesen, wo sich die seelengeheilten Barfüßler in mehreren verbundenen größeren Wasserlachen, in deren einer ein langsam verwesender, zerschmelzender Salzwiesenhase liegt, das Watt von den Beinen waschen.

Wieder zu Hause, weiter verrötet. Herr Walte matt bis matsch, mich zieht es zum Strand, dahin wo mir gestern das ein oder andere Bild verwehrt blieb. Doch der Weg in dieses unberührte Paradies ist weit, in Schlangenlinien mal an der Brandung mal im feinen Dünensand Abwechslung suchend, laufe ich soweit gen Ostende, bis Möwen, zartgrünes Dünengras und Muschelhalden wieder mein sind. Zumindest deren Ausläufer.

Im anbrandendenden die Füße umspülenden Wasser zu laufen ist dabei belebender Fußwiederheilbrunnen und glucksender Spaß, doch brechend kalt und immerzu in Sorge auf einer Ohrenqualle glibbrig auszugleiten. Und immerzu wärmende Sonne, und immerzu dieser Blick in die Ferne, sandfarben in hellgrün in himmelblau in Meerwasser. Alles in der Ferne in einem Punkt zusammenlaufend, von kreischend vorbeigleitenden Möwen durchsetzt. Und der Blick in den Sand, der –Schatzkiste Natur — durch die Vielfalt der Muscheln, die verwirrende Anballung von Herzseeigelhüllen und das ein oder andere krabbelnde Sandwesen fasziniert.

Schwer macht es einem das Herz den Moment des Umkehrens, Zurücklaufens, zu bestimmen, Umkehr aus der Unberührtheit. Doch wird es durch die Entdeckung eines monihohen Buddeln-bis-das-Wasser-kommt-Lochs in Dünennähe belohnt.

Nach dem Strandspaziergang ein letzter täglicher Weg gen Supermarkt, durch Langeoog Ort. Die nun bekannten Schleichgassen und Wege an Zweiradverleihen und Bäckereien vorbei. Vorbei an den Gärten der Langeooger, den Rasensprengern. Szenen eines Gartens. Ein altes Ehepaar. Er im Strandkorb im Garten, sie im Hintergrund nahe eines Gartenschuppens. Er zankt ihr, glücklich und wie festgemeißelt in seinem Korb sitzend irgendwas entgegen, was sie denn da suche. Man erledigt dies und jenes und kommt auf dem Rückweg wieder dort vorbei. Sie steht vor ihm, die Hausschuhe bereithaltend und vor ihm schwenkend. Komm schon! Wir trinken eine schöne Tasse Tee. Dann fühlst du dich wie neu. Steh endlich auf! Ich helf Dir auch hoch. Noch dreimal gehe ich an diesem Garten vorbei, immer darauf gefasst dass der Opa da immer noch sitzt. Doch er tut es nicht.

Ungewöhnlich ist es, dieses Örtchen. Halb für Touristen, halb durchdrungen von Einheimischen mit Gärten und Alltagsleben, in das man direkt hineinblickt, durch das man direkt hindurchgeht.

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Dag fem

Ein letztes Eis, ein letzter Inselblick aufs Meer — Fähre, Sonne, Möwenballett — Verwandlung des offenen Meers — eine Nonne wird verführt — Bahnhofsparkplatz, Abgasdiversität — Weg vom Sonnenschein ins Regenland, apokalyptischer Ort des Zusammentreffens — Naturschauspiele, Licht, Farben und Wind

Mittwoch nachmittag, im Zug nonstop nach Leipzig.

Sonne, wieder ein Aufwachen in Sonne. Nach Abgabe des Koffers im Bahnhof spazieren wir Richtung Innenort, speisen ein Eis, und ich darf noch einmal aufs Meer blicken. Der Weg vom Wasserturm durch die Dünen voller Menschen im Urlaub die um uns her wuseln, die wir aufbrechen müssen.

Fährübersetzung. Bei der Abfahrt wirbeln Möwen unter uns über dem Wasser wie in einem Ballett und unter ihnen kreist ihr Schatten auf der Wasseroberfläche, als würden wir über ihnen fliegen. Dort wo hinzu alles Meer war, und einem dieses Gefühl des Winzigkleinen auf etwas sehr Großen gab, ist nun beiderseits verlandendes Watt. Die Landschaft birgt eine Veränderungsleidenschaft in sich die immer wieder von neuem unerwartet ist.

Steigen von der Fähre herunter und nehmen aus den bereitstehenden bunten Gepäckcontainern unsere Bagage vom fröhlich gestimmten Bagagenverteiler entgegen. Im Gefühl eine traditionelle Seereise aus alten Tagen verlebt zu haben. An der Bushaltestelle bietet eine Frau 3 methusalemischen Nonnen Schokolade an. Eine Nonne flötet in hohem Gesang zurück: oh, Sie verführen mich.

Noch 2 Stunden warten in Norden, bis der Zug Richtung Leipzig uns mitnehmen wird. Im Burger King-Outdoorbereich neben dem Bahnhofsparkplatz pausieren wir im Sonnenschein und atmen tief die dort vielfältig vorhandenen Abgase ein.

Zugheimfahrt. Zurück mitten durch die gefleckten Kuhweiden hindurch, durch die roten Ziegelfeinhäuschen. An Bremen mit der hübschen Aussicht auf die Wasserrinne die ins Meer führen wird und den Hafen beherbergt vorbei … und vom Sonnenschein ins momentane Regenland. Eine Reise die eine Metamorphose beherbergen muss. Und doch ist der Moment in dem man beides in einem Blick hat, unerwartet und verblüffend. Der Blick geht links aus dem Fenster, man sieht bis in die Weite Wiesen und Weiden und Windräder. In Grün, anderem Grün und Weiß. Und man merkt: der Himmel ist mit einem Mal dräuend dunkelgraublau. Nicht unschön. So ein sattes, regenreifes, beinahe platzendes Blau. Doch von hinten da scheint noch die Sonne in hellgleißendem Weißgelb und taucht alles in diese Art magisches Licht, die ewige Narren und Besserwisser gerne digitaler Bildbearbeitung zuschreiben, das es aber ganz real auf dieser Welt gibt. Und die ganze ins Dunkel getauchte Landschaft leuchtet wie von innen aus sich heraus, das dunkle Grün und das dunkle Blau. Und in dem Übergang vom weißgelben Leuchtelicht in die randscharf abgegrenzte Dunkelwolkendecke, der Übergang der das ganze Zugfenster einnimmt, da stehen sie. Dutzende Windmühlen der Neuzeit. In Weiß. Stehen da und werden beleuchtet in diesem magischen Licht, als wäre es das Ende der Welt. Als wären sie die letzten die noch die Stellung halten.

Momentaufnahme 2, Magdeburg. Rechts die Dunkelheit, von links gleißt in gelborange die untergehende Sonne und taucht die gesamte Häuserfront, Block um Block, zur rechten Seite, die ganze Bahnlinie entlang in ein irres mauergelbes Leuchten, als würde man in Photoshop die Sättigung viel zu sehr aufdrehen. Und der Himmel darüber dunkelblau, auch hier wie das Bild eines Surrealisten. 2 km Mauer, 5 Stockwerke hoch, einzeln getrennt, einzeln stehende Häuser die aber durch das Licht verbunden sind, ihre Eigenständigkeit spielt da aus Zugsicht keine Rolle.

Minuten später bildet sich die nächste Momentaufnahme. Der intensivstglutröteste Sonnenuntergang den ich bisher gesehen. An sich finde ich alle diese roten Sonnenuntergänge eher kitschig als schön, wie sie sich so über den ganzen Himmel verteilen, vielleicht noch um ein paar vereinzelte rosa Wolkenschleier verpuffen. Bah. Aber der hier ist sehr konzentriert, sitzt eher wie ein Puddinghaufen am Horizont und sieht faszinierend und friedlich aus, in sich ruhend, mit dem orangen Eidotter von Sonne in der Mitte. Und umgeben von unten dunkelgrüner Weide, und rundum oben blauem Himmel schön aufgeräumt. Und nun verschwindet er in der Ferne unterm Horizont und nimmt sein rotes Glühen mit. Die letzte Sonne für Tage?

Da die Sonne nun untergegangen ist, schleicht sich die Müdigkeit heran. Aus dem Dunkeln. Und der Rest der Zugfahrt wird mit wirbelnden Gedanken verdöst. Dunkles Grün aus weiten Wiesen und Bäumen, und ein nachtbildender Gewitterhimmel, dieses Blau das nur entsteht wenn die Ankündigung eines Gewitters mit der Sicherheit der Nacht übereintrifft. Ein das tiefe Innen erhebender wunderbarer Anblick. Er lehrt dass das Staunen über die Natur immer um uns und in uns geborgen liegt. Es zeigt dass die Natur überall das Erstaunen um uns legen kann. Beeindrucken kann. Das Angesicht des normal Gewohnten und Wirklichen verlieren kann, bis man sich mit ihr in ihrer unwirklichen Schönheit verliert, und nur schwerfällig, benebelt und verblüfft aus dem Innehalten heraustauchend sich selbst wieder findet.

Ergebnisse menschlichen Schaffens — Häuserzeilen, Befeldung — werden einverleibt, zu eigen gemacht, vereinahmt. Bis man sie nicht mehr als etwas Unnatürliches erkennt. Weil sie in dieses Naturschauspiel verschmelzen. Umtost vom Wind, dem Orchester der Natur. Immerzu Wind.