Portico Quartet | 30.03.12 | Neues Schauspiel

Das Gefühl einer nächtlich durchwanderten Stadt.

Es gibt Musik die wie ein Abbild der Natur ist. Der ersten – der biologischen Natur. Dankbares Staunen über die Lebendigkeit jedes einzelnen Winkels, vom Wasser umspielte Felsen, vom Wind umflogene Baumwipfel, zwischen allem schwirrende Insekten, Knistern, Farben, Gerüche, Weite findet sich in Klängen die wie eine Ode an das was uns hervorbrachte sind.

Es gibt Musik die ist wie die Natur, die der Mensch erschaffen hat. Der Teil des Ökosystems Stadt der sich gut, geborgen, und hin und wieder magisch anfühlt. Der Teil der nachts in den Straßenschluchten von Straßenlichtern ausgeleuchtet wird, in denen sich nur wenige einsame Wanderer befinden. Die Enge der Tage ist verschwunden. Licht, das sich verlassen im Asphalt, im dunklen Fluß und in Fensterscheiben spiegelt. Die Fülle und Helligkeit des Tages ist nur eine Erinnerung wenn nicht gar ganz vergessen. Es ist eine Reise in eine andere Welt. Die Wirklichkeit der Tagwelt hat eine Patina des Unwirklichen bekommen. Das Spiel der Natur greift in die Welt hinein. Blecherne Regentropfen etwa, die auf Regenrinnen, Mülltonnen und auf den geteerten Flächen anklingen. Pfützen bilden. Doch die meisten Geräusche sind von uns geschaffen. Quietschen, Motorenrauschen. Elektrisches Summen aus jeder Leuchtreklame, hinter jeder Hausmauer, die in jeder modernen Stadt eingebettete Zweitwelt der Computer, die in der zur Stadt gehörenden Musik Bestandteile der instrumentellen Entfaltung sind. Bedeutungen und Gedanken verschwimmen. Man bewegt sich nur noch hindurch. In jedem Moment ein neuer Blick, ein neuer Eindruck, der kurze Blick in eine Querstraße an der man vorbeiläuft. Gedanken. Sie prallen an, und fliegen wieder weg. Gelöst.

Es gibt Klänge, die nicht aus der Natur hervorgehen, sondern aus diesem Wesen Stadt herbeigerufen scheinen. Wie Geister. Es gibt Menschen, die diese Klänge aus dem Nichts hervorholen und wieder frei geben können. Klanggeistrufer, Schamanen der zweiten Natur.

Das neue Schauspiel verbirgt sich in einem halblicht ausgeleuchteten Hinterhof. Die Treppen hoch geht es in einen kleinen Vorraum mit Bar und lauschig alten Sitzgelegenheiten, von denen ein provisorischer Charme ausgeht, der von den putzabbröckelnden Wänden eingefasst wird. Nebenan ist der kleine Bühnenraum. Auf der Bühne viel matt funkelndes Blech und elektronische Schaffensstationen. Tasten. Und zwei … Woks.

Der Beginn setzt mit schmirgelnd kreisenden Klängen ein. Abrupter Wechsel in trommelnden Beat. Der Saxophonist spielt wenn er einsetzt mit endlosem Atem und Ruhe seine weit schweifenden Töne. Durch sichtverhindernde Vordermenschköpfe metamorphieren die Instrumente von Zeit zu Zeit. Das Saxophon wird größer und dann wieder kleiner. Alles glänzt verhalten. Alles in einem Fließen, das von der Musik ausgeht. Wie nächtliche Stadtträume. Ein bestimmendes Merkmal von Träumen ist, dass sie außerhalb der Zeitlinie stehen. Sie dauern an, und an. Erholsam. Belebend. Nehmen Geschwindigkeit auf. Fahrgefühl. Schneller an verschiedenen Orten vorbei. Am Kontrabass werden abwechselnd mit Bogen frei schwebende Töne freigesetzt, dann mit vollem Krafteinsatz die Saiten angezupft, so dass er sich wie eine E-Gitarre fühlen muss. Er scheint das Gefühl zu mögen. Aus dem Schlagzeug zimbelnde, scheppernde oder auch reizvoll schlicht klackernde Töne. Diverse Beatmachertastenblöcke stehen auf der Bühne und werden in ausdauernder und nie geschwindigkeitsabweichender Manier verwendet. Mit der gleichen Präzision werden in Rubidium die Hangs zyklisch bespielt und Klänge aus ihnen ausgelassen.

Viele Klänge erinnern an typische Stadtgeräusche, sind aber wie übereinandergewebt, verändert. Sirenenalarm der abgedämpft und weich ist, und nicht mehr bedrohlich klingt. Die Geräusche werden genommen, von allen Bezügen befreit, und zu etwas neuem zusammengesetzt, das nun ebenbürtig satt und vielfältig erstrahlt, flirrt und dicht umgibt, wie die erste Natur. Vielleicht rührt das geborgene Gefühl von dort. Aus dem Zusammenfügen und Kombinieren der Geräusche die unsere neue Heimat ausmachen. Aber auch verheißungsvoll über sie hinaus deuten.

Das einzelne Geräusch kann dabei durchaus unangenehm sein. An den Gehörgängen schleifen. Aber immer so, dass es noch auszuhalten ist, nur ein leichtes Unbehagen. Es dauert an, irgendwann biegt man ab, und es ist weg. Abgelöst von etwas neuem. Das was sich in den einzelnen Stücken als bleibende Note oder Idee hindurchzieht, kann bei so einem Spaziergang der ständig wechselnden Eindrücke nur die eigene Note sein. Das erlebende Selbst. In einer Musik die wie der noch frisch und voller Aufregung vorgetragene Erlebnisbericht eines Klangteilchens von seinem nächtlichen Flug durch die Stadt ist, begibt man sich in dieses Teilchen hinein. Nimmt das Aufeinanderprallen und Interferieren mit anderen Klangteilchen wahr. Ein Identifikationsprozess wie er auch in Filmen und Büchern geschieht und aus dem das intensive Gefühl des Miterlebens entsteht.

Die Musik könnte aber auch als Ausdruck der eigenwilligen Note, die jeder Stadt für sich eigen ist, betrachtet werden. Dann wäre die Musik ein Teil der Stadt, aus der die Band stammt, den sie mit sich genommen hat, und nun den Zuhörern in jeder Stadt vorstellt. Eine Überlagerung des Heimstadtempfindens der Band, mit dem des Zuhörers aus einer anderen Stadt. Und dessen Selbst. Identifikationsüberreizung. Benommener Zustand. Die Sinne gespannt. Trance.

Nach dem Verklingen eines Stückes ist das Publikum ein Einatmen lang leise bevor jedesmal feiernder Applaus den kleinen Raum des neuen Schauspiels einnimmt, dem nur mit Mühe durch das nächste Lied Einhalt geboten werden kann.

Musik wie die, die aus dem Portico Quartet entspringt, scheint etwas in sich zu tragen, das eine neue innere Saite in uns anschlägt. Musik ist etwas das Menschen mit sich nehmen, mit sich entwickeln, ihrem sich veränderndem Umfeld anpassen. Es ist eine Wechselbeziehung — oder auch nur autokognitive Konditionierung — aus der Musikbewegungen hervorgehen, die wiederum als bestimmendes Lebensgefühl einer Umgebung wahrgenommen werden und weitere Veränderungen vorantreiben. Der Jazz. Seit je urbane Musik. Der Blues war noch das Land. Doch nun sind wir in der modernen Stadt. Und es gibt eine Schönheit in ihr, die man, zur Ruhe gekommen, erkennen kann.

Der Klang von gedämpftem Laternenlicht das sich im nächtlichen Asphalt spiegelt.

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