Tool | 15.05.22 | Mercedes Benz Arena

Noch tief erschüttert von der Konzerterzählung einer Freundin zur selben Location – in der Nachos und andere sinnintensive das aufmerksame Zuhören unterminierende Darreichungen eine unerträgliche Rolle spielten – doch unter ungetrübt blauen Himmel bewegen wir uns via Autobahn gen Berlin. Kalauervibes, toole T-Shirts (E.), und – im Hinblick auf die in München nicht aufgetretene Vorband Brass Against – Blas-phemie (P.). Mich nehmen nach Wittenberg/Dessau zunehmend gelb leuchtende mml. Ginsterbüsche in ihren Bann, sowie in der großen halbvertrauten Stadt rund um Friedrichshain & Simon-Dach vorbeiflattaternde Pieris. Die Gegend um die Warschauer Brücke subtil gewandelt, immer bebauter, schnieker doch dadurch auch austauschbarer, es könnten in beliebigen Städten die selben Gebäudeensemble stehen, alle Straßen so breit, Menschen, überall soviele Menschen. Doch rund um die Simon-Dach scheint die Welt noch stabil. Landen in einem thailändischen veganen Restaurant, Tourmeister S. wirkt zeitlich entspannt, bis er es nicht mehr ist, und wir mit vollem Magen zur Arena hasten. Allein für Tourischnappschüße von der Warschauer Brücke scheint noch Zeit sein. Der Einlass zieht sich ein wenig, doch irgendwann sind wir drin, schnell an den toolen T-Shirts vorbei, können der Vorband noch einmal winken, die covernde Blas-phemie haben wir leider versäumt und das Warten auf Tool beginnt.

. Da vorne, zwei Blöcke weiter trägt doch tatsächlich jemand Nachos vorbei . Wa-ahhh und hier nur einen Block weiter auch .

Das Konzert, Aufmerksamkeitsrangeln der Sinne. Visuelle Effekte, kaleidoskopische Mandalas durch die man eine Welt wie ein Eintauchen in bewegte 3D-Bilder betrachtet, im ersten Drittel zudem mehrschichtig, auch auf dem transparenten Rundbogenvorhang projiziert, intensives Lichtfarbleuchten, rote Welten, blaugrüne Welten wie ein Einfliegen in einen langen Wald, 70erquietschbunte Welten – wäre Tools Musik nicht die die sie ist sie würde darin untergehen. So verbindet sich alles zu einem epischen Ganzen voller Kulturbezüge. In den roten Welten kommt man nicht umhin durch die halbhockende Stehhaltung von Maynard James Keenan an Höllenkreisszenarien zu denken, dazu und dazwischen durchsetzt mit okkulten und fernöstlichen Symboliken. Nach dem Öffnen das Vorhangs kommen leuchtende Laserebenen und Flutgelichter hinzu, zaubernder Glitter der von der Decke schwebt, und ein magisch glimmendes Septagon.

. Neben uns setzen sich warme und intensive Geruchspartikel verbreitende Pommes .

Zentraler Blickpunkt auf der Bühne ist der Schlagzeugaufbau; geistige Notiz sollte es einen nochmal auf eine Großveranstaltung mit Sitzplätzen verschlagen, Operngläser! So könnte man auch sehen wie Danny Carey mit welchen Spielzeugen faszinierende hölzerne, klingende, schmirgelnde, drirrende Töne erzeugt. Links und rechts von ihm zwei Tribünen auf denen abwechselnd der Sänger materialisiert, immer mal wieder entglitcht er der Aufmerksamkeit, ist dann in den lodernden Schatten der in Farben und Dunkelheit getauchten Bühne nicht zu sehen, und ist plötzlich wieder an einem anderen Ort. Die Saitenmänner Adam Jones und Justin Chancellor stehen solider, doch für einen übermütigen Moment wechseln sie langsam aneinander vorbeischreitend die Plätze! Interaktion mit dem Publikum ist der Band wichtig, nicht nur durch ihre visuellen Visionen und Musik, sondern auch in Sprache. Berlin! Dreimal wiederholt in der ersten Hälfte, und in der Zweiten, mehrere Sätze, die einen tatsächlich kurz im Schreck des Hättenichtseinkönnen verblassenmachende Anekdote dass der Sänger zwei Tage vorher ohne Stimmer erwachte.

. Es wundert ein wenig dass kein Eisverkäufer durchkommt .

In der Pause, in der mit digitaler Leinwandzeitstoppuhr die zur Verfügung stehende Zeit herunterzählt, erbete ich mir vom begleitenden Musiker Erläuterung im Hinblick auf das im unteren Publikumsraum untergebrachte und diesen beinahe ausfüllende Kontrollzentrum. Bereitwillig wird mir das zwanzig Meter breite Mischpult für die Publikumsabmischung gezeigt, die Ecke für die Leinwandanimationen – ein mit über- und nebengestapelten Monitoren umzäunter Bereich, dahinter der Lichtfunkturm, die Station für die Laser- und Lichteffekte, der Bereich in dem die Raketenstarts in Cape Caneveral gesteuert werden (was meine bereits gehegte Vermutung bestätigt), die Satellitenüberwachung, der kleine Arbeitsplatz in dem das Social Media auf Posts von unerlaubten Bild- und Tonaufnahmen live durchsucht wird, und achja, jeder der Künstler hat auch noch eine Station für die Abmischung seiner Earphones.

. Die Pommes haben sich zur Halbzeit eine große Brezn geholt .

Lieblingsvisueller Effekt, direkt nach der Pause, Chocolate Chip Trip, Kamerablick von oben auf den Schlagzeuger gerichtet und live sein Tun in die obere Halbkreishälfte eines Septagons vervielfacht spiegelnd. Seine linken Aufbauten gehen nahtlos ineinander über, dann folgen seine teils miteinander verschmelzenden linken Arme, Kopf, wieder Arme, der rechte Aufbau geht wieder in den rechten Aufbau, Kopf und wirbelnde Arme, linke Aufbauten … und irgendwann dreht er sich weg um an einem seiner Spezialgeräte etwas zu justieren, das Bild friert ein, verzerrt sich, klappt ineinander weiter nach innen in weitere eigentlich nicht zugängliche Dimensionen, wird bunt, farbig, halluzinierend, klappt sich irgendwann wieder aus und bewegt sich wieder, So schön wie all die Lichtfarbenpracht war, man hätte auch das ganze Konzert lang dem Geschehen auf der Bühne so zusehen und sich treiben lassen können.

Eindrücke die noch, teils aus dem tagefolgenden Nachhören um musikalische Details zu fantasieren und zurückzuholen, einzubringen sind. Klare Komplexität, ätherisch, elegisch, Gegensatz der sacht schwebenden anrührenden Stimme und der paukenden, trommelnden, metallisch scheppernd gezupften Klänge, versetzt, vertaktet, erhebend, verlaufend, bei Invincible dieses sägend melodische Quietschen, unendlich weitere sehr spezielle Geräusche entzücken, schwirrendes Schrillen, schmirgeln, plingen, bei Vicarious singt Maynard James Keenan doch tatsächlich ein einfaches lalalala la!, aufgezogenes Surren, Tremolos aus allem Möglichen, Ecken, Kanten, abrupte Wechsel, Sprünge, Eskapaden, die Klangatmosphäre massiv und umfassend, dazwischen diese ruhigen, nur-Schlagzeug, oder nur-Gitarrenmomente, rieselnde Klänge der Stille vor dem Wiederaufziehen des ganzen Klangteppichs, in den äh, Videos, sieht man dass durchaus auch die Gesten des ein oder anderen Bassisten/Gitarristen etwas zum Schauen gewesen wären (Invincible.Denver), und natürlich die verschiedenen übereinanderliegenden Tempi, Heimweg, über die Warschauer, E. resümiert munter wie man immer wieder aus dem gerade gefundenen Wipptakt herausgerissen wurde, weil der Schlagzeuger plötzlich innehält und etwas völlig anderes macht, Nachtigall, Nichtganzvollmond, lange Autobahn.

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