espanische Erlebnisse | IV

zu Besuch bei Whity und Miss Pili in Santiago, 26. Juli bis 3. August

Zu Bären und Pilgern habe ich nichts weiter hinzuzufügen, außer vielleicht dass der Besuchsflug nach Santiago für Ende Juli gebucht ist, und grob geplant ist uns eine Tagestour aus der Stadt herausfahren zu lassen (Richtung Süden, also den portugiesischen Pilgerpfad beschreitend), um dann wieder hineinzulaufen. Gespannt wie es sich auf Pilgers Füßen so anfühlt. Den Erfahrungsmangel nicht 4 Wochen auf die Stadt zugelaufen zu sein, mache ich durch meine Phantasie wett.

Halbtagspilger nach Santiago. Das sind die Schlimmsten.

Frisch angekommen geht es mit dem Bus vom Flughafen in die Stadt. Es ist steil hügelig. Plattenklotzbauweise ruft Teneriffa-Feeling wach, ebenso die ungeordnete blassfarbige Buntheit, Steilheit, Steinheit. Guide Martín zeigt und erläutert anhand des ersten Horreo die Maisspeicherei, der Blick sieht viel graues Gemäuer, zwischen neualten Bauten blitzen in der Ferne Zinnen alt auf. Aus Portugal bekanntes grünes Farmaciakreuz blinkt uns Pilgern befehlsgewaltig zu.

Wir befahren langsam und würdig Santiago. Guide Martín erzählt mit von Eigenehrfurcht etwas gedämpfter Stimme, dass er genau auf diesem Weg damals mit Señor Luz nach Santiago hineingepilgert ist. Wir geben uns angemessen beeindruckt und ergriffen. Santiago gibt sich hier außen noch sehr beschaulich. Nicht eng an eng stehende kleine Steinhäuser, adrett gepflasteter Weg, alles wirkt noch ländlich, örtlich. Zwei Rucksackpilger mit Wanderstöcken werden erspäht. Weitere déjà vus an Teneriffa flimmern durch das Straßenbild und durch die Weise wie die Plätze angeordnet sind auf. Der Bus begibt sich immer tiefer nach Santiago Stadt, steilste und engste Wege hinauf und hindurch. Shoppingstraßen die an Wien rund ums Museumsquartier erinnern, bekannte Standardmarken und enges Gedränge. Ein bewegtes Ampelmännchen das mit weit hinterhereilenden Rücken und rudernden Armen im Seitprofil gezeigt wird erfreut das Herz. Bunter Weihnachtsschmuck überspannt wie auf den Azoren die Straßen. Es ist angenehm kühl.

Umstieg ins Taxi. Raus aus Santiago, hinein in den ersten atemberaubend schwungvollen Kreisel. Und nach Milladouro, ins traute Heim von Guide Martín. Bewegungslos zufriedenes Sofasitzen zur Entspannung. Galizische Kräuterware wird gezeigt und aufgetischt. Die Energien strömen nur langsam zurück, werden aber für Skat entschlossen zusammengerafft.

Miss Pili kommt von der Arbeit nach Hause und sorgt für Energie und Laune abends nochmal rauszugehen. Ziel unseres abendlichen Ausflugs in das historische Zentrum Santiagos sind die lichtgewaltigen Feierlichkeiten zur 800-Jahr-Feier der Kathedrale. Die Mittelalterlichkeit der alten Stadt wirkt viel älter als in Regensburg oder historisch ähnlichen Städten, und endlich gibt es keine Vergleiche und déjàvaste Erinnerungen mehr.

Wäre man durch Galizien gewandert wäre das Stadtbild nun wohl schon recht vertraut. So wirkt es aber mit neuen, ungewohnten Eindrücken frisch auf das Epizentrum visueller Reizverarbeitung ein. Alles Älter. Echter. Ernster. Wie modelliert. Unecht. Alles grau in grau. Die Pflaster, die Hausmauern, die spärlichen Verzierungen, Ton in Ton, homogen, Verlaufgefahr. Massiver, steilere und engere Gassen, breitere Wege. Wuchtigere Bausubstanz. Als würde man durch eine Rollenspielstadt laufen. Helden wir alle. Zwischen den Steinmauern blitzen Geschäftsfenster wie aus kleinen Gucklöchern im Gemäuer auf, Cafes, Buchläden, Kneipen. Metallene Jakobsmuscheln sind in den Boden eingelassen. Pilgerstöcke hie und da, mit Pilgern dran. Santiago aus dem Bilderbuch.

Wir folgen geschwungen einem uns noch unbekannten Ziel und nähern uns schließlich der mächtig angelegten Gegend um die Kathedrale. Sehen sie zuerst von hinten, umrunden sie dann. Kleine Ausblicke, umschlossene Höfe und wie angegossen wirkende umliegende Bauten. Weinreben im ersten Stock über einem Restaurant geben einen spärlichen Farbtupfer.

Schließlich am Eingangsportal entlang, satt grüne Zierbüsche. Zurückliegender Reichtum und Macht der Kirche dringt aus jedem Stein, liegt in der Luft. Hier wurde etwas unmißverständich und mit Nachdruck deutlich gemacht. Die Kirche ist groß. Der Pilger klein und besser beugsam. Als Lohn winkt, dass man sich wie ein Teil davon fühlen darf. Prunk in grau. Noch eine Biegung bringt uns auf den Hauptplatz. Verblüffung. Die Kathedralenseite wirkt unnötig lang, unsinnig. Riesig. Trutzig. Und in einer Weise mit Figürchen überladen die die Sagrada de Familia ein bisschen schlicht aussehen läßt. Die Wege und Plätze beinahe leer. Noch kein Hauch der anstehenden Lichtshow ist erahnbar.

Guide Martín und Miss Pili führen uns zur Wartezeitüberbrückung und Speisung in ein kleines in die Mauern eingekuscheltes Restaurant, es heißt mal wieder Caracol. Ich bewundere mit wissenschaftlicher Faszination Muscheln und Saugnapfteile auf den Tellern der anderen und labe mich an Salat und Kartoffeltortilla mit Spargel. Der Weißwein schmeckt weder nach Apfel, Birne, Pfirsich oder sonstwie aromisiert. Er schmeckt nach Weinreben. Wie schlicht. Welch geniale Strategie der hießigen Winzer. Schließe die Augen und sehe weite Felder, fruchtig, leicht. Wie immer gelingt es mir hervorragend mit hauchdünnen Mitteln mich voll und gar in die bereiste Region einzufühlen und zu versetzen.

Wir bewegen uns auf das Lichtereignis zu, zu dem wir ja eigens angereist sind. 800 Jahre Kathedrale von Santiago. Der vorhin leergestaubte Platz ist mit einem Mal mit sitzenden Menschen gefüllt. Es ist winterkalt in unserer leichten Frühjahrskleidung. Wir setzen uns relativ weit vorne genau vor das überfüllte Hauptportal und witzeln dem was da als Lichtshow kommen mag entgegen. Die Kathedrale liegt im dunkeln und es sind schemenhaft Lichtflecke aufflackernd zu erkennen. Das wird nun wohl zehn Minuten so weitergehen und dann ist gut. Großartige Sache. Unser Gespött verstummt als sich mit einem leicht feuchten Knarzen unterlegt dicht und grün Reben und Effeustrieben die zwei Türme der Kathedrale emporranken. Die Augen stehen einen Zwischenmoment still erstaunt offen.

Die Kathedrale liegt pflanzenhaft bedeckt vor uns wie ein Märchenschloss. Das Emporgerankte wird schließlich von verschiedenen Effekten weggewischt, ein Drache schlängelt sich die Zinnen entlang, Feuerspuren, die Kämpfe und Geschehnisse von Jahrhunderten werden auf der Leinwand Kathedrale vorübergehen. Sie wird in Feuer getaucht, flackert frankensteinisch gruselig gotisch auf, wird Stück für Stück aufgebaut, wie in einem umgedrehten Tetris rücken die einzelnen Bauteile an ihren Platz. Oder drehen sich wild im Kreis. Das Bild der Kathedrale auf die Kathedrale projiziert und dort bewegt und wabernd in einem harrypottermäßigen Hollywoodzauber zum Leben erweckt. Das Gebäude lebt. Es ist wie ein riesiges Computerspiel. Irgendwann erklingen aus der musikalischen zusammengemischten Untermalung Töne, die ich mir nicht getraue Mogwai zuzuordnen bis auch Herr Walte sich zum Erkennen bekennt. Und mit einem mal dieses Gefühl, wenn in einem Moment etwas einrastet, wie Tetrisklötze, und man weiß dass man jetzt in diesem Moment genau am richtigen Ort ist.* Das Gefühl setzt sich fort so wie die ineinanderfolgenden Sequenzen auf der Kathedralenleinwand, auch wenn die Erhabenheit von Mogwai von Vangelis hinweggewischt wird. Die Kathedrale wird dunkle Nacht, in ihr glitzern einzelne Lichter und über ihr der Sternenhimmel. Ein letztes Mal wird sie wieder und wieder aufs neue zusammengesetzt und aufeinandergetürmt. Zum 800-jährigen Jubiläum kann man so etwas ruhig in mehreren Wiederholungen in Szene setzen. Zum Schluß sie noch mit einem Feuerwerk in die Luft jagen. Und der zusammengekommenen Schar ein neuzeitlich modernes Pilger-und Kulterlebnis bieten.

Man kann das alles in geschwungen Pfaden und Worten nachzuzeichnen versuchen. Oder man ruft es wie der kleine Junge zu Anfang der Lichtshow, als wir alle noch unbedarft dem Kommenden entgegenharrten, auf spanisch heraus. Gleich beginnt das Spektakulum! Die Kulte der Neuzeit können beginnen.

Zurückeilen ins Parkhaus, die mittelalterliche Stadt hindurch, in der Mitte, wo das Pflaster in einer Rinne zusammenläuft liegt hin und wieder Unrat dem wir außerordentlich geschickt ausweichen.

Mittwoch. Kurze Stadttour. Noch mehr frühere Mittelalterlichkeit. Eindruck wird verfestigt. In seiner Geschlossenheit beinahe zu perfekt. Viele kleine Gassen steigen bergauf. Plötzliche Aussichten auf wuchtige Gebäude. Antik anmutende Markthallen mit Fischgeruch und Pfützen. Zu essen werden mir Pommes und Salat bestellt. Einfaches Pilgerglück. Unser Guide den es immerzu hinaus aus der Stadt zieht, führt uns Richtung Park und Aussichtspunkt. Schattige Alleen und Bepflanzungen, wir spazieren umwoben von vermutetem Buchsbaumgeruch. Die Innenstadt erscheint von hier oben wie eine einzige gewaltige Burgstadt.

Wieder in Milladoiro. Expedition durch Don Martíns Forst Richtung Gadis mit höllhuberschen Hohlwegen. Kleiner Buchenwald, Rest Eukalyptus. Mißmutig grummelnd dass er irgendwann den Eukalyptus beseitigen müsse, aber man kommt ja nie zu etwas, stapft der Don voran. Viele kleine Hunde und große Kinderwägen auf engen Pfaden begegnen uns. Auf dem Rückweg verlaufen wir uns beinahe im Minihain.

Donnerstag. Pilgertag. Ich bin bereit und voller Elan und Pläne. Was es einzupacken gibt. Und was nicht. Wann wo Wein getrunken wird. Ich hoffe Pilger Whity macht sich nicht über meinen mangelnden Rucksack lustig. Der Tagesbeginn wurde abends zuvor von Pilger Whity kalt und hart durchgeplant, auf unser Schlafbedürfnis keine Rücksicht genommen.

Ich sitze geduscht nach Tagesplan und frühstücke gemütlich. Frühes Aufstehen liegt mir. Doch Pilger Whity konnte das von ihm ausgegebene und mit strikten Uhrzeiten versehene Tagessoll noch nicht erfüllen. Knickt hinterher. Nun kommt ein Gähnen begleitend zu Besteckgeklimper aus der Küche. Ich wetze unruhig und pilgerbegierig auf meinem Stuhl hin und her.

Später. 11 Uhr. Wir sind auf dem Weg. Fixierung auf gelbe Pfeile und gelbblaue Muschelzeichen wird eingeschaltet. Durch den Wald und höllhuberschen Hohlweg biegen wir auf eine Landstraße ein. Es ist kühl — die morgendliche Stunde zahlt sich aus und der Schritt ist leicht. Vorbei an Wohnblocks und Parkplätzen verlassen wir Milladoiro. Vor uns, Pilger! Die von der schlimmsten Sorte. Leichtpilger, mit wenig Gepäck, vermutlich gerade mal 3 Tage unterwegs. Whity ist nur schwer in seinem Ärger zu besänftigen, auch nicht mit Hinweis darauf das wir erst vor 3 Minuten losgepilgert sind. Der wird weggewischt. Wir pilgern nicht, wir sind sozusagen, Beobachter.

Wir biegen den Pfeilen und notgedrungen anderen Pilgermassen folgend in einen Waldweg ein. Eine Gruppe von 7 Personen befindet sich vor uns! Steineichen, Farn, Bodenbewuchs mit vielfältigen Miniblüten, und natürlich Eukalyptus. Immer mal wieder biegt ein Pfad ins Gebüsch mit einem für uns eindeutigen Zweck. So nah vor Santiago, des Pilgers Sehnsuchtsziel, kribbelt die Aufregung und manch einer kann nicht mehr an sich halten. Nach steilem Bergauf und Bergab, dem ersten Blick in die Ferne auf die unten liegende Stadt, die erste Ansiedlung. Ein Hahn kräht. Mehrmals. Es ist Morgengrauen. Und wir schon beinahe da. Eine Quelle wird etwas abseits des Weges angekündigt, und wir verlassen unseren Pilgerpulk. Die Quelle plätschert fröhlich vor sich hin, nebenan Kleopatras Waschbottich mit milchigem Wasser in dem später eine Frau ihre Wäsche waschen wird. Pilgers Rast im Kühlen. Samenkatapultpflanzen werden ebenso neugierig bestaunt wie die gewaltigen 15 cm langen Nacktschnecken die auf dem feuchten Stein gewachsen sind. Zeit zu gehen.

Wir folgen wieder unserer Spur durch ein kleines Dorf hindurch. Abgeschieden, Mauern abgetragen, doch gemütlich, und mit Gräsern am Wegesrand erinnert irgendwas in diesem Gefüge mich an meinen Heimatort. Schmetterlinge säuseln durch die Büsche hindurch. Weinranken verzieren die Mauern.

Pilgerradler überholen uns. Das sind die Schlimmsten.

Wir entscheiden uns für den alten Pilgerpfad nach Santiago und es geht noch 5 Minuten weiter durch den Wald. Dann erreichen wir schon die ersten Dorfausläufer der Stadt. Weitere Hähne krähen. Katzen huschen. Und ich habe das Gefühl nun das Land zu verstehen, da ich es durchwandert habe. Nur so sieht man die Details aus denen sich das Land zusammensetzt, die Vegetation, die Blüten, spürt die Zusammensetzung der Luft, den Geruch und den Feuchtigkeitsgehalt, entwickelt einen Sinn für den Verlauf der Pfade und Wege die von Ort zu Ort führen. Aus dem Auto erhält man diesen Einblick nicht, das Land, es bleibt fern.

Wie die Zeit vergeht wenn man pilgert. Man hat das Gefühl nur 2 Stunden gelaufen zu sein, und schon ist man da. Irgendwann stehen wir vor einem kleinen Elektrogeschäft und erwerben die für die Autofahrt nach Porto so essenziellen Rohlinge. Eine Kaffeepause wird mir verweigert, immer weiter getrieben, immer steilere Straßen geht es entlang, bis wir an dem Platz sind, an dem wir 2 Tage zuvor aus dem Park heraus kamen. Ich darf endlich auf der Bank pausieren. Ich bin schließlich mit leicht kratzender und dicker Kehle angeschlagen. Eine Folge des starken Winds gestern.

Pläne schmieden wie es nun weitergehen soll. Mitagessen. Whity verweigert mir, dem fotophilen Element an diesem Tag und speziell in Santiago nicht aufgeschlossen, Fotoaussichten und auch zur Kathedrale werden wir heute nicht gehen. Pilgerallergie. Dem gemütlichen Schlendern durch unbekannte Städte kann er nichts abgewinnen. Ich muss es mir vielleicht am Dienstag erkämpfen.

Schattige Straßen Santiagos entlang geht es nach dem Mittagessen in einen Park mit spaßigem Irrgarten. Wir rennen wie wahnsinnig los und begeben uns dann auf lehrbegierigen Pfaden wandelnd Richtung Volksgeschichtemuseum. Es ist uns zwar verschlossen aber auf dem Weg dorthin sehen wir Santiago noch einmal von einer anderen, weniger wuchtigen Seite. Vielleicht so wie touristische Städtchen im Süden und Meernähe aussehen sollten. Seelenruhe austrahlender, weiß verputzter. Der Nonnenpunktspielpeilsender vibriert durch die Nähe zu winzig kleinen Kirchlein mit beschaulichem Innenhof. Doch es zeigt sich keine Ordensdame.

Eine halbe Stunde warten wir im Hintergarten des Museums auf die Öffnungszeit, sind matt und werden immer matter. Die Luft wird drückender. Wir halten es nicht mehr aus und beschließen ungebildet wieder abzuziehen und Richtung Bus zu marschieren. Erkämpfe mir durch mich beinahe bis zur Gänze erschöpfendes Quengeln von Whity eine Eisgenehmigung, das ich allerdings nicht einfach in der zentralen Innenstadt, dem Pilgergebiet, erwerben darf, da Whity nicht an die urbale Eispreisbindung glaubt. Der Bus bringt uns den inzwischen lieb gewordenen Kreiselweg entlang nach Milladoiro, zu Entspannung, Abendessen, Karten und galizischen Kräutern.

* liest man gerade zufällig Fantasyzyklen, drängt sich im Nachhinein eine zum Schicksal aufgeblähte Fügung auf, die einen an diesen Ort gebracht hat.

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