Jeniferever | 4.06.11 | Nato

Sie waren wieder da. VI, III, II. Es klingt etwas Neu darin.

Das Wiedersehen. Mit Jeniferever durch Leipzigs Konzertvenues pilgern. Sie waren im UT, im Panam, in der Mule und nun in der Nato. Und irgendwann in fernen Jahren werden sie hoffentlich jeden angemessenen Ort Leipzigs mit ihrer Musik beehrt haben; sie werden hoffentlich nie von diesen regelmäßigen Besuchen absehen.

Der heutige Bühnenanblick ist ungewohnt. Es ist Platz. Auf der Bühne. Ist es der Blick sonst gewohnt Equipment und Band in kleine Ausschartungen, wenn nötig übereinander, gestopft zu sehen, so ist diesmal um jeden Instrumentenschauplatz eine freie Fläche. Wie lauter kleine Inseln. Der Eindruck wird perspektivisch illusorisch verstärkt, da beispielsweise das Schlagzeug von einer komprimiert gedrungenen Bauweise ist, die auf der relativen Weite der Bühne ihres ursprünglichen Pferchsinns entbehrt.

In der Nato ist es nach der Vorband ruhig wie gebannt. Erwartung. Es ist, besucherseitig, ein kribbeliges Gefühl des Wiedersehens, wenn sie erst einzeln über die Bühne laufen um nochmal vor dem Auftritt ihre Instrumente zu begutachten, um schließlich gesammelt zu erscheinen und unprätenziös loszulegen. Es fühlt sich gut an, vor der Bühne zu sein, während Jeniferever dort oben stehen wie eh, und doch gewachsen. Und wie bei alten Freunden die man nur selten sieht, bemerkt man Veränderungen. Nichts Wesentliches erst. Kleinigkeiten.

So wirken sie, vor allem im Vergleich zum konzertabgekämpften Erscheinen am letzten Tag der vorhergehenden Europatour, dieses Mal aufgeräumt und leicht, frisch und erholt. Keine Spur der ebenso schon lang währenden Tour ist ihnen anzusehen. Doch bei all der Nonchalence des Auftretens, gibt es kein Nachlassen in ihrem Spiel.

Evolution zur Leichtigkeit. Und so wie ihr Äußeres verändert scheint, so bemerkt man auch in ihren Liedern etwas. Etwas dass die Gedankenfühler nicht mühelos ertasten und somit nicht auf Anhieb benannt werden kann. Die Schwermut ist nicht verschwunden, aber wird aus anderer Richtung angesteuert, wird mit einer heiter erfahrenen Grundhaltung verstellt. In ihren Liedern gibt es immer leichtere, schwebendere Töne, mehr Schwung. Es ist die Evolution zur Leichtigkeit. Den wenigsten Bands gelingt es ohne Schwere noch eine musikalisch interessante Aussage zu generieren. Jeniferever sind zu sehr Musik, als dass man sich ein derartiges Verblassen jemals vorstellen könnte. Ja beinahe unfassbarer Weise werden sie immer noch besser und perfekter. Schwer fassbar, da man in jedem Jahr denkt, noch besser wäre nicht möglich. Mit jahrelangem Verfolgen ihrer Konzerte diese Entwicklung zu sehen ist ein interessant verbundenes, wenn auch unverdientes Gefühl von gemeinsamen Erleben der Jahre mit einer Band. Eine kleine Teilhaberschaft.

Und in der Bruderschaft der Teilhaber, bestehend aus Hr. Alex, Hr. Walte und mir wird sie daher aufgeworfen und in den Raum gestellt. Die Frage. Sie scheinen verändert. Was ist es?

Es ist die Leichtigkeit, ja. Aber es ist auch ihr Auftreten. So sicher wie nie in dem was sie machen, an dem Ort an dem sie sind. Es zeigt sich im Umgang mit dem Publikum, unbeschwert. Das Klischee ruft: sie haben die dunklen Tiefen des Erwachsenwerdens hinter sich gelassen und sind zu einem Selbstgefühl gelangt dass das Leben auf freundlich kameradschaftliche Weise versteht. Haben dabei aber trotzdem nicht die eruptive Kraft das Gewaltigste aus ihrer Musik herauszuspielen, eingebüßt. Sie sind Magier die ihre musischen Elemente endgültig beherrschen, das Adeptenstadium lang hinter sich gelassen haben. Und dabei versetzen sie sich immer noch in den Proberaum. Kleine Jungs. Ihre Spielzeuge. Dies und das ausprobieren. Soviele Effektgeräte, soviel Möglichkeiten. Ein Lied klingt aus, und vor die Maschinerie gekniet wird den abschließenden Geräuschtönen bis auf den Grund nachgehört. Der selbsterzeugte Zauber selbst gespürt.

Ferne Orte des Geistes. Der menschliche Geist kann an verschiedene Orte reisen. Sie sind alle im Inneren erreichbar. Und sie haben verschiedene Zugänge. Diese Orte können nicht visuell beschrieben werden. Es sind Orte ohne Raum. Man weiß nur wie man sich fühlt wenn man da ist, und erkennt sie an diesem Gefühl wieder. Lieblingsorte sind die, an denen man sich ganz buddhistisch nah am Grundstoff des Wesens zu befinden wähnt, auf dem das Ich aufgewebt ist. Man ist leer vom Ich. Einfach glücklich. Die Musik von Jeniferever führt den Geist dahin … wieder auf einen alpinen Steig im Mai …

»Connect the places within us to homes that we build. We carry treasures filled with tokens of who we are and where we’re from, veil stones in velvet so they won’t get torn.«

… von Naturerleben in trunkenen Taumel versetzt. Drei Hasen hüpfen über ein Feld. Es sind Feldhasen. In einiger Entfernung scheucht sich ein Hühnervogel auf und fliegt tief und bauchig über einen Acker davon. Der Feldweg führt schließlich an den von Zirpen laut sirrenden Alpinensteig. Allein, niemand anderes da. Geräuschlauter zirpender Hang. Brausend. Als säßen in der Wiese Vogelscharen, unsichtbar. Wind, Sonne, die konzertierenden Zirpen, die Natur in ihren Details, Blumen in diesem weiten Steingarten, der holprige Weg, der den Gang etwas unstet aber auch leicht macht, die erhöhte Lage über den umliegenden Dörfern. Ganz allein im satten grillenzirpenden Grün, der Wind weht, die Luft weich und klar, Schmetterlinge, Mücken, schwebender Flaum und Blätter. Zauberwelt. Aus der Ferne weht immer mal wieder ein kuckuck herbei und irgendwann steht man am Abhang und sieht den Wald auf der anderen Seite und von dort ruft es herüber.

Und wenn man sich in die Mikronatur wirft, findet man dort japanische Eleganz, von der Natur entstanden. Es ist der große Blick und der Kleine. Alles zusammen. Und während es genügt, dass man den Ort einfach nur in sich aufnimmt, nur zu laufen und zu schauen und zu hören, allein, selbstvergessen, sind alle Gedanken des Ich nur aus der Ferne wahrnehmbar, seltsam verschwommen. Aber man versteht sie, sich. Ein fernbewusstes Wahrnehmen und Erkennen. Man fühlt sich frei und beschwingt. Währenddessen gibt es Verbindungen die man spürt, Momente in denen der Geist schon einmal hier war, vielleicht auch das Gefühl dass er gerade nicht allein an diesem inneren Ort ist, und man ihn teilen kann mit wem auch immer man herbeirufen möchte.

Wenn ich nun wieder das Kind wäre, damals gefragt nach dem was ich einmal werden will, vielleicht hätte ich antworten sollen: Einsiedler. Ich möchte einmal Einsiedler werden.

In der Essenz fühlt das Zuhören sich an als würde man an einem schon recht sonnenwarmen Tag in dunkelgrünem Gras liegen, alle Gliedmaßen strahlenförmig ausgestreckt, an einer Anhöhe, und der Wind streicht in einer Brise über einen hinweg. Wohlgefühl.

Etwas ist anders. Immer noch sind alle Lieder im Hintergrund des Hauptgeschehens angereichert, mit einer Fülle von Klängen, wabernd, dicht, und in unterschiedlichen Richtungen lokalisiert, so wie es die Welt ist, wie es der Erfahrung entspricht. Es ist unkünstliche Musik, die nicht versucht abstrakt etwas der Natur Entrissenes zu schaffen, sondern sich in ihrer Nachahmung gefällt.

Doch etwas wirkt anders. Zur Weisheit gelangt. Noch mehr als zuvor? Eine Täuschung? Wie kann man das was man aus nonverbalen Signalen empfängt sicher auslegen? Was im Auftreten in Erscheinung tritt, wie auch aus den Liedern heraus diffus erahnt wird, bestätigt sich in den Texten zum Album Silesia. Auch Worte bergen die Möglichkeit der Fehlinterpretation. Vor allem dass das was man aus Ihnen herausliest, zu genauso großem Teil aus einem Selbst kommt, als aus den Texten. Man wandelt sie sobald man sie liest und münzt sie auf die eigene Erfahrung. Doch ist diese Unschärfe bei Worten schon weniger weit als bei Musik, die noch viel freier nach der eigenen Gefühlslage verarbeitet wird.

Kurz klingt das an die Oberfläche abtreibende Tourdasein an. Doch in den Strudel in dem viele versinken, haben Jeniferever etwas mitgebracht, was sie in jeder Situation reflektierend an der Oberfläche hält. Abwartend. Und alles in allem, ist dies nur eine belanglose Nebenstrecke in ihren Gedanken, der sie keine allumfassend ihr Leben bestimmende Gewalt einräumen. Es gibt Einschneidenderes.

In den Worten der vergangenen Texte klang hinwieder heraus, dass sich Jeniferever auf einem Weg befinden. Vielleicht suchend, vielleicht auch nur einfach ziellos umher wandernd, so oder so nachdenklich. Sich manchmal wundernd, hie und da Bemerkenswertes erkennend und dies festhaltend. Auf Silesia scheint es, dass sie an einer Weisheit angelangt sind. Die Texte zeichnen den Weg nach, und bieten eine Erklärung wenn man sie will, welche Veränderung vielleicht seit Jahren stetig zu dem Punkt führte an dem sie nun sind.

»The beliefs we grew up with failed us to soon. The shoulders you leaned on, they can’t hold you no more. The lines you inherited, that’s all you have.«

Eine Entwicklung deren Strom natürlich von äußeren Begebenheiten nicht unbeeinflusst ist. Verraten wird dass vor diesem Punkt eine tiefdunkle Strecke lag, und sie erfahren mussten dass das Leben nicht nur einfach ist.

»we bare colors of grief, in sorrow we meet, we revise our history, fill the gaps in it.

As the dark turns to dawn, the bells of copper toll. Bring the strength you can carry. There’s a long road to come.«

Jedem den diese oder ähnlich schwere Erfahrungen schließlich erreichen, bietet sich eine ganze schillernde Farbenzone an Möglichkeiten wie er damit umgehen möchte. Sie lassen sich vielleicht auf zwei Hauptstränge einschrumpfen. Man kann fortan das Leben und die Weise wie die Welt eingerichtet ist, beklagen, bejammern und verzagen. Eine Haltung die das Leben verbittert und verdüstert.

»For seven Years in spheres of glass, aiming reflections in to dust, we’ve emptied our trust«

Oder man geht mit neuem Erkennen und Erfahrung getränkt, gestärkt daraus hervor. Sieht das Leben nun noch mehr wie es wirklich ist. Sieht dass man im Großen nicht darauf einwirken kann. Das man annehmen muss.

»There is a hook on which a rope to me is tied. When I find it I’ll cut myself loose.«

Erkennt aber vor allem, dass all das der Schönheit nicht im mindesten Abbruch tut. Sieht die Schönheit im Schmerzlichen. Dass das Leben nur noch umso mehr strahlt. Voller. Gesamter. In allen Schattierungen. Es ist Lebensgelassenheit die — ohne Rede natürlich nur dort in bis zur letzten Konsequenz und Perfektion ausgeübter Weise, da nur dort unter lebensabgeschiedenen, jahrelangen Mühen errungen — buddhistischen Meistern eigen ist, doch im Kleinen jedem offensteht, der in das Leben hineingeraten ist. Und in dieser Leichtigkeit lässt es sich nun weiterleben. Versöhnt mit dem Ende.

»To the beat of our own blood we dance past the final curtain call, past regret and the angst that we get for stabbing our own. To the beat of our own blood we dance along the lines of our bones. Out with history, in with relief and ease.«

Nun ist natürlich dieser Weg an sich zutiefst selbstbezogen und selbstgenügsam. Und moralische Mängel würde er zuhauf aufweisen, würde man nachdem er durchwandert ist, vom finalen Punkt her nicht denen leuchten, die noch in ihm gefangen sind. Und so sendet Jeniferever ihre Musik aus, wie ein Leuchtturm das Licht. Das Klanggewebe allein führt einen schon hilfreich in das eigene Innere. Wer von dort aus weiter möchte, dem kann man das Lesen der Texte ans klopfende Selbst legen.

noch Kommentarlos

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