Motorpsycho | 7.06.10 | Conne Island

Bei Entdeckung dass Motorpsycho aus Trondheim sind, schrieb ich den Teilnehmern meines Norsk-Kurses naturlig sofort eine Empfehlung, war dabei aber der Musik Motorpsychos so gegenwärtig, dass ich diese nicht ohne eine Warnung versehen absendete. Men forsiktig, det er høyt musikken! Es steht allerdings zu bezweifeln dass der Lärmbegriff den ich beim Absenden der E-Post im Sinn hatte, dem wahren Wesen von Lärm nahe kam. Dem wahren Wesen von Lärm wie ich es jetzt kenne …

Wir sitzen wie über der Menge schwebend am Rande des Geschehens auf riesenhaften Treppenstufen in Konzertbühnenbauweise. In der Luft nur noch latent Sauerstoff vorhanden. Dafür ist ihr eine klebrige, feuchtegeschwängerte Konsistenz zu eigen, wie sie nur in lichtabgedunkelten, kellerhaften Räumen erreicht wird, in denen sehr viele dünstende und im Scheinwerferlicht garende Menschen sich konzentriert bemühen ihre Gehörgänge vor dem Einstürzen zu bewahren.

Luft und Lärm.

Die Sicht auf das weißlich transparente, man könnte sagen herzmuschelgrabfußfarbene Schlagzeug, den körperkahlen Schlagzeuger dahinter, sowie auf die beiden dunkelhaarigen und langbehaarten E-Saiteninstrumentspieler ist vorzüglich. Die Akustik auf das Geschehen spielt keine Rolle. Nichts zu hören ist ausgeschlossen.

Whämmmwhämmmwhämmm.

Bei Per Anhalter durch die Galaxis tritt eine Band auf, deren allerhöchstes Ziel weit über die Musik hinaus es ist, den gewaltigsten nur vorstellbaren Krach zu erzeugen. Da in Per Anhalter durch die Galaxis das Zeitgeschehen sehr dehnbar ist, halte ich es durchaus für denkbar, dass Motorpsycho dieser Band aus literarischer Vergangenheit Pate stand. Verstärkt wird der Eindruck wenn bei den eher galaktischeren Geräuschsequenzen, in denen es metallisch wabert und sich alles in Dunkelheit und dichtgrauem Konzertnebel befindet, die Verkleidung des Schlagzeuges blitzartig weiß erleuchtet aufflackert, der visuelle Effekt immer an besonders hervorzuhebende Töne gekoppelt. Und so wie es da im Nebel auf der Bühne liegt und funkelt, ist es, als wäre das Schlagzeug selbst ein Raumschiff.

Bppammmbppammmbpamm.

Motorpsycho ist laut. Es ist so laut, dass einem jedem Konzertbesucher die Haare im Konzert weit über das übliche Maß hinaus wachsen. Im Schnitt so 5–10 cm. Das Haar nähert sich unbewußt der optimalen Schwermetallschüttellänge an.

So laut, dass am entfernten Ende des Lärms wieder die Grenze zur Stille durchbrochen wird, und man — ein Effekt der dem Weltraumreisenden nicht unbekannt ist — irgendwann zwar noch die Bewegungen der lärmerzeugenden Musiker sehen kann, das schnelle Hämmern auf den Hi-Hats des Schlagzeugs etwa, das akustische Ergebnis aber nicht mehr wahrnimmt, als wäre es von den Weiten des Universums verschluckt.

[...].

Man sollte sich das Hören von Motorpsycho aber nicht als 3 Stunden gleichförmigen Lärm vorstellen. Eine jede Musik ohne laut und leise ist etwas eintönig Langweilendes und kann die Aufmerksamkeit nur schwer bannen. Nein! Es gibt durchaus Passagen die lauter sind als die soeben beschriebenen und für eine angemessene Dynamik in den Musikstücken sorgen. Diese sind zwar zu großen Teilen geschmacksabhängig sehr metall-geprägt, vor allem im Gesang. Aber vor allem die experimentelleren Abschnitte sind eine wertvolle Musikerfahrung.

Und der Lärm darin sogar eine wertvolle körperliche Erfahrung. Nicht nur wenn sich der Bass durch den Boden in die Knochen der Zuhörer fortpflanzt und dort dröhnt. In dieser Erfahrung entdeckt man die Freude in sich, die die Erbauer und ersten Hörer der elektronisch verstärkten Instrumente empfunden haben müssen. Diese tief im menschlichen Instinkt wurzelnde Freude am Lärm. Ein Augenstrahlen wie beim imposanten Krachen eines Gewitters. Derart konzertierter Lärm flößt Erstaunen ein. Wie die Erhabenheit des Donners.

Und so kann man nach einem Konzert von Motorpsycho erfreut feststellen, dass man nun 17 verschiedene Arten von Lärm gehört und zu unterscheiden gelernt hat.

Kommentare
  1. The Passage » Motorpsycho & Ståle Storløkken | 19.04.12 | Conne Island · June 4, 2012 @ 13:25

    [...] oder wenn der Rock auf die Orgel schwappt. Und dann gibt es in all dem bombastischen Krach, den man nie genug rühmen kann, diese eine Stille, in der nur das Schlagzeug klackert, und darin liegt eine ganze [...]

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