Mogwai | 1.11.11 | Werk II

Die Frage nach zu lauter Musik stellt sich
mit zunehmenden Alter wohl immer weniger.

Mogwai eilt manches voraus.

Die glückvolle Erwartungshaltung wenn man den Namen Mogwai hört und vor sich hinsagt. Und das Wort live dazu. Mogwai. Live. Wie eine kleine Melodie.

Bilder die man seit dem Genuß der Burning DVD mit sich im Kopf herumträgt, von Menschen, unmittelbar vor der Bühne, in einem kleinen Club, in Glückstrance, und Musikern in ihrer Musik.

Und natürlich der Ruf eine der lautesten Bands zu sein, die es beiderseits sämtlicher Weltmeere gibt.

Nun ist es manchen nur gegönnt Mogwai in der in der Erinnerung gigantische Ausmaße annehmenden Halle A des Werk II erleben. Das letzte Mal waren wir zusammen mit Herrn Odysseus zu Bad Religion in Halle A. 2008 war das! Die Meinungen mögen auseinanderstreben und vehement verfochten werden, doch tatsächlich ist es weder länger noch kürzer her, keine Erinnerung mag die Zeitspanne korrekt zu bemessen.

Für eine riesenhafte unpersönliche Konzertlocation ist die Halle erfreulich undrängelig mit Zeitgenossen gefüllt die sich angemessen ruhig verhalten können, und der Geist wird sich nicht damit abmühen müssen mit derartigen Störfaktoren fertig zu werden. Das Publikum connewitztypisch so, dass es sich lohnt einen Altersdurchschnitt zu ziehen. Wir lassen uns auf Höhe des Mischpults stehend nieder und schon bald bewegt sich etwas auf der Bühne.

Gruff Rhys, ein putziges Kerlchen mit Anglermütze und darunter hervorlugendem Bart singt, loopt, klimpert und rasselt mit Pfeif und Zwitschertönen unterlegte Stückchen zusammen. Einzelne Loopteilchen mögen irgendwann ausgeleihert sein, doch alles in allem eine kurzweilig und faszinierende Vertreibung der Wartezeit auf Mogwai.

Während bei Gruff Rhys noch Gemurmel und vereinzelte Unterhaltungen durch die benachbarten Konzertgänger liefen, ist das Publikum im Moment in dem Mogwai sich auf der Bühne einfindet allumfassend und erwartungsfroh leise und bleibt es. Eine umfassende Stille im Lauten, über die sich die Musik von Mogwai ausweitet.

Weit weg von der Bühne erhascht man nur hie und da einen Blick auf einen vereinzelten Kopf der Musiker. Kurz wird aus der Ferne das faustdicke Grinsen des Chefs erspäht, das von der Burning DVD bekannt ist, und wie er sich mit seinem ganzen gitarrenverbundenen Körper in seine Musik hinweinwirft. Doch meist sind die Sinne allein, mit dem was sie in der Musik wahrnehmen, nur begleitet von den Lichteffekten der Show.

Und Mogwais Musik umschließt einen, so wie man es vom Ozean immer erwartet, wenn man in ihn eintaucht, es aber nie geschieht. Man denkt man müsste die Wassermassen bis in den letzten Winkel, vom Ort an dem man sich befindet hinaus aufs offene Meer, an dem die Wasseroberfläche die einzige Landschaft ist, wie er farbenfroh um tropische Inseln in seichter Tiefe funkelt, sich gegen arktische Klippen wirft und bis hinunter in seine Tiefen wahrnehmen, müsste ihn in seiner ganzen gewaltigen Ausdehnung spüren, sich dessen irgendwie bewußt sein. Man müsste ihn bis ins letzte Detail seines Wesens begreifen, wie er sich ausbreitet, aufgeteilt in unendlich viele kleine Auswüchse sich in jeden erreichbaren Winkel des Festlandes ausstreckt und einen Großteil der Erde gleichzeitig berührt.

Doch wenn man in ihn eintaucht, so nimmt man immer nur das Unmittelbare des Ozeans am jeweiligen Ort wahr. Ein Platschen, Wellen die um einen herumtollen. Seine Nässe. Das Bewusstsein interagiert nur mit einem kleinen Ausschnitt, alles was weiter weg liegt, ist wie nicht existent, nicht relevant für das unmittelbare Erleben.
Vor Mogwais Musik steht man, wie vor diesem unendlich riesigen Gebilde Ozean, sieht alles, und fühlt sich so winzigklein wie man ist. Die ganze Größe ist bis ins kleinste Detail wahrnehmbar. Die Musik ist überall.

In das nicht erniedrigende sondern erhebende Gefühl der Winzigkeit des Selbst, schleicht sich Benommenheit. Die Augen gehen zu, sie haben ja kaum was zu sehen. Stroboskopflackern der Lichtshow. Mit geschlossenen Augen beinahe nicht auszuhalten, der einzige Input blitzhelles Flackern im Zusammenspiel mit dieser Musik. Ein sich verlieren. Der Körper schwindet. Entselbstet. Ein Fallen, wie ein Rasen durch Leben, Zeit und Raum bis ans Ende. Nach endloser Zeit hört das Flackern auf. Bruch.

Es ist dunkel. Man ist im Nichts. Nur die Musik ist noch da. Ganz sacht geworden nach dem Stroboskoprumpeln. Man fühlt sich nach all dem ein bisschen so als wäre man im offenen Universum*, mehr, außerhalb. Kein schwebendes Gefühl, einfach nur: man ist nicht mehr.

Dies ist nichts was nur durch Lautstärke allein zu bewerkstelligen wäre. Es ist kein technischer Kniff. Es ist Musik die einen hinwegnimmt. Es liegt vielleicht in der Art wie sie geschichtet ist, konstruiert, eine Art Code in ihr, der eine Programmierung vornimmt. Alles ist in Aufbau und Komposition rein und klar, verquere Töne, das Geschrammel der E-Seiteninstrumente, das Laute, Harte und Ungestüme fügt sich immer harmonisch, auf dem Vorangehenden aufbauend. Es ist die Schaffung einer Idealwelt aus Musik, weitabstrahiert von der Wirklichkeit.

Nach dem Konzert, während das Erleben mit und ohne Ohrstöpsel verglichen wird, und sich die Halle lehrt, wird der Blick wieder für die Halle selbst frei. Lautsprecher, nicht nur vorne an der Bühne, sondern auch hinter der Position an der wir standen, werden entdeckt. Nun könnte man meinen … Nein. Das Gefühl ganz von der Musik umschloßen zu werden rührt sicher nicht daher. Realismusquatsch.**

Und dank eines vorwarnenden Blickes, vielleicht auch da man sich im Konzert soviel mehr in der Musik befindet, auch wenn der Blick auf die Bühne so minimal ist, dass man das auf der Burning DVD ersichtliche Abzählen nicht sehen kann, gibt es kein Zusammenzucken an der Mogwai fear Satan-Stelle bei omtrent min 8:16. Evolutioniert.

* natürlich kenne ich dieses Gefühl
** üble Nachrede, siehe Ion Tichy

noch Kommentarlos
Kommentar schreiben:

Der Kommentar muss möglicherweise erst freigeschaltet werden, bevor er hier erscheint ...