Crippled Black Phoenix | 2.11.11 | UT Connewitz

Gesang eines Metallwals

Der Phoenix. Lahm. Schwarz.

Immer wieder steigt er etwas mitgenommen und zerfleddert auf, um mit nicht nachlassendem Eifer Konzerttouren zu absolvieren.

Das Pech das ihn verfolgt, ignoriert er, immer weitermachen, nicht nachlassen. Mit jedem Rückschlag wird er für kommende Schicksalsangriffe unangreifbarer. Und irgendwann werden sie alle von ihm abprallen.

Es ist eine besondere Möglichkeit und Kostbarkeit unserer Zeit dass man sich vor alsbald anstehenden Konzerten durch arglose Botschaften, die die Bands über soziale Netzwerke streuen, in Unruhe versetzen lassen kann. Verbindung die man fühlen kann. Sei es dass eine Konzertlocation abgesprungen ist, ob irgendwer in jener oder welcher Stadt eine andere wüsste, oder gar selbst betreibt, oder immer lauter werdende Aufrufe, dass nach diversen neuen Bandmitgliedern gesucht wird, nur wenige Tage vor Tourbeginn.

Werden sie, wird der Phoenix es schaffen, oder doch nicht kommen? Das monatelang erwartete Konzert doch nicht stattfinden? Was einem einmal in Aussicht gestellt wird, das darf nicht weggenommen werden. Wie gestohlen wäre das. Der Phoenix richtet sich nervös sein gefläddertes Gefieder um bereit zu sein und man selbst bangt noch nervöser fernab des Geschehens mit.

Der Tag ist da. Wir sind im UT. An der Kasse. Nicht nur der Phoenix hat es geschafft. Auch das Dale Cooper Quartett wird Unkenrufen zum Trotz zwei Tage später auftreten wie wir erfahren und wie mir natürlich von Anfang an klar war. Nun heißt es nur noch warten. In den am Rand aneinandergeschobenen Kinositzen pausieren und warten. Warten auf den Phoenix.

Mit dem Gespür molekular unbewusster Teilchen die wartendem Konzertvolk als ganzem zu eigen ist, bewegt es sich schließlich in einer Weise die anzeigt dass das Konzert gleich beginnen wird. Ein sachter Strudel der direkt vor der Bühne für mehr und mehr Unruhe sorgt, bevor die Anordnung wieder entfernt so etwas wie Stabilität gewinnt. Wir warten ab, müde vom Tag und vom Warten, bis wir erkennen dass es tatsächlich schon Crippled Black Phoenix sind, die diese szenarisch besondere Bühne betreten. Mit neu erwecktem Elan begeben auch wir uns nun nach vorne, es beginnt.

Der Gesang ist klarer, hervortretender, als beim letzten Mal. Er bindet vielmehr Aufmerksamkeit. Mit dem Publikum wird gemütlich interagiert, die nächsten Stücke angesagt, kleine Scherze eingestreut, die trocken verschrobenen Humor zeigen, und es scheint als wünschten sich Herr Greaves und Sänger Joe Volk das Publikum würde mehr mitflachsen. Umso erfreuter ist die Band dass es wenigstens für den woooah, wooo-ooaah, woh oh oh oohh, wooaah-ohhhoh Gesang-Part ansprechend mitmacht. Handhochreißenden Animationsversuchen widersetzt sich das Leipziger Publikum aber weiterhin, ein Gast aus Wuppertal sticht heraus. Ansonsten ist das was das Publikum der Band zu geben hat nur dankbarster Applaus.

Die gelöste Musikerproblematik hinterläßt Faszination über das Können von Musikern, in diesem Fall neu eingesprungener Pianistin/Sängerin und einem Schlagzeuger, die nur eine Woche bis weniger Zeit hatten um das ganze Set zu erlernen. Und sie bewerkstelligen es. Auch wenn man dem jungem Schlagzeuger die tropfende Konzentration hinter dem tapferen und erfreuten Lächeln deutlich ansieht, oder gerade deswegen, ein bemerkenswertes Detail einer eindrucksreichen Show. Sich auszumalen wie es für eine Band ist, wenige Tage vor dem ersten Konzert der Tour, noch ohne Drummer … Herr Walte weiß natürlich zu ergänzen, dass der Bandchef selbst hätte einspringen können. Doch dann hätte es eine Gitarre weniger gegeben. Das wäre ja wie nichts, und ein unbefrautes Tasteninstrument.

Während der Stücke ist man immer wieder mit der schwer fassbaren Leistung der beiden Neuzugänge konfrontiert. Es kann sein dass das Piano an manchen Stellen holpriger geklungen hat, das Schlagzeug vielleicht an wenigen Stellen für einen Nannobruchteil aus dem Takt ausgesetzt, gezögert hat. Doch fein genug wäre wohl mein musikalisches Empfinden, nicht aber eben jenes Hören um das beurteilen zu können. Dem Erleben der Musik hat es im Vergleich mit dem letzten Mal so oder so keinen Abbruch getan. Es war gleichermaßen fantastisch. Oder diesmal waren nur alle Instrumente in der Lautstärke besser austariert, und das Piano daher soviel auffälliger zu hören. Der Pianopart bewußt anders interpretiert, weniger weich und verbunden, sondern einzeln und abgehakt angeschlagen. So oder so, unfertig eingesprungen oder bewusst, es steht den Stücken genauso gut.

In ein, zwei unbekannten Stücken werden mit ziemlicher Wucht Mehrklänge in die Tasten geschlagen, was sich sehr schön im ganzen wimmelnden, nicht zur Gänze erfassbaren Klanggeschehen ausmacht. Ein Unterschied zu Mogwai auf den man den Finger legen kann. Die Lieder von Mogwai zeichnen sich durch Klarheit und Schönheit in der Einfachheit der Struktur aus. Der Zauber liegt darin wie diese Klarheit ausgestaltet und angereichert wird. Wie ein geschaffenes Ideal der Welt.

Crippled Black Phoenix ist mehr wie die Wiedergabe des Lebens, zu vielfältig jeder Augenblick, wenn es erstmal in Fahrt gekommen ist, als dass man es erfassen kann, was alles gleichzeitig, in schnellem Wechsel und in unterschiedlichster Weise geschieht, und immer nur in kurzen Augenblicken kreuzt sich das Musikgeschehen zu kurzen gemeinsamen Momenten, in denen alles aufgeht, man den Faden wiederhört und ihn wieder aufnehmen kann, atemlos folgt man, immer einen Schritt dahinter. Doch sie macht jauchzenden Spaß, diese Verfolgungsjagd, während man irgendwie auch wie von außen dabei zusieht.

Auch die Musiker selbst gönnen sich ein jeder mal eine Auszeit von all diesem Leben, treten zurück und genießen. Sich auf ein Bühnentreppchen setzen, vielleicht trotzdem noch voller Freude mit den Händen mittrommeln, aber irgendwie nicht mehr ganz so tief drinnen zu stecken, bevor es wieder ab ins Getümmel geht. Kurz Luft holen.

Ansonsten gibt es den Auswüchsen des letzten Crippled Black Phoenix-Konzertberichts kaum etwas hinzuzufügen. Außer dass das nicht erinnerbare Geräusch, wenn ein in eine Blechröhre gehüllter Finger allsaitig den Steg auf und abstreicht, mit den Worten Gesang eines Metallwals festgenagelt wurde.

Neue Stücke wie z.B. Release the Clowns erklingen, der Phoenix hat ja ein paar Mal weitergelebt seit dem letzten UT-Konzert. Freude am irre heiteren Titel. Und irre heiter hüpfen die Zupfinstrumentisten über die Bühne. In sich wirken die neuen Lieder weniger verfrikkelt und verspielt. Klingen aber vielversprechend.

Bei dem einen Coverstück das mir in der Rezeption Beklemmungen bereitet singt die Pianistin zum ersten Mal solo, Herr Walte attestiert ein Röhren, ich finde es live durchaus anhörbarer als auf Platte, trete meiner Nemesis in Form des röhrenden Gesangs und der geqält auffiepsenden Gitarrenseiten tapfer entgegen, doch meine ich den Sänger zutiefst zu verstehen, dass er für diese Reminiszenz an den 80erjahrerock die Bühne verläßt und danach mit einem Getränk sicherlich alkoholisch betäubenden Inhalts wiederkommt.

Dafür sind es genau diese Stücke die dem Bassisten und dem zweiten Gitarristen das hellste Leuchten in die Augen setzen. Der Basisst der sonst irgendwie unangreifbar gelassen wirkt, hüpft auf einmal losgelassen wie ein kleiner Junge auf und ab. Gitarre und Bass quietschen und jaulen, meine Seele auch. Doch ist es auch schön sich vorzustellen dass diese Band so funktioniert. Als wäre die Vielfältigkeit der Stücke auch zum Teil der Verschiedenartigkeit der Bandmitglieder geschuldet. Für jeden andere Lieblingsmomente die jenem jeweils übers ganze Gesicht strahlen, wenn es soweit ist.

Ein solcher Moment ist für den zweiten Gitarristen sicherlich die scherzige Zugabe die er als Sänger geben darf. Mit tief italienisch dröhnender Stimme singt er Bella Ciao.

Und als die letzte und weiteste Zugabe die je eine Band immer wieder geben kann auf ihr Ende zujagt, schlendert Herr Greaves diesmal ganz gemütlich zum Verstärkerkistchen. Der Großteil der Band hat die Bühne schon verlassen. Der Synthesist steht noch da, und der Zweite Gitarrist. Fiepsende Geräusche schwirren durch die Luft, wie verwirrte Schmetterlinge während eines Nachbebens. Herr Greaves guckt zum Synthesisten, gemütlich aufs Verstärkerkistchen gestützt, beinahe verträumt nachdenklich, während er auf den Moment wartet. Alle drei lachen entspannt wie im stillen Einvernehmen. Und dann zieht er den Stecker ganz unprätentiös … so anders als beim letzten Mal, und weniger verstellt hat er vermutlich auch. Für alle Fälle.

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