Eläkeläiset | 27.04.10 | Moritzbastei

Hinweis. Diese Humppa-Lektion baut auf Humppa Basiswissen auf.

Es ist Sommer. Jahrmarkt. Trubel, Zuckerwatte. Wildes Geschrei aus Fahrgeschäften. Da wo gerade der Jahrmarkt lebt, existiert normalerweise nichts als eine wie geflickt spärlich betonierte Brachfläche in der Stadt. Der Jahrmarkt ist darüber gesetzt, aufgeklebt über die so stumpfe Realität.

Der Jahrmarkt liegt irgendwo in einer Stadt an der Nordsee. Diese Gewissheit zieht man aus dem nautischen Klang der Instrumente die von irgendwoher erklingen. Von wo? Da steht ein Kinderkarussell. Ein motorisiertes Ringelreiten. Und darauf sitzen wir alle, und das Karussell dreht sich. Und es ist bunt. Und es beschleunigt auf Humppa-Geschwindigkeit …

Kindheitsglückliche und irrabsurde Grundmelodien. Sie begleiten den Einmarsch der Eläkeläisen, und sie hinterlagern alle Lieder. Geben den Grundton der die Botschaft der Sorglosigkeit und Losgelöstheit hinaussendet. Hinter den wild disonantseptakkordischen qietschenden Tönen der Keyboards, den quätschendem Ritt des Schifferklaviers und dem allgemeinen Tumult auf der Bühne ist er meist nicht wahrnehmbar. Aber diese Grundschwingung ist allzeit da. Sie ist wie das auf und ab, das uns auf dem Kinderkarussell in Sicherheit wiegt. Die sich drehende Sicht verwandelt die Welt da draußen in einen Schleier an dem man vorbeirauscht. Menschen stehen rundherum, sie winken, lachen freundlich zu, und sind schon wieder verschwunden. Die Wirklichkeit ist in der Karusselwelt. Das andere Leben bildet nur noch den Hintergrund dafür. Keine Draufsicht sondern eine Drinnensicht.

Und in der Karusselwelt turnen die Eläkeläisen, laufen gegen die Drehrichtung um und zwischen uns herum, und in jeder Umdrehung, bei jeder Begegnung sieht man eine andere Verrenkung. Ein Eläkeläise der auf den Tisch zu seinem dort gelagerten Keyboard springt, und mit wild zerrauftem Koboldhaar darauf auf und abspringt, dabei noch Töne erzeugt die Musik sind. Weiterdreh und weg. Nächste Runde. Er rennt das Keyboard geschultert vorne an der Bühne vorbei. Weiter kreisen. Der Akkordeonist springt auf den Tisch und zieht wie wahnsinnig an seinem Handklavier. Wodka und unausprechliches wird herumgereicht. Weiter drehen. Wilder Lambadatanz, eine Art mit erhobenen Händen gruseliges Vibrieren, wird vorgeführt. Anleihen an Besessenheit. Grimassen. Sie feuern uns an. Das Publikum auf den kleinen auf und ab schwebenden bunten Stangenpferden. Wir alle erkennen die Botschaft und laufen, hüpfen mit. Der eine Keyboardist umgattet auf dem Tisch liegend sein Keyboard. Das Karussell wird nicht langsamer, nichts droht ein Ende der Fahrt an. Die Welt draußen zieht vorbei, verschwimmt.

Durch die Geschwindigkeit des Karussels werden die Lieder von dort draußen verzerrt. Die Worte klingen durch diese dopplerbedingte Verzerrung irgendwie finnisch. Mal ratternd und knatternd, bewegt man sich drehend auf die in der Außenwelt befindliche Lautsprecherquelle zu, aus der American Jesus, Hotel California und das Modell schallt. Dann wieder himmelweich langgezogene Melodien, wenn man daran vorbeigezogen ist und sich karussellierend entfernt. So schön wie der Name der rund um das Karussell an seiner oberen Zierumleistung auseinandergezogen geschrieben steht.

E•lääää•k•eelääääi•seeee•t.

Das ganze Karussellvolk strahlt Gelöstheit und einfaches Glück aus. Und man weiß, wenn es eine Macht gibt, die die Welt einen könnte, dann wäre es Humppa. Bei Humppa sind die Menschen glücklich. Die urvolkstümlichen Klänge einer alpinen Heileweltbescherung die als pure Substanz unerträglich ist, werden transponiert, die Droge wird konsumierbar. Und es ist beinahe fühlbar. Dass das Karussell auf dem wir in Freude taumeln nichts anderes als die Erde ist die sich dreht … und wir alle fahren mit.

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