Wovenhand | 20.11.10 | Centraltheater

Im Pilot. Wir sitzen und warten auf Team Göttingen. Herr Walte mit Blick zum Eingang sieht irgendwann auf und über sein Gesicht läuft freudiges Erkennen. Wurde ja auch Zeit dass die Göttinger endlich kommen. Doch nicht Wohlbekannte sondern das Erscheinen von Mr. Edwards an der Tafelrunde schräg hinter uns, hat das Mienenspiel des Erkennens in ihm ausgelöst. Der Meister. Sitzt nicht weit von uns. Ganz neben dem taktischen Vorteil — verläßt er das Café, so sollten auch wir unsere Plätze im Centraltheater aufsuchen — ist dies natürlich vor allem von pilgerndem Wert. Die Aura des Meisters in dieser alltäglichen Umgebung. Rotes Tuch um die Stirn, kantiges Gesicht, wuselwirre Haarstränen, ein schlaksiges Bild bis zu den Cowboystiefeln.

Etwas verunsichert stelle ich etwas später fest, dass er doch tatsächlich ißt und trinkt, gemütlich lacht und mit seinen Tischgefährten spaßt, als wäre er ein gewöhnlicher Sterblicher. Beschließe aber sogleich dieses Wissen abzustoßen, um der Welt wieder ihre Ordnung zu geben. Auf derartige Halluzinationen sollte man nichts geben.

Loukas Metaxas. Es hätte kaum eine dem bevorstehendem Ereignis und der Umgebung des Centraltheaters angemessenere Einstimmung als diese geben können. Ruhig, gesetzt, freundlich und lehrreich nehmen Loukas Metaxas mit auf eine kleine traditionelle Musikreise um das schwarze Meer und weiter. Mit Darbuka, der weltbekannten Büffelhornharfe und anderen altvorderen Instrumenten bewaffnet trommeln, fiedeln, singen und erzählen sie ein wenig von ihrer Kultur und strahlen die Ruhe von Reisenden aus, die ihren Blick verbunden in die Heimat zurückwerfen. Die einzige Irritation bleibt der immergegenwärtige Gedanke an Irlands grüne Wiesen und die darunter fast aufbrechende Erkenntnis, dass es einen tiefer im Menschen liegendes Instinkt geben muss, der mit ähnlichem Gebastel aus vorhandenem Material, Tiergedärm, Haut und Holz die nämlichen Töne kreuz und quer überall aus Europa herauswringt. Wäre es Evolution so könnte ich nun mit neuem National Geographic-Wissen den Begriff konvergent einbringen und über das amazonische Flußdelfingeist-Thema das mir diesen Begriff eingebracht hat versuchen in weitem Geisterwelt-Bogen zurück zu Woven Hand zu gelangen.

Wovenhand. Nach üblicher Umbauwartezeit fällt der Blick wieder auf die Bühne und entdeckt erst jetzt auf den Planken mehrere indianisch gemusterte Teppiche, die, neben dem Tuch dass einer Kanzel gleich das Tasteninstrumentarium verdeckt, die Bühne erst richtig gemütlich machen.

Wir sitzen im Centraltheater. Die Bühne ist eine solche. Doch die Aufführung die wir sehen werden ist nicht die eines Schauspielers. Hier wird nichts gezeigt was eigentlich nicht ist, was nicht wahrer Gefühlsausdruck ist. Die Umgebung wird dadurch seltsam. Absurd.

Und mit Einsetzen der Lautstärke setzt die Erinnerung an vergessene Erkenntnis mit ein, wie ein umgelegter Schalter. Dass ein Album von Woven Hand, wie sehr geliebt und oft gehört es wird, sich doch nur wie die Höhlenwand auf der man Schatten beobachten kann ausnimmt. Die Schatten die von diesem anderen Ort aus geworfen werden, dem wirklicheren Ort. Musikschatten der Konzerte von Woven Hand. Während der Konzerte erlebt man das Klargehör, als würde man zum ersten Mal wirklich Klang vernehmen.

Woven Hand im Sitzen zu genießen ist das was vor 2 Jahren in der Moritzbastei herbeigesehnt wurde. Doch wäre zu dieser Musik zu stehen auch erhebend. Doch schließlich, auch Herr Edwards sitzt. Was für ihn würdig ist, kann für das Publikum nur angemessen sein. Und sitzend kann man das zuckende und zappelnde Hin- und Hergerissene in ihm beinahe nachfühlen. Das Vibrieren seiner immer mal wieder ausgestreckten Beine, es ist nichts anderes als der innere Drang zu tanzen, der aber an den Stuhl gebunden nicht anders ausgelassen werden kann, ausgetrieben werden kann, als in körperlichen Verrenkungen verschiedener Stärke. Erzeugt er im Publikum taktklopfende Hände auf Armstützen, Beine oder Nachbarn, oder auch hie und da ein Tremolo als würden die Finger über eine Darbuka sausen, mit dem Kopf Genicke und auf den Boden stampfen, so muss es ihn ja, als dem Hauptquell der Musik viel stärker durchfahren.

Der Blick schweift über die Bühne. Über die Teppiche, und das immer wieder glühend farbig aufleuchtende Tuch an der Kanzel, auf der ein Vogel nicht erkannter Art seine goldenen Schwingen ausbreitet. Über das Schimmern des heftig malträtierten Schlagzeugs, und den stoischen Stand und friedvollen Ausdruck des Bassisten. Er steht nahezu unbewegt still, fokussiert auf das Miterschaffen des Höhlenwandbildes, mit seinem ganzen Sein der Musik hingegeben, und als ruhender Pol ausdrucksverstärkender Kontrast zum ganz im Zeichen seiner Zunft sich verausgabenden Trommler.

Doch dieses Schweifen ist bewusste Anstrengung. Es ist schwer den Blick von dem abzuwenden, was auch immer Herr Edwards mit seinen schamanischen Gesten und seinen Texten sagen, uns sichtbar machen möchte. Wenn er den Klang seiner Stimme bewußt zwischen den beiden Mikrofonen – das eine klar, das andere, das häufiger Besungene, aus der Ferne rufend und dort schon verhallend – wechselt, oder noch zusätzlich die eine Hand zum Gesicht hebt, auf sein Auge zeigt, und in einer weiterfließenden Bewegung einen Trichter auf das Fernmikrofon formt.

Wenn die indianischen Elemente in der Musik durch seine wie Beschwörungsformeln artikulierten Worte und Gesten akzentuiert werden, davonfliegende Vögel, Wahnsinn, Glaube, die Musik raschelt, fiept und zirpt um ihn herum wie ein Wald voller fremd beunruhigender doch faszinierender Geräusche, ich sehe Dich, mein Auge pfeift, plötzliche Ausrufe und Ausuferungen, immer weiter aufsteigende und sich türmende Wiederholungen, hart rollende und schnarrende Sanglaute, immer weiter zur Ekstase bis wieder die vollständige Ruhe einkehrt und das krachendlaute Bild der reinen Ideenmusik auf der Höhlenwand zu einem winzigen Banjopunkt zusammenschmilzt.

Hin und wieder steht der Meister kurz auf, und deutet auf dem Teppich ein zwei Schritte des Tanzes an. Doch es bleibt bei einem Austesten, wie im das Gewand des Tänzers heute passen würde. Wie Teppich und Fußbesohlung harmonieren. Und es scheint nicht ganz der richtige Zeitpunkt zu sein. Beinahe, aber nicht ganz. Die Welt oder er ist noch nicht so weit. Schwer sich vorzustellen was geschehen wird, wenn es so weit sein wird.

Vor der Zugabe eine traditionell indianisch klingendes Zwischenspiel vom Tonband, Herr Edwards verabschiedet sich mit seitwärts hüpfenden Tanzschritten, wie um kurz zu zeigen, wie man es machen müsste, wenn man es denn wolle. So. Seht ihr? Es wäre so einfach. Wäre in eurer Natur. Und den auf die Zugabe Wartenden bleibt in dieser kurzen Zwischenzeit die urtümliche Machtwirkung weitzurückreichender Musik in sich zu bewundern. Auf der inneren Wand Lagerfeuer und ein Tanzreigen. Sie hat bereits alles, viel mehr als vieles was nach ihr kam. Und sie hat die Ideenmusik Woven Hands mit ihrem Zeichen versehen.

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