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Bemustert ::: Rue Royal, Remedies Ahead; Sinnbus Records

opulent verträumte schönheit für tage an denen die welt wie honig fließt

Ein Lied. Eine Einladung. Band- und Albumname strahlen in ihrer Verbindung gediegene Verträumtheit aus. Das Lied hat in seiner Art etwas von einem Abenteuergang in wilder Natur, jede Stelle ein kleines Universum für sich. Der ganze Hintergrund so vielschichtig und abwechslungsreich mit Klängen angereichert und durchsetzt, alles so leichthin ineinander verschwebend, dass meine leichte Elektrophobie mühelos von meiner Neugier überwunden wird. Set Out To Discover.

Set Out To Discover auf Soundcloud

Alike Mumford and Sons, Azure Ray, Last Unicorn, Therese Aune, Talking to Turtles, Janove Ottesen, das Unterwasserweltgefühl der Shins

01 Changed My Grip zweifacher Gesang wie ein samtweiches Band, dazwischen werkelt, klopft, klackert, drumst und klavierklirrt es in ruhevoller Inszenierung, schlägt dabei aufs Herz und tänzelt froh auf dem Gemüt. Behangen behäbig gemütlicher Sommertag. Die Zeit fließt träge wie Honig. Wohlgefühl das aus dem herben Geräusch einer Gitarre, dumpfen Bassschlägen und dem süßen Klang von Stimmen entsteht. Unscheinbar elektronisch akzentuiert   02 Set Out To Discover schlichter Beginn, durch die Weite streifende Stimmen, und dann (dieser traumhafte Drive) setzen die Stimmen und Instrumente ein, nehmen Fahrt auf, wie das endlose Luftanhalten am höchsten Punkt einer Achterbahn, zum Ausstrecken und Augen schließen schön legen sich einzelne hohe Pfeiftöne und sachtes Quietschen wie sanftes Schlingen oder Vogelgezwirr ums Gehör   03 Tiny Parcels verzückendes Elfenland, verspielt, Zauberhand, einzelne Geräusche sprießen wie exotische Pflanzen aus dem Boden. Es stellt sich etwas aus der Erinnerung ein. Proust stellt fest, dass ein Leser durch jedes Buch wie in einem Spiegel in sich selbst liest. Musik lotet gleichfalls das Innere aus, und fördert wenn auch nicht immer eine Erkenntnis dann doch oft eine Erinnerung an die Oberfläche. Die Vergangenheit glimmt auf, das kindheitsbegeisterte Gefühl am Anleger Bensersiel in Wartestellung die Titelmelodie von The Last Unicorn zu hören. Es wird unter anderem an der Stimmverwandtheit des Sängers festgemacht. Ein überaus schöner und beruhigender Klang   04 Pull Me Like A String die Gitarre zeichnet einen weiten Hintergrund auf, die Stimme des Sängers erzählt, leicht brüchig, dann fliegen beide Stimmen umeinander, Plattensprung, hell übereinander abgerissene Silbenklänge, es endet, ein sehr zufriedenes Gefühl hinterlassend, auf immer weiter auseinandergebreiteten sachte rumsenden und krachenden Geräuschen   05 Dark Cloud Canopies leise, Melancholie verschlungene Melodie, wie ein Spaziergang im Herbst am Fluß, einer Wiese, durch einen Wald, wenn man in dieser Stimmung ist   06 Almost Ghostly zeigt solides Americanahandwerk, die Drums klingen hin und wieder vereinzelt wie die zufälligen Geräusche aus einer Küche in der gerade Töpfe bereitgestellt oder beiseitegeräumt werden und bereiten so eine gemütliche Zuhauseatmosphäre. Gut wenn man in seiner Küche Gäste mit der passenden Stimmgabe dafür sitzen hat   07 Carving Up Islands erinnert ein My an Ottesen. Dahinplätschernde Gitarre, langsam doch ausladend geschwungene Gesangbögen, nichts weiter   08 Shouldn’t Have Closed My Eyes hier passiert was, einiges, aufgewühlt, ein Signal zum Aufbruch. Ziehender Gesang. Ein Elektroeffekt wie ein Herzklopfen. Bass Beat. Eine Hymne   09 Settle In, Settle Down Schlummertaste drücken. Ein neues Lied. Nur nochmal kurz. Gezupfte Gitarre, liebliche Frauenstimme, wabernde Musik, Erinnerungen an die kaum je gehörten Azure Ray, die man aber gerade vor zwei Tagen wie neu entdeckt hat, und der Tag geht dahin   10 Try As They Might bewundere vor allem die selbst so schwer zu spielende Weichheit, in diesem Fall der Gitarren, der Stimmen, und noch schöner, diese weichen Töne, vor, nach und während lauter Krachsstellen, vorantreibenden Sound, Beats, im Wechsel mit einem aufschwebenden weit ausholenden Oh-oh-oh, und dazwischen eingesprengselte auf- und abplingernde Klangketten   11 Brought Up Somewhere Else das antizipierte Spazierganggefühl ist verschwunden. Auch die Annahme das Album wie einen Spiegel zu hören verflogen. Hitzendes Pulsieren geschlossener übermüdeter Augenlieder im hellen Vormittag nach übermüdeter Nacht, nervös, flimmernd, die Welt dreht sich, in einem verdrehten Walzertakt, flackern, innerlich aufgewühlt doch Ruhe sehnend, Herzschläge, sich kurz hintereinander weg auftürmende Ah-ah-ahs, das Lied gleitet in das nächste hinein   12 Every Little Step wahntolles Getrommel, ihre Stimme, verhalten, vorangetrieben, wird gebremst werden, still stehen, wieder weiterschweben, immer noch das Gefühl eines aufwachenden Mittags, die Augenlieder flattern weiter, die Trommeln hallen weiter, und der Silbengesang formt ein Wiegenlied, die Hand tastet blind auf die Schlummertaste. Nur noch einmal hören. Dann beginne ich den Tag.

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Neurosis | 2.07.13 | UT Connewitz

Terra Tenebrosa. Ein gellender knochendurchdringender und markgefrierender Schrei trillert aus der Fratzenmaske des Sängers. Das ist der Anfang und der Höhepunkt. Die anderen Mitglieder der Band sind ebenfalls äußerst venedisch und fein anzusehen, haben sich in dunkle Kutten gehüllt und feindurchsichtiges Tuch um ihre Köpfe gehüllt. So ein bisschen wie Tuareg, nur ohne Sehschlitz. Es ist ordentlich laut, gibt ordentlich viel Gitarre, der Sänger deklamiert. Doch zuckelt es, gewollt, sicherlich, mehr oder minder in gleichbleibenden Tempo dahin. Nur ein Lied gibt etwas mehr Schwung, der Schlagzeugvermummte gibt mit einem schnellen Lauf über die Highhats die Geschwindigkeit vor, die anderen Mummenschanzen jagen hinterher.

Neurosis, die Halbgötter sind wieder auf der Bühne, ein Festtag wie vor zwei Jahren. Gewaltig, krachend, laut, melodiös, kann der ganze Sound mit einem Mal so herzerweichend sanft werden, wie die Stimme von Angelo Badalamenti wenn er davon erzählt wie David Lynch bei ihm war, damals, um mit ihm die Titelmelodie für Twin Peaks zu erschaffen, und das Herz möchte einem übergehen vor süßem Glücksgefühl. Der Tastenknecht haut wieder mit Inbrunst auf seine Werkbänke ein, die wankend übereinander mit einem Eisengestell verschraubt sind. Etwa nach dem dritten Lied muss er einen Schraubenzieher zücken, um seine Boards schreiten und, von einer kleinen Minileuchte irgendwo an seinem Kopf erhellt, das Gestell wieder fachmännisch festzurren. Auch dies ein herzergreifender Augenblick, in einem Konzert, dass diesmal zwar ohne Zugabe, und ohne Dreimanntrommelkunst auskommen muss, aber trotzdem kein Sehnen offen lässt.

Und nur für den Fall, man wäre an diesem Abend unsäglich, keinesfalls botmäßig, zutiefst bedauerlich jenseits menschlicher Vorstellungskraft zu erschlagen, himmelschreiend müde, unbrauchbar matt gewesen, um das Konzert gebührlich auszukosten, könnte man sich sicherlich folgenden Konzert-Proshot aus Paris zum Nachträumen genieserisch in den Gehörgang drehen. Ja, dies wäre durchaus zu empfehlen.

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