Frank Turner ::: Social Distortion | 2.06.11 | Haus Auensee

Haus Auensee. Wände in Taubenblaugrau. Dunkles Holzgebälk. Und olivgrün verbleichte Vorhänge. Gegen diese Scheußlichkeit kann auch stukkativer Bordürenbogen über der Bühne nichts ausrichten. Schuljunges und wohles Gefühl.

Die Bühne ist dafür geschmackvoll mit USA-Artefakten geschmückt. Knallrote Boxhandschuhe, ein rot-weiß-blaues Glücksrad in Standuhrform. No parking-Schild. Und ein blau leuchtendes American Jesus-Kreuz. Ich kann es aus meiner Perspektive nicht erkennen, bin mir aber sicher dass der ganze Boden mit Stroh ausgelegt ist, um den Bildeindruck zu vervollkommnen.

Nur wenige wartende Weilchen vergehen, in denen die überschaubare Diversität vorhandener Schuharten aus der Sitzperspektive klassifiziert wird. Chucks vs. Adidas mit weißen Streifen vs. Vans. Ballerinas und diverse unter ferner liefen. Weitere Analyseansätze der Publikumshomogenität liefern Tätowiertheitsgrad und Rockabillystil. Doch die visuellen Ausschweifungen werden schon bald durch Unerhörtes unterbrochen. Nie dagewesenes. Revolution!

Die Unerhörtheit des Abends. Auf der Karte steht Einlaß 19 Uhr, Beginn 20:00. Und mit Schlag Acht betritt ein junger Mann die Bühne, und stellt sich mit den Worten »Mein Name ist Frank Turner, ich spreche kein Deutsch« akzentfrei vor. Seine Stimme schreit hübsch kräftig und ist wie gemacht dafür weittragende Hymnen vor schlichtem Gitarrenhintergrund vorzutragen. Er sollte nichts anderes singen. In Moneybrothermanier juchzend über die Bühne springend und seinen Vorbandjob glänzend animierend in einer halben Stunde erfüllend sammelt er über seine höfliche Pünktlichkeit hinaus Sympathiepunkte, die ausgleichen, dass seine Nichthymnen manchmal etwas nichtssagend vor sich hindröppeln.

Social Distortion. Haben Spaß gemacht. Vielleicht da näher dran als im Zenith, weitaus mehr Laune als in München. Leider das markigste Markenzeichen, die einmalig knarzige Stimme des Sängers etwas zu wenig hervorgehoben hinter den Instrumenten. Aber die ersten Lieder beginnen mit Schwung. Sänger plappert und erzählt genausoviel wie er dann singend weitererzählt. Touritag in Leipzig. Männertag. Und woran er, wie auch Frank Turner vor ihm glauben. Rock ‘n’ Roll und Johnny Cash. Bud Spencer am Schlagzeug. Abnorm viele HighHats um ihn herum. In einem Lied hält er sie alle gleichzeitig am Schwingen und das Bild erinnert an Tellerbalance-Vorführungen im Zirkus.

Als die Sicht zur Bühne sich mehr und mehr mit Rücken verstellt, muss der Blick woanders hin schweifen und entdeckt in einem kurzen Vorbeigleiten zwei Reihen hinter mir stehend Lord Death Star. Er hat lange blonde Haare, römisch strenge Gesichtszüge und eine Sonnenbrille. Der Blick geht absolut geradeaus zur Bühne. Es ist gruselig. Er macht mir Angst. Es ist wie eine Analogie auf das Leben, dass so leicht und unbeschwert wie dieser Konzertabend beginnt, bis man hinter sich Lord Death Star entdeckt und ab dann mit dieser Gewissheit weiterleben muss. Es ist wie bei allen Analogien so, dass sie sich gerade deswegen so aufdrängt, weil es mit dem wirklichen Fühlen im Leben nichts zu tun hat, sondern nur mit der Vorstellung vom Leben. Mit dieser Analogie beende ich den Bericht. Beim dritten Blick zurück ist er nicht mehr zu sehen, mit einem Mal wieder unsichtbar.

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