Dale Cooper Quartet | 4.11.11 | Telegraph Jazzkeller

Sie sollten kommen, es wurde abgesagt, nun kamen sie doch. Mir war das ja von Anfang an klar, so dass mein Unterbewußtseinsübersinnlichkeitsfilter fröhlich den Konzerttermin weitergegeben hat, und ein jedes, das wurde doch abgesagt, von Herrn Walte ignorierte.

Während ein paar der zur Begleitung Auserkorenen nach dem Hineinhören mit Verweis auf das Gefühl sich in einem dunklem Raum zu befinden, in dem sich langsam jemand anschleicht und einen mit allen Mitteln von Spuk und Kunst furchterbar erschrecken will kopfschüttelnd und leicht fröstelnd abgesagt haben*, war es eine besondere Freude das kurzentschlossene und musikalisch weitaus unerschrockenere, musikhärtenerprobte Frl. Möws, sowie Kumpine Angela für diesen Abend gewinnen zu können.

Der Jazzkeller ist ein erstaunlich verputztes, nichtsdestotrotz charmant gebliebenes Kelleretablissement in barclubiger Seventies-Atmosphäre. Tres passable.

Wir sitzen in kojenbuchtigen runden Plastiksesseln, warten und lassen den Weißwein in den Gläsern schwenken während die von Moskau nach Berlin und dann im Stau stecken gebliebenen Franzosen sich im Soundcheck ergehen. Im nachhinein möchte man dies als Teil 1 des Konzerts werten, um auf eine für den Abend ausgeglichene Konzertlänge zu kommen.

Das perfekt stille Publikum erzeugt man, indem man so extrembehagliche Musik spielt, dass es glücklich wegschlummert. Extrembehaglichkeit wird in Großstädten interessanterweise durch das Zusammenspiel von Wohlklängen, wummernden Schlagzeug, wenn auch aus dem petit Apple, und an sich gesehen höchst unbehaglichen Säge, Quietsch und anderen hochfrequenten Tönen erzeugt. Es ist ein ohne Unterbrechung fünf lange Lieder anhaltender Tranceakt, abwechselnd mit elfenhaft über dem Sein schwebenden Gesang, durchpustetem Saxophon, dem absichtlich manchmal die Klänge versagt werden, so dass nur ein blechernes Geröchel und Tastengeklappe zurückbleibt, nicht wahrnehmbaren Schraubenziehergeräuschen auf den Seiten einer E-Gitarre, kaum wahrnehmbaren, doch mit einer Aura ernsthaftester Konzentration ausgeführten, Geigenbogengeräuschen auf einer weiteren E-Gitarre, Querflöte und penibel und perfekt ausgewogenen weiteren Klangbeigaben aus dem Rechner: das Heranschleichen, Schreien und Kreischen. Das was man nicht hört aber sieht, gehört ebenso zum Gesamtkunstwerk, wie das frapant auffallend französeske (einer trägt doch tatsächlich auch noch eine Baskenmütze!) der fünf Gäste aus dem geliebten, nie verstandenen, skurrilen und klischeebeträufelten Nachbarland. Brest. Der Norden. Und die Liebe zu der Atmosphäre die David Lynch-Filme erzeugen, etwas Urunergründliches tief im Menschen ansprechend. Eine hineinsaugende Anziehungskraft ausübend, bis man nicht mehr weiß ob und wie man wach ist.

So klingt es nach dem Konzert aus den kleinen Gesprächsgrüppchen von allen Seiten, ja, ich fand es sehr schön, sonst hätte ich ja nicht geschlafen, und ja, kurz, aber das war in Ordnung, ich bin ja so schon so schön weggedämmert.

Ist es das was wir alle suchen und von dem wir einen kleinen Teil von Bands wie dem Dale Cooper Quartet als Geschenk in Aussicht gestellt bekommen? Das uns für eine kleine Weile der Stecker gezogen wird, und wir unser schlummerndes Selbst zurückkehren dürfen?

Schön wäre es gewesen aus diesem durch Musik unwirklich gemachten Keller mit einer electric blue vinyl in den Armen nach oben in die tiefblaue Nacht zu steigen. Doch verwirrt chaotische Musikerseelen sollten besser nicht mit solchen Nebensächlichkeiten wie Vinylnachschub aus der nahen Unterkunft zu besorgen beauftragt werden. Zu leicht liegt die Betonung auf Vinyl und nicht auf dem konkreten Album Metamanoir. Und überhaupt, wie hätte man daran denken können, dass sogleich mehrere Erwerbungswillige mit Tonträgern ein Konzert verlassen möchten?

Beinahe unheimlich, wie die Vinyl doch noch auf Mailorderwegen in die Wohnung gelangte …

* Vielleicht ist das auch der machtvolle Reiz den Filme wie Twin Peaks oder dergleichen Musik auf das Innere von manchen ausübt, wie schon Herr King analysierend schrieb. Man will sich erschrecken, den Finger auf die Ängste im eigenen Inneren legen, sich dem spielerisch stellen um irgendwann damit klar zu kommen. Oder bereit zu sein.

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