Godspeed You! Black Emperor | 20.01.11 | Astra

Wir haben den Schlüssel zu einer Wohnung in Friedrichshain. Authorisiert und mit Blumengießauftrag während der neuseeländischen Abwesenheit des eigentlichen Bewohners. Das Ostkreuz ist zugig wie eh. Wie 2003. Auf der Boxhagener Straße überholen wir bereits den dritten Boxer, der in seinem eigentümlich hopsenden Gang Gassi geführt wird. Es ist wieder Winter. Und wir sind wieder in Berlin.

Auf dem Weg zum Abendessen leitet uns das Karma der Tradition — manche würden es Unfähigkeit sich in von nordwest nach südost laufenden Straßen nach Süden zu halten nennen — genau vor das Intim in dem wir vor Jahren anlässlich eines Kaizers Orchestra-Konzertes speisten, und das wir aus einem Gefühl der Aussichtslosigkeit im Kneipenhaufen Friedrichshains nicht zu suchen wagten. Auf dem Weg dorthin offenbaren sich schrecklos leere Räume die irgendwie noch in der Renovierung zu stehen scheinen als der Stil aller Konsumläden Friedrichshains — Friseur, Blumen-, Platten-, Antiquitäten-, Kleidungsladen oder Galerien. Im gleichfalls uniformen Kampf um eine urban kreative Ausstrahlung des Stadtteils gegen die Flut individualloser Schnellrestaurants, die Bilder von reprotechnisch nicht optimal aufbereitetem Essen in neonleuchtenden Schildern ausstellen.

Astra. Punkt 20 Uhr. Wartende Menschen über das ganze Gelände bis zur Straße. Säuberlich in einer Reihe. Godspeed hören prägt und adelt die Seele, ein geklumptes Drängeln wäre vor so einem Konzert undenkbar, zumindest ist man froh Teil einer 2000 Kopf zählenden Menge zu sein, die so empfindet. Auch wenn sie in eine Halle begrenzten Umfangs gesteckt nicht anders kann als nervend eng nebeneinander zu stehen. Und so steht sie, in Dunkelheit, lebenlang, in einer zeitlos wartenden Situation die den Geist abstellt, als etwas einsetzt …

Das Vorgeräusch … mit einem Hintergrundbrummen das aus einer unterirdischen wummernden Technodisco zu stammen scheint. Sich nur sehr langsam verändernd, und diese mangelnde Veränderungshaltung durch Lautstärke ausgleichend. An sich nicht sehr spannend, doch in der Wartesituation beruhigend wenn man es zuläßt. Man wartet. An den Höhrnerven wird gezogen und gehämmert. Was macht es schon. Man wartet sowieso nur. Ein wässriges Saugen, Einschlurzen und Spülen. Bilder von Waschmaschinen wirbeln durch den Kopf. Vorbereitung des Schleudergangs. An den Nerven reißend, doch auch Faszination verbreitend. Es scheint in der unnachgiebig bestimmten Lautstärke ein wenig wie das Geräusch das man hören müsste wenn man einer kleineren Galaxie beim Entstehen zusehen würde. Man wohnt der fortdauernd langsamen Zermürbnis des Universums selbst bei. Und wenn das der Zweck gewesen sein sollte, so gebührt der Vorführung von Total Life/Kevin Doria Anerkennung.

Und der denkende Geist treibt weiter. Am eigenen Selbst ein Sozialexperiment beobachten zu können, wie Menschen auf anhaltend Seiende Geräusche reagieren. Auf die Abwesenheit von Stille zwischen Geräuschen. Wenn es keine Stille mehr gibt. Nie mehr, und Pausen in denen Musik statt des Geräusches erklingt als die einzige Pause im Geräusch, als eine neue Stille empfunden werden. Die Stille unserer Zeit. Zu diesem Experiment macht man sich schließlich bewußt auf, wenn man Godspeed You! Black Emperor hört. Und das Vorgeräusch ist daher recht einstimmend gewählt. Eine erhabene Kritik an die Gesellschaft unserer Zeit die sich in die Hektik beständiger Geräuschkulisse ergibt und nie zur Ruhe kommt.

Es wird als Vorbereitung, im Kontext der Erwartung des Anstehenden, auf das was einem Godspeed You! Black Emperor vermitteln werden, zu sehendes Geräusch, ein reinigendes Ritual erfahren. Oder eine vorbereitende Störung die sich durch Godspeed entfalten und reinigen wird. Lautschreiende Unmutsäußerung zum Ende aus dem Publikum zeigt dass Teile der Welt hierfür noch nicht bereit sind. Noch weit davon entfernt derlei auszuhalten, sich dem bewußt zu stellen.

Irgendwann ist es zuende. Und das Warten auf Gy!be setzt wieder ein. Warten in körperfliehenden Schlummer. Müdigkeit. Doch in Erwartung auf Gy!be spielt keine Müdigkeit eine Rolle. Man erwartet es einfach. Bis wieder Töne einsetzen. Und man wird in diesem Gefühl gleich gehe es los auf die Geduld gespannt. Ein hierzu klärendes Zitat aus einem Forum gefischt:

»die Stunde lärm vorher nennt sich Hope Song und ich finde diesen part irre spannend das gebrumme am anfang bis zu den ersten richtigen tönen. Dieser Teil ist improvisiert deshalb bei jedem Konzert anders und man weiss nie wann es losgeht.«

Schließlich könnte man das als den tiefsten inneren Grund von Godspeed sehen. Es ist wie eine instrumentale Meditation. Eine Langsamübung. Die einen schließlich mit jedem anschwellendem Krach, jeder sanften Windung, jedem sägend süß in die Höhe wirbelndem und jaulendem Geräusch, jedem Wechsel von anstrengend zu balsamierend, von ephemeren Alltagstonspuren, verstörenden Motorenlärm und Schraubenlärm zur gleitenden Ewigkeit weiter entführt. Unendliche Entfaltung in unendlicher Variation.

Doch das Ausschließen des Äußeren gelingt dem ungeübten Meditationsgeist in bis zum Ausverkauf gedrängten Konzerthallen nicht ohne weiteres. Anfangs steht alles unglaublich viel zu eng, und als Gy!be endlich die Bühne bevölkern ist es die gewohnte Frustration über große Veranstaltungsräume. Was tut man hier, wie könnte man hier das erhören, fühlen und leben was einem auf dem Album oder in kleineren Räumen wiederfahren würde? Wenn man sich vor umstehender Ablenkung nicht bis vor auf die Bühne konzentrieren kann. Man erfährt wohl die Freude über den Unterschied des überiridisch perfekten Klangs auf dem Album, und dem robuster und realer wirkenden Liveklang. Rauer. Scheppernder. Doch trotzdem liegt in ihm unglaublich abgestimmtes und ergreifendes Können. Wird aber immer wieder durch die beengten Begebenheiten in der Konzentration auf die Musik abgelenkt.

Nach Platzwechsel und gewonnenem Raum, neuer Sicht auf Bühnenausschnitte, setzt ein, wofür man da ist. Diese speziellen Momente. Dieses mehr Verstehen, Erkennen der Musik, durch das Sehen wie sie entsteht, jeder einzelne Klang. Sie entsteht dort vorne und schwebt einem entgegen. Auch wenn durch späteres Studium diverser Livemitschnitte klar wird, dass man in derart vollen Hallen, weit ab von der Bühne noch das wenigste an visueller Einsicht der Geräuschentstehung erhält. Weder wie mit Schraubenzieher an den Gitarrenseiten entlang geschabt wird, noch die Mimik und Haltung der Musiker, die das Werk vollbringen. Verschiedentliches Erhaschen einzelner Musiker, die beinahe versteckt in ihren von musikalischem Geräusch erzeugenden und verstärkendem Gerät zugestellten Ecken auf der Bühne kauern, die meisten über ihr Instrument gebeugt als müssten sie es bewahren wie einen Schatz.

Was als klarstes erkannt wird ist somit die hochgehaltende Geige. Aus dem sich unaufhörlich meist unverfolgbar wandelnden Grundgeräusch hebt sich der in langsamen Zügen gespielte Klang der Geige heraus, Aufstrich, Abwärtsstrich, bis alles andere verstillt. Und während der elektrisch vertärkte Klang sich ausbreitet bleibt alles andere in einem stehen (Albanian, um Minute 13:00). Es ist kein süßer Popgeigenklang, sonder er ist eher herbholzig wie eine alte Kirchenorgel. Und wenn der Klang zurück in das Meer anderer Geräusch sinkt, leutendes Geklirre, sich gegenseitig hochjagende Gitarrenspurren und paukende Schläge, dann kann man ihm dahin noch ein Stück weit folgen bis er aus der Sicht taucht.

Am Tag nach dem Konzert wird Berlin unwirtlich. Unwirtlicher. Der Himmel kalt, die Temperatur grau, in Gegenregen kämpfen wir uns die Warschauer Straße hinunter bis zum Schlesischen Tor um mit Frl. Gründl noch ein kleines Mittagessen/Frühstück einzunehmen. Es beginnt zu schneien. Mit der U-Bahn/S-Bahn zurück. Über der Spree liegt dichter Nebel, der Blick reicht keinen Meter mehr weit. Berlin sollte es nur im Sommer geben. Es ist keine Stadt für den Winter. Es wird Zeit für Zuhause.

Kommentare
  1. The Passage » Godspeed You! Black Emperor | 5.08.13 & 6.08.13 | UT Connewitz · August 18, 2013 @ 14:11

    [...] Schädelknochen wummernden, Galaxien schlurzenden Waschmaschinengetöse von Kevin Doria, damals bei Gy!be in Berlin, 2011, geradezu eingängig und abwechslungsreich, wenn dies auch manchmal, und in diesem Fall auch ganz [...]

Kommentar schreiben:

Der Kommentar muss möglicherweise erst freigeschaltet werden, bevor er hier erscheint ...