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perec ::: treppenhaus

»das Treppenhaus ein baufälliger Ort von zweifelhafter Sauberkeit … durch das Treppenhaus huschen die flüchtigen Schatten all derer, die eines Tages da waren. … er versuchte die unmerklichen Einzelheiten, die im Verlauf dieser fünfundfünfzig Jahre das Leben dieses Hauses ausgemacht und die die Jahre eine nach der anderen ausgelöscht hatten, wieder lebendig werden zu lassen … die Treppen waren für ihn auf jedem Stock eine Erinnerung, eine Emotion, etwas Überholtes und nicht Fühlbares, etwas, das irgendwo in der flackernden Flamme seines Gedächtnisses zuckte: eine Gebärde, ein Duft, ein Geräusch, … ein Lärm, ein Schrei, ein Tohuwabohu, ein Rauschen und Knistern … ein klagendes Miauen hinter einer Tür, Klopfen an Wänden, … auch weiterhin nur eine unerträgliche Stille antwortete. … und rings umher die lange Heerschar seiner Figuren mit ihren Geschichten, ihrer Vergangenheit, ihren Legenden …«

(Georges Perec, Das Leben Gebrauchsanweisung)

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hjemmehage ::: l’escalierlily

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woolf ::: immer in diesem Garten

»… Falls das Leben einen Sockel hat, auf dem es steht, falls es eine Schale ist, die man füllt und füllt und füllt – dann steht meine Schale ohne jeden Zweifel auf dieser Erinnerung. Sie handelt davon, halb schlafend, halb wach, im Kinderzimmer auf St. Ivey im Bett zu liegen.«

All die vielen Male, zu Bett gehen, einschlafen, Dinge die sich zu einer Erinnerung verdichten, weil sie immer wiederkehren. Keine Einzelerinnerung sondern eine Gesamtheit an Erinnerungen, und sie bleiben so viel dichter vorhanden, als diese anderen. Mehr Gefühl als Erinnerung, mehr Bewusstheit als Erinnerung.

»Sie handelt davon dazuliegen und dieses Schäumen zu hören und dieses Licht zu sehen, und zu fühlen, es ist fast unmöglich dass ich hier bin …« Intensität der Eindrücke. Die immer noch realer sein können, als der gegenwärtige Augenblick. Beschreibt wie sie in manchen Zeiten noch mehr an diesen Ort zurückkehren kann, vollständiger, als jetzt gerade. »… so als sei ich dort, zu beobachten scheine; wie die Dinge geschehen. … In gewissen günstigen Stimmungen steigen Erinnerungen … an die Oberfläche …. wäre es nicht möglich – frage ich mich oft –, dass Dinge, die wir mit großer Intensität empfunden haben, unabhängig von unserem Hirn existieren; tatsächlich immer noch existieren?« Denkt an ein Gerät dass es einmal geben könnte um an diese Dinge heranzukommen. »… ich sehe sie, die Vergangenheit, als eine Straße, die hinter mir liegt; ein langes Band aus Szenen, Gefühlen …«

»… als sie Witwe war, saß [sie] stundenlang zwischen ihren Blumen, und sie schien mehr mit Geistern zu sein als mit ihnen allen, träumte von der Vergangenheit, die, dachte Mrs Vallance, irgendwie so viel wirklicher ist als die Gegenwart … und sie dachte an den sternenhellen Garten und die Bäume … spürte, wie ihre Augen weicher und tiefer wurden wie beim Kommen von Tränen … dass wenn sie noch am Leben wären und sie immer mit ihnen in diesem Garten gewesen wäre (der ihr nun wie der Ort vorkam in dem sie ihre ganze Kindheit verbracht hatte, und er war immer sternenhell, und es war immer Sommer) …«

(Virginia Woolf, Vorfahren & Auszug aus Skizze der Vergangenheit in: der Leuchtturm )

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wallace ::: gedankenschreiben

»schrieb er … das auf, was von den gerade gedachten Gedanken noch übrig war.«

(Anselm Oelze, Wallace)

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Fotorunde ::: Bam-Berg/Stadt/Wald Jun 20

… mehr Bergstadtwald

Nachdem der frühste Tag geruhsam beginnen kann fällt mir mit einem Mal die Goerdelerbaustelle ein, und ich muss losspurten … Waldplatz ii gibt an dass erst in neun Minuten eine Bahn kommt, und in einer halben Stunde bereits der Zug, ich bin sehr verblüfft ärgerlich dass mir so etwas passieren kann, und beschließe weise die ganze Strecke zu laufen. Am Hotel über mir im Himmel ein kreisender Raubvogel, meine Erinnerung jubelt, Turmfalke, und er gibt sehr possierliche Töne von sich, wie wenn jemand mit zu wenig Puste in eine Trillerpfeife bläst! Nach etwas mehr als fünfzehn Minuten am Bahnsteig, erleichtert, die Welt ist noch bedeckt doch wird gleich überm Land tiefsonnenblau werden, voller unterschiedlichster Wolkenvölker, wattig, weit auftürmend, vereinzelt, Bänder, solche wie Rillenmuster im Sand die das zurückziehende Wasser zurückgelassen hat, feine Nebel, wo sind meine Wörter dafür hin, Cumulus, und Cyrus …

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Pilgergrüße aus Bamberg

Ihr eifrigen PilgerInnen, seht und höret!

da ist man einen Tag in Bamberg um eine ebenfalls dort zu Besuch weilende Freundin zu sehen, schweift danach durch die Stadt, und wo führen einen Kismet und steil gepflasterte Gassen hin? Jakobsstadt Bamberg!

Und sieht er nicht wie ein richtiger Pilger aus, wie er da so in der Kirchaußenwand hängt? Beschwingt, ich vermeine sogar leicht tänzelnde Schritte zu erkennen, ist das ein Samba? Ein Detail das ihr mir noch gar nicht offenbart habt, sondern hinter Geschichten von schwielend vernarbt und suppenden Füßen geschickt zu tarnen wusstet. War der ganze Jakobsweg eine einzige Love Party? Eine langgezogene mittelalterliche Rave-Parade von Ausmaßen die man sich heutzutage gar nicht mehr ausmalen kann? So also geht es wirklich auf dem Jakobsweg zu, jeder schwingt und zwirbelt seine wallenden Gewänder, wie Derwische segelt und zirkuliert die Pereginatio gen Spanien, um es da am Ziel angelangt vermutlich nochmal so richtig krachen zu lassen. Ich ahnte ja nicht …!

Grüße im hohen Zeichen der Muschel! M.

… mehr Bergstadtwald

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woolf ::: wirklicher als die Welt

»… philosophische Begriffe können jemanden ohne universitäre Ausbildung schnell hinters Licht führen. Was ist mit Wirklichkeit gemeint? Anscheinend handelt es sich um etwas sehr Launisches, sehr Unzuverlässiges … sie beleuchtet eine Gruppe Menschen in einem Zimmer und hebt eine zufällige Bemerkung hervor. Sie überwältigt einen auf dem Heimweg unter Sternen und macht die stumme Welt wirklicher als die Welt der Sprache … das ist es was von der Vergangenheit bleibt, von unserer Liebe und von unserem Hass. Der Schriftsteller, wie ich annehme, hat mehr als andere Menschen die Möglichkeit, mit dieser Wirklichkeit zu leben. Es ist seine Aufgabe, sie aufzuspüren und zu erfassen und uns anderen zugänglich zu machen … König Lear oder Emma oder Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Denn die Lektüre dieser Bücher scheint an den Sinnen eine seltsame Operation vorzunehmen, ähnlich wie beim grauen Star; hinterher nimmt man intensiver wahr, die Welt scheint von ihrer Hülle befreit und erfüllt von intensiverem Leben.«

(Virginia Woolf, ein Zimmer für sich allein)

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le guin ::: wahrheit aus lauter unsinn

»Ja. Gewiss. Schriftsteller trachten, zumindest in den Augenblicken des Mutes, nach der Wahrheit … aber sie nähern sich ihr auf einem höchst eigentümlichen und verschlungenem Weg, indem sie Personen, Orte und Ereignisse erfinden, die es nie gegeben hat und nie geben wird, und indem sie von diesen Fiktionen detailliert und ausführlich und mit viel Gefühl erzählen, und wenn sie es dann geschafft haben, dieses Bündel Lügen aufzuschreiben, sagen sie: da! Das ist die Wahrheit! …

… Bei der Lektüre eines Romans, jedes Romans, müssen wir uns völlig darüber im Klaren sein, dass es lauter Unsinn ist, und gleichzeitig doch, solange wir lesen, jedes Wort glauben. …

Wenn wir schließlich fertig sind damit, stellen wir vielleicht fest – falls es ein guter Roman war –, dass wir ein bisschen anders sind, als wir es vorher waren, dass wir uns ein wenig verändert haben … aber es ist schwer zu sagen, was wir erfahren haben, worin wir verändert sind.«

(Ursula K. Le Guin, im Vorwort zu Die linke Hand der Dunkelheit)

vgl. Woolf, gequirlter Unsinn.

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trisolar ::: leben lenkt zu sehr

»Ding Yi mochte es in der Wüste spazieren zu gehen und seinen Gedanken nachzuhängen, manchmal gab er dort sogar Unterricht. Seine Studenten schätzten das weniger, aber er rechtfertigte seine exzentrische Vorliebe mit den Worten: ich mag verlassene Orte. Das Leben lenkt zu sehr von der Physik ab.«

(Liu Cixin, Drei Sonnen)

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Fotorunde ::: Wald/-wiese & Tümpel Jun ‘20

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woolf ::: eine Herde Elefanten, eine Wildnis voller Spinnen

»da war ich mit Notizbuch und Stift und dem Vorhaben hierhergekommen, den Vormittag lesend zu verbringen, in der Annahme am Ende des Vormittags die Wahrheit in ein Notizbuch übertragen zu haben. Aber ich müsste eine Herde Elefanten sein, dachte ich, und eine Wildnis voller Spinnen, mich verzweifelt an jene Tiere haltend, die angeblich das längste Leben und die meisten Augen haben, um all das zu bewältigen.«

(Virginia Woolf, Ein Zimmer für sich allein)

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thoreauvian ::: sich selbst lassen

»Ich halte es für den Gipfel der Weisheit, wenn ich mir nicht die Mühe mache, mich zu kontrollieren, und ein Leben mit Klugheit und gesundem Menschenverstand führe, sondern wenn ich über mich hinausschaue, erhabene Vermutungen anstelle, mich zur Durchgangsstraße erregender Gedanken mache, all das lebe, was gelebt werden kann. Was kann der Mensch, der mit sich unzufrieden ist, denn nicht tun?«

(Henry D. Thoreau, Tagebuch II)

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Fotorunde ::: Leuschner

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night vale ::: fakten sehen wollen

»Wissenschaft basiert auf Fakten, doch diese Fakten werden auf auf Grund von Hypothesen erhoben, und Hypothesen entstehen durch das was man sieht oder sehen will.«

(Joseph Fink & Jeffrey Cranor, Der lächelnde Gott)

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southern reach ::: kreise, rechtecke

»… wenn man wie ein Wissenschaftler plapperte und wie ein Wissenschaftler herumstolziert, dann war man für Nicht-Wissenschaftler schnell nur noch Gesprächsstoff, aber kein Mensch mehr. Einige Wissenschaftler lebten diese Rolle aus und wurden zu wandelnden … Lehrbüchern. Von Cheney konnte man das nicht unbedingt behaupten, wenn man von kleineren Ausflügen in besagtem Jargon absah, zum Beispiel Quantenverschränkungen.« Control, immer noch auf dem Weg zur Grenze, fängt an Cheneyismen zu sammeln. Was einfach ist denn «er stellte fest, dass Cheney war er erstmal auf Touren, Stille hasste und diese mit einer merkwürdigen Mischung aus gebildeten und saloppen Sätzen pflasterte. – was ist, wenn wir einfach keine Sprache dafür haben? … sind wir überflüssig? … Frage bloß nicht die Armee. Ein Kreis sieht ein Rechteck an, und sieht einen schlecht gezeichneten Kreis. … – Himmel ist das eine lange Fahrt, sagte Cheney in die Stille hinein.«

(Jeff VanderMeer, Southern Reach II)

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