Kristofer Åström and the Rainaways | 2.06.09 | Moritzbastei

Vor zwei Jahren am selben Veranstaltungsort. Kristofer Åström als ein Teil der Sit Down and Sing-Triade, neben Wolke und Mariah Taylor, aber die meiste seiner Bühnenzeit ganz allein.

Diesmal verstärkt von den Rainaways, so dass man nun die teilweise gleichen Lieder ganz anders zu erleben durchwarten kann.

Dafür ist diesmal die Vorband als ein Mann ganz allein auf der Bühne. Nach dem verstärkten Kristofer sind nicht mehr allzu viele Eindrücke von The Late Call erinnerbar, außer das was man so unmittelbar und fortwährend vor sich hindenkt …

Er sitzt alleine mit Gitarre auf der Bühne und trägt weitgehend schlicht seine geschriebenen Lieder vor. Die Musik erinnert an das Soloalbum von Janove Ottesen. In seinen Zwischenansagen erzählt der Sänger charmant aus seinem alltäglichen Erleben als säße er einem in der Kneipe gegenüber und schafft so gemütliche, entspannte und ruhige Zuhöratmosphäre.

Wäre die Musik von seiner nicht dabei seienden Band hinterlagert könnte sein Gesang auch derart sein, dass er an Muse oder Radiohead erinnert. Konzentriert, tragend und leidenschaftlich. In diesem Segment der Musikkunst muss es sehr schwer sein, seine Eigensinnigkeit zu finden, aus dem breiten Feld derer die etwas mitteilen möchten und dies musikalisch zu tun in der Lage sind, erinnerbar hervorzutreten.

Ein Einwurf von rechts direkt neben mir, er sähe aus wie Micha Feuermachersohn. Und das obwohl er eine Gitarre trägt und diese nicht störend oder komisch an ihm wirkt. Es muss neben allgemeiner Physiognomie, Haarfarbe und Haarschnitt wohl vor allem der konzentriert und ernst in die Ferne sinnierende Ausdruck sein.

Für mich finde ich es schwer, Lieder quasi in der Einmannrohform zu beurteilen. Sie hat aber auch etwas für sich. Dieses Gefühl der darin schwingenden Möglichkeiten. Und manchmal schwang sich der Gesang über diese Rohform auf. Und beim letzten Lied erklang ein geschickt gesetztes schwirrig-schlürfendes Störgeräusch als Kontrastlinie zu Gesang und Gitarre. Wie in die Ferne führende Bahnhofsreisen. Det var storslatt! Das ist erinnerbar.

Im Zug nach Berlin. Ziel Oslo. Es ist schwierig über ein Kristofer Åström-Konzert zu schreiben, während auf der vor einem befindlichen Vierersitzgruppe ein kleines argloses Mädchen von einer zufälligen und von einem Vorsingen retour reisenden Reisebekanntschaft für Musicals und Rolf Zuckowski indoktriniert wird. Ihr hin und wieder kleinere Kostproben aus Elisabeth vorträllernd. Gerade eben noch hat das Mädchen geäußert, sie würde jetzt gerne arabisch lernen, und nun werden ihr kleinere Musicalausschnitte und das zuckowskische Lieblingslied der Sängerin als sie ein Kind war vorgesungen. »Papi, Papi, wach auf«. Kind in abwehrenden und erschrockenem Aufruhr. Nein, nein, die Vorsängerin möge einhalten. Dieses Lied singe auch ein Klassenkamerad von ihr immer und sie finde es schrecklich.

Diese kindliche Reaktion scheint so gänzlich unerwartet für die Vorsängerin, dass sie diese ein paar weitere Takte und Strophen ignoriert und in ihrem Vorgesang fortfährt, begleitet vom nicht unfreundlichen, beinahe fanatisch fröhlichen Geschrei des Kindes sie möge doch aufhören — so wie Kinder oft widersprüchliche Freude an allen Dingen des Ekels empfinden; jedwedes Gefühl als etwas spannendes auskostend, sich voll darin hineinwerfend.

Nach dem Fehlversuch von Papi wach auf wird wieder auf Musicals umgeschwenkt. Immer wieder tirilliert mit wehmütig-gestelltem Ausdruck, wie er für das Musical unabdingbar scheint, abrupt ein Satz quer durch den Zug um dann wieder zu verebben. Hin und hergerissen zwischen dem Bewusstsein dass vielleicht nicht alle Reisenden den Vortrag zu schätzen wissen, und dem inneren Zwang trotzdem singen zu müssen, zum Wohle des Musicals. Natürlich finde ich es an sich wundervoll, wenn man in etwas so begeistert und begeisternd wollend aufgehen kann. Bleibt allein die Frage der ethischen Berechtigung, seinen Geschmack und insbesondere Rolf Zuckowski und Musicals einem wehrlosen Kinde aufzuzwingen, das offen alles kritik- und somit schutzlos an sich heranläßt. Allein die instinktive Abwehrreaktion dieses Kindes auf das Papi-Lied beruhigt mich — die Zukunft ist nicht verloren.

In der Umbaupause. Wie angekündigt wird Erik aus dem uoffisiellen Norskkurs erspäht. Im Austausch der Åströmverehrung und Vorfreude vergeht die Zeit rasch. Die Erinnerung an die spürbar schüchterne Befangenheit Åströms vor zwei Jahren wird nochmal hervorgekramt, mit der Vermutung dass mit einer Band im Rücken das Meistern der Bühnenpräsenz doch viel leichter sein wird. Und schon poltert sie auf die Bühne. Die Band! Unweigerlich fokussiere ich auf Bass-Schlumpf. Mit schwarzer weiter Hängemütze. Grauem langem Bart. Dezenter Hippiekette und gemütlichem schwarzem T-Shirt. Immerdurchglücktes Strahlen im Gesicht. Und seine Finger der Anschlaghand tanzen über die Seiten, während er federnd auf und ab wippt und wuppt.

Tanzen zu einer Musik, die nicht glitzert und glänzt, sondern schimmert wie der Glanz einer Perle, und wie auf einer Perlenkette reihen sich schimmernd die Momente auf und überlagern sich die Melodien. So hoch. So weit. So nah.

Der Klang mit Band von einem Hauch Surf* bis zum Metal-Lack-Klang** der Route 66 schwingend. Neben Bass-Schlumpf zwei USA-hafte Sonnenblondlinge an den Gitarren. Der dem Bass-Schlumpf näher Stehende wird hin und wieder geknufft, entweder er oder der noch mehr knuffenswerte Schlagzeuger. In kleingeblümten weißem Hemd und Vollbart, der zu einem der Zugabelieder mit grandiosem Gefühl und bepuschelten Schlegeln ein irre arythmisches oder hochkomplex rhytmisches Trommeln in den Raum entsendet.

Es wird viel Northern Blues gespielt, ziemlich am Anfang werde ich mit Twentyseven erfreut, dass mir gegeben wart als ich 28 wurde, und ein Großteil der Show besteht aus diesen so durchdringend vorgetragenen Liebesleidliedern — »You make her blind (motherfucker)« — die sich meist hervorragend in rockendem Krachgeschrammel verlieren können. In einem Lied dass sich immer höher und lauter türmt rutscht Bass-Schlumpf durch den Enthusiasmus seiner Begleitbewegungen die Mütze bis über die Augenbrauen. Konsequent zieht er sie gleich ganz runter. Das aufblitzende Grinsen ist gerade noch zu sehen bevor es unter dem Dunkel der Mütze verschwindet.

Und so lauscht man mit verwunderter Faszination darüber, wie variabel diese Lieder sind. Lieder die in jeder Spielart — allein nur mit Gitarre, oder selbst Balladen krachgewaltig mit Band vorgetragen — wirken.

Vielleicht ist diese Wirkung aber nicht nur in den Liedern selbst begründet, sondern im Gesang von Kristofer Åström. Zumal live bei diesen Erinnerungsliedern an vergangene Lieben und Fehler, die einem den Moment des Geschriebenwerdens durch die Eindringlichkeit seines Gesangs greifbar, sichtbar und verstehbar machen. Und er erinnert dabei an den Sänger von Moneybrother. Es muss eine speziell schwedische Offenheit in Liebesleiderinnerungen sein. Keine Scheu davor zu zeigen dass man daran so sehr leiden kann.

Und so meint man hier dem auf die Spur zu kommen, was Stefan Zweig »das Geheimnis der Schöpfung« nennt. Der Moment des Entstehens, dem Stefan Zweig sein Leben lang durch das Sammeln von Autographen nachgespürt hat um herauszufinden auf welche Weise die »Inspiration … irdischen Niederschlag« findet. Und diesem Moment des Entstehens ist man bei einem Kristofer Åström-Konzert irgendwie nah. Entweder durch die Erfühlbarkeit dessen über das er singt, oder weil er einen einfach so daran teilhaben läßt, wenn er sich gleich zu Anfang an das Publikum wendet: »There was a Goth-Festival here in Leipzig last weekend. They took all the towels. — I hate them for taking all the towels.«

In der nächsten Zwischenliedzeit beobachtet man, wie dieser Gedanke noch immer im Kopf schwirrt, gedreht und gewendet wird. »Oh this Goth people. I will write a Song about it. Grapping all the towels.«

An die Band gerichtet »You play Goth sometimes, too. So I hate you and you and you!« Und bei jedem You zielt der Zeigefinger auf einen anderen Bandkumpanen. Sie grinsen bloß. — Nachsinnen. »Thinking over it, I was a Goth man some time ago, too. So I kind of hate myself.« Schmunzeln «I also liked Hip Hop. And Reggae.« Lacht. Über das ich seiner Vergangenheit. Die im Konzert vor zwei Jahren sympathische Schüchternheit ist noch erkennbar, wird aber durch diesen so sorgsam und zurückhaltend vorgetragenen Witz noch mehr geadelt, irgendwie gewandelt.

Man spürt dass hier beständig das Erlebte gefiltert und als Material fürs Erzählen und Songschreiben geprüft wird. Grapping all the towels. Der Gedanke wird Runde um Runde im Kopf gedreht — um zu sehen was mit ihm passiert. Dem Gedanken wird Zeit gelassen, sich auszubreiten, zu entfalten, zu verändern. Wohin er geht. Und wohin er einen führt. Und so beobachtet läßt sich das in vielen seiner Texte nachspüren. Texte deren Inhalte mäandern — gleichbleiben im Grundton, sich aber doch mal hier und dann dorthin wenden, oder die gegengesetzte Richtung einschlagen. Sie können nur so entstehen. Wenn der Initiativgedanke lange genug im Kopf klingend durfte und nur langsam und spärlich nach und nach Nebengedanken hinzugefügt werden.

Und wie er da so beständig erschaffend und dabei flachsend auf der Bühne steht, hageres bärtiges Gesicht und zerzaustes Haar, da muss unweigerlich eine Ähnlichkeit mit dem jungen Helge Schneider erkannt werden. Kurz darauf drückt er sich nach dem Lied Devil (Chorus: Hey Christ) das Papiertaschentuch das ihm als Towel-Ersatz gegeben wurde aufgefaltet aufs Gesicht. Und ich frage mich? Zufall. Nein. Ich habe mich verhört und die Liedzeile heißt Hey Kris. Was Wunder wenn es mit »are you still barely hanging on« weitergeht. Trotzdem großartig theatralischer Einsatz dem es Würdigung zu zollen gilt.

Hier gibt es eine wunderbare Kauzigkeit. Und in seinem Können auch eine Selbstsicherheit, die mit diesem Witz gekleidet auf die Bühne tritt. »I want this song to be a kind of white stripes football hymn« und das Publikum hymniert mit und irgendwann heißt es »Fuck« und Bassschlumpf kniet über seinem Bass und die Erklärung ist Bassschlumpf »broke his bass and I forgot the lyrics«. Und kurz darauf ist das Konzert nach drei Zugaben doch zuende. So viele Alben … das Konzert dürfte noch dreimal so lang und ewig weitergehen.

* Hier Einbildung möglich. Einmal erfahren was es ist, vermeine ich es nun wohl überall zu hören.

** freue mich über diese Wortkette. Man beachte: jedes Wort beginnt mit dem Buchstaben, auf den das Vorhergehende endet.

2 Kommentare
  1. walte · June 13, 2009 @ 16:23

    Hab die Sache mit den Gothics eher so verstanden, dass aus dem Publikum einer fragte: “Aren’t you from Gothenburg?”. Kris bejahte und dann ist ihm aufgefallen, dass die Mehrzahl seiner Bandkollegen auch von dort ist und er deshalb meinte, er hasse seine Mitmusiker. Aber wie es auch immer gewesen sein mag, es ist auf jeden Fall ‘ne tolle Anekdote (also so beide Varianten).

  2. admini · June 13, 2009 @ 16:33

    Hihi. So gefällt es mir ja noch besser. :-D

    Um ehrlich zu sein, habe ich den Anfang der Gothanklage nicht ganz mitbekommen … wird also durchaus eher so gewesen sein.

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