Golden Kanine | 22.10 | Moritzbastei

Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut,
es wird immer alles gleich ein wenig anders,
wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch
– ja und auch das ist gut und gefällt mir sehr,
auch damit bin ich sehr einverstanden,
dass das was eines Menschen Schatz und Weisheit ist,
dem anderen wie Narrheit klingt
(Hesse, Siddharta)

Erinnern wir uns.

Der Tag zuvor. Der schönste Tag der Welt, alles leuchtend, die Linden gelb, alles Sonne. Die Straßenbahn trägt uns vom Waldstraßenviertel bis nach Connewitz ins Zest zu einem Treffen mit Rosa und Aristide, durch diesen unfassbar goldstrahlenden Tunnel der links und rechts aller Straßen sich tummelnden Linden.

Am Morgen. Milchig feuchter Nebel, alles grau. Gestern wie eine Illusion. Wir treffen uns mit Rosa abends auf der stimmungsvoll im Nebel kauernden Moritzbastei. Diesselben Personen, eine andere Welt, doch diese, können wir hinter uns lassen. Wir steigen hinab.

Der Liedstil der Vorband Mika Vember wirkt auf mich etwas unbestimmt aber probierfreudig. Der Wiener Charme der Frontdame machts einem behaglich ums Herz. Die Besetzung besteht aus Schlagzeug, Gitarre und Akkordeon, ein, zweimal wird auch auf der von der Akkordeonfrau scheints neu entdeckten und liebgewonnenen Synthtaste geplänkelt. Die letzten beiden Lieder heben sich heraus. Dem Wiensein wird ein Walzer geschuldet. Und so wird zu einem teuflisch verhaltenem Walzertakt das Stück Creep gegeben, das der ausdrucksstarken Stimme der Frontdame vorzüglich steht. Sie erinnert dabei, erinnerungsfreulich, an den weiblichen Teufel der Leipziger Black Rider-Inszenierung. Das letzte Stück ist eine polkaisierte Westernserenade a la Murder by Death, mit mehrstimmigen Gesang, und allem Gitarrengezurre das benötigt wird. So möchten Mika Vember in meiner Erinnerung bleiben.

Nach der kurzen Pause, draußen im Barraum verbracht, kommen wir etwas zu spät und unser Blick bewegt sich in den Saal als Golden Kanine bereits mit bedacht ihr Intro vortragen. Sie stehen zu fünft nebeneinander aufgereiht, Gesang aus allen Kehlen, dahinter das Schlagzeug. Ganz außen steht Hans Söllner am E-Bass. Es folgen die zwei Gitarristen und Hauptsänger, die mit ihrem Stimmklang Golden Kanine unverwechselbar machen. Daneben eine allegorische Nuss die Herr Walte nach einiger Zeit und mit nicht wenig Gedankengewalt knackt. Die zwei Bläser erinnern ihn. An wen? Auch scheinen sie gar nicht alleinig aus dieser Band zu sein. Er fixiert sie. Liederlang. Nicht so sehr an den voluminös blonden Rauschehaaren des einen, sondern vielmehr am kniffigen Gesicht soll schließlich der Funke der Erkenntnis gesprungen sein. Doch die Lösung wird vermutlich noch mehr vom schwarzen T-Shirt mit Band-Labeldruck des anderen endgültig in die Welt geschoben. Sie sind Teil der Great Bertholinis. Wie schön. Wie herrlich. Wie wunderbar. Die Familie!

Erinnern wir uns. Sie waren es, durch die uns in irgendeiner Empfehlung die Band geschenkt wurde. Alles ergibt einen Sinn. Doch meine verwirrten Zerebralfunktionen nehmen daraus einen ganz anderen Schluß. Der Schlagzeuger scheint mir der Budzillussänger zu sein. Ist das ganze Konzert doch in das lebensfrohe Gefühl getaucht, das einen in Budzilluskonzerten umfängt. Ein Wiedererkennen innerer Lagen über dem man müßig ein wenig verweilen könnte.

Unterdessen ist es dem Gehirn gelungen den anfangs störrend zu sehr brummenden Bass nach und nach herauszufiltern, und man findet sich vollständig in der Musik aufgelöst, aufgelöst im Stück December, das einem die ganze Wärme des leuchtensten Tages des Herbstes wehmütig wiederschenkt. Ich werde vielleicht nie in meinem Leben Beirut live sehen. Doch schon hier, im zweiten oder dritten Lied, man ist noch gar nicht ganz da, scheint diese Tatsache auf einmal zu verschmerzen. Denn auch wenn das eine nie sein wird, so hat man doch Golden Kanine gesehen, in einem Lied das all das enthält was einen auch bei Beirut verzaubert. Der schnelle osteuropäische Rhythmus, die wehe Stimme, weise, sehnsüchtig, und doch glücklich, weil sie weiß, dass es Schönheit im Leben gibt, selbst wenn sie nicht immer oder gar nie wieder da ist, die nicht davor zurückscheut laut und weit herauszuschreien, und in einem Satz, in einem Wort, bei gegebener ausreichender Länge, mehrere wiedersprüchliche Emotionen zu durchlaufen, der Klang der Instrumente, schnelles Zupfen an hohen Saiten, Takt klopfend, langklingendes Metall aus Goldhörnern wie der Wind, wie bei den Bertholinis. Lebensenergie wie bei Budzillus. Das schiere nicht zur Gänze fassbare, übermächtige Glück, die daraus hervorbrechende närrische Freude, wenn einen die Musik beherrscht.

In den Ankündigungen schwimmen meist die Worte Sterben und Liebe. Die Lieder die darauf folgen vergehen nicht in Traurigkeit sondern in der vielschichtigen Prächtigkeit des Lebens. Kunterbunt, brodelnd, alles was war, sein wird, bersten vor Leuchten und Farbe, und ruhenden Momenten, im Stillstehen, im in die Ferne wandernden Blick, und der Gesang im Klang der Erfahrung und Weisheit, Leichtigkeit und Leid.

Neue oder auch nur unbekannte Lieder verschwimmen leider meist in der Akustik wie Nebel, doch wen sollte das stören, einzelne Teile ragen daraus wie von Sonnenlicht getroffen hervor. Doch eines vertreibt ihn zur Gänze. Ist zu wild, hat mehr Energie als er. Das Scheppern auf den Instrumenten wird lauter, einem vertrackten, neben sich stehenden Grundtakt folgend. Jedes Instrument auf seine ihm eigene Weise. Klänge stieben wie Gedanken umher und durcheinander. Verschiebungseffekte, Überlagerungen. Immer tiefer, gleich einem Orchestergraben, in dem vorher auch alles durcheinanderspielt, und dabei doch beinahe das Schönste eines ganzen Konzerts geboten wird. Alles aneinander vorbeispielend, lebend, doch etwas Gesamtes bildend, wenn das Ohr den verschiedensten Wegen folgen kann, und vor Begeisterung gar nicht weiß wohin zuerst hören. Doch Golden Kanine graben sich tiefer, unter den Orchestergrabenkrach, immer weiter in den satten Klanggrund der Erde.

Der den Stücken auf Oh Woe eigene sachte Wehklang und die Melancholie ließen ein ruhiges besinnliches Konzert vermuten. Doch zwischen den tatsächlich vorhandenen sehr kurzen Momenten der Melancholie wird mit irrem Spaß und allen Möglichkeiten der elektronischen Verstärkung und unter wildem Herumspringen auf Gitarre, Bass und Schlagzeug eingedotzt. Aus den Texten weht This is Happiness. Nicht aus perfekt ausgebildeten Gesangsstimmen. Der Stimmzusammenklang zieht seine mitreißende Stärke aus der Natürlichkeit und der reinen Möglichkeit zu singen, und es mit dem ganzen Gefühl des Herzens zu tun. Und irgendwann kann man das was man zu sagen hat gar nicht mehr singen. Mit einem besessenen Grinsen im Gesicht muss man es schreien. Dem Boden zu. Dem Bassisten an den Bass. Dem Engel ins Ohr. Eingeschworene musikglückseelige Gemeinschaft, Schnaps, Ska, Schimpfwörter, der Bass spielt Melodien, hohe, kurz anscheinende und gleich wieder entschwindende, helle Töne aus der Trompete, die man dort beim heimischen Hören der Lieder nie verortet hätte. Die Band strahlt im Bewusstsein großartige Musik zu machen, und jeden Ton davon selbst genießen zu wollen, dem Sänger ist es teilweise gar nicht mehr möglich ins Mikro zu singen, er singt am Mikro vorbei, weil er sich halb umdrehen und dem Schlagzeuger bei seinem Tagwerk zusehen muss, dem wahnsinnigen Schlagzeug, ab und an wird verstärkend von weiteren Mitgliedern mit getrommelt. Man setzt den Gesang dennoch zusammen. Das Leben ist vollkommen.

Das Konzert nähert sich dem Ende wie alles. Zeit für Besonderheiten der Darbietung. Drei Männer stapfen einen Rhythmus auf den Holzboden. Immerzu. Immerfort. Dazu Gesang, keine weiteren Instrumente. So kurz wie schön.

Im Hintergrund wummern die zwei Trommeln, lullen ein, Trance, der Bass spielt immer wieder drei aufeinanderfolgende langsame Töne, Gitarren und Bläser verlassen die Bühne, all das bunte Leben weicht dem trommelnden Grundton und den wenigen Tönen aus dem Bass, die Grundlinie geht weiter, eine halbe Stunde später ist man immer noch entrückt, es endet nicht, es geht immer weiter, man wiegt sich ein, die Augen alles aufsaugend aufgerissen, immer weiter … auf einmal endet es doch. Mit einem Schlag. Ist es vorbei. Alles ist grau. Dunst. Der Nebel liegt zwischen der Welt und den Farben. Doch das Gelb scheint noch von den Linden.

Es gibt eine goldene Erinnerung diesen Herbst. Sie liegt im Licht des Sommers das durch die goldgetönten Lindenblätter fällt. Und darin wie auch der längste Sommer irgendwann in Nebel getaucht wird. Es ist die Geburtszeit einer Mutter. Es ist der Todestag eines Freundes. In der Erinnerung war er dabei. Es ist der Octobre d’oro. Es ist das ganze Leben.

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