Schnee im Wald und Black Rider im Centraltheater | 29.12.09

Wald bei Tag. Es ist nicht leicht sich im Wald nicht zu verlieren wenn man unbekannten Pfaden folgt. Im Widerstreit zwischen durch Autobahngeräusche und deren Abwesenheit geführter Orientierung und der Neugier die einen immer den anderen Weg als verheißungsvoller weist, dort wo die Baumstämme im Entfernungsdunst immer unsichtbarer werden, wo Schnee und Eis glitzern, die Schwingen von Greifvögeln im Wind nicht zu hören sind, abschmelzendes Eis gluckst und einen Bach entlanggurgelt, und am Ende des dunklen Waldpfades das Draußen in leichtgelben Licht sicher erreichbar scheint.

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Im schneehellen Wald scheint verstreichende Zeit bedeutungslos. Allein bei Dämmerung, kurz bevor Wolf, Bär und Dämonenschatten den Wald bevölkern, würde man langsam gerne die Neugier besiegt haben, genauso wie den Drang auf übereiste Fuhrwerksrinnenpfützen zu treten, bei denen man vorher weiß, dass der Schritt durch die Eisschicht hindurchbrechen wird.

Nacht bei Wald. Tage später Black Rider im Centraltheater. Der Trailer hinterließ mir einen beklemmend düsteren Eindruck, dem ich mich zum Jahresende gerne besinnlich widmen wollte, und der passend zur mir aus Erzählung bekannten Hintergrundgeschichte schien. Burroughs erschoss im Drogenrausch seine Frau als er mit ihr die Apfelszene von Wilhelm Tell nachstellte.

Der geniale teufelswahnwitzige Spaß der Inszenierung traf mich völlig unvorbereitet …

In kaberett- und zirkusartigem Gefunkel und Geplänk wird in wüstem Gemisch aus deutscher Übersetzung und englischen Originaltexten vorgetragen. Begrüßt vom befracktem graugesichtigen Directeur der links auf Höhe der Zuschauerreihen den Saal betritt, freudeswahnsinnig das kommende Spektakel ankündigend, wird der Blick nach vorne zur Leinwand geleitet. Auf der Leinwand ein in Sekundenschleife waberndes Portrait der Darsteller in schwarzweißer Monsters-Optik. Ebenfalls befrackte Dame begrüßt in unübertrefflich teuflisch hinkendem Gang das Publikum, mit einem Knall fliegt die Leinwand ins Nichts und präsentiert die die zuvor nur auf Leinwand zu sehen waren in Real doch mit Totenköpfen statt der Eigenen auf den Schultern.

Der Darsteller ganz links trägt zünftig waidlerische Lederhose und im Hintergrund ist Geäst abgebildet. Ich befinde mich wieder im Wald und erinnere mich an den vor Jahren bis -zehnten gesehenen und dem Stück zu Grunde liegenden Freischütz.

Wild schreiender Gesang, Gespringe, Beine wegschleuderndes Gehüpfe wie bei einer Comic-Figur, und Gejohle, durchmischt mit glashellen Stimmen und kindlichreinem Gegluckse und Gekicher bestimmen ab nun die Show, durchzogen von Aussprüchen, markig für die Ewigkeit (ungefährer Originalton: »Ich kenne jeden Bach im Wald als hätte ich ihn selbst gepißt.«), charmanten Abwandlungen bestehender Wendungen (~OT: »There is a light in the Forrest« oder gegen Ende von Doris Devil im engelsweißen Rüschengewand zur Melodie von I am in Heaven gesungen: »I am a devil. I am a little devil, …«).

Wundervollst auch die verträumt-irr glockenhelle Begeisterung, baren Fußes im weißem Nachthemd und blond flatterndem Haar: »Ist es nicht schön hier? Überall liegt totes Tier!« von Wilhelms Verlobter, der Tochter des Jägers vorgetragen, während im Hintergrund 20 Eber liegen die der Schriftsteller Wilhelm dank der Teufelskugeln erlegen konnte. Frau Mama fängt an aus den Stoffwildschweinen mit einem gigantischem Messer die Eingeweide auszuweiden. Und darüber erhebt sich in einer Poesie monumentaler Gestaltung die an das Genie von Wes Anderson erinnert, 10 m hoch und forstgrün gestrichen eine Wand empor, die über und über mit Geweihen behangen ist und als Kulisse für das Försterhaus dient. Eine Tür immer an anderer Stelle und Höhe in der Wand wirkt wie ein Gemälde in dem Kuno steht, spricht und schwankt.

Und über allem schwebt, durch den grummig tiefen Gesang der männlichen Schauspieler hindurch und in den Melodien, das Wesen von Tom Waits.

Als bewunderndste Feststellung bleibt, wie großartig Schauspieler sein müssen um gegenüber einem derart einnehmenden Bühnenbild zu bestehen. Nichts sieht mehr echt aus, wenn sich die Drehscheibe, durch die Försterhauswand in 2 Teile geteilt, auf der Rückseite den Wald beherbergend, dreht und den Blick auf 2 feste mit baumbedrucktem Papier beklebte Säulen und mehrere flexibel herabsenkbare Stämme freigibt.

Und doch ist durch die Beleuchtung, Licht, Schatten und Nebel, die geradlinig angeordneten Stämme und die in kargem schwarz und weiß waldbedruckte Wandrückseite alles vorhanden was die Vorstellung benötigt um einen lebendigen Wald zu zaubern.

Einen Wald, durch die Drehscheibe immer in Bewegung und immer aus anderer Perspektive zu sehen, einmal wabernd und wankend wenn die Baumstämme von Doris Devil spielerisch angeschubst werden. Zweibeiniges Menschenwild mit riesigen Tierköpfen das lustig und bis Wilhelm die Kugeln von Miss Devil erhält ungetroffen durch den Wald springt, aus dem waldigen Bodennebel auftauchende und wieder verschwindende Figuren die den irrenden Wilhelm umwimmeln und in widersprüchlichen Gefühlen antreiben. Krächzender Krähengesang. Dann wieder durch den Nebel hellgelbes Licht wie Sonnenstrahlen oder lieblich verkitscht ein Papierblattregen dessen Blätter in Kontrast zur schwarzen Tiefe hinter der Bühne leuchten wie der Herbst, wie im Traum färbt sich das Licht rot und Käthchen schwebt wie die Hexe Magrat Knoblauch nur besenlos durch den Wald. Und das alles und das vor allem führt zu nur einem alles ausfüllenden Gedanken: Ich will auch!

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