Dirty Old Town | 6.04.13 | Horns Erben

Eine sich rasant entwickelnde Süchtigkeit hat sich innerhalb weniger Stunden vom ersten Hörkontakt an derart im Geist eingenistet, und ihn unter gehherrschende Kontrolle gebracht, dass es dem Körper unumwindbar wurde die Wohnstadt Freitag abends zu verlassen und sich ins Horns zu begeben. Ausgang des Suchtviruses war das digitale Netzwerk, der von sozialen Kontakten dankenswert befeuert schnell weitere Verbreitung fand, und so auch uns erwischte. Ein nebenbei bemerkt heutzutage immer häufiger zu beobachtendes Phänomen. Doch um die Erforschung dessen sollen sich die Soziologen bemühen.

Dirty Old Town. Sind diese Songs eingängig. Popschön glänzend und americanatief triefend und schwer. In der digitalen Aufzeichnung polierter Retrostil der sofort an Vishnu denken läßt. Behaglich zum Durchatmen, Durchstrecken. Und ziemlich cool. Songs die unter dem Signet musikalischer Helden wie Young, Dylan, Black Rebel Motor Cycle Club und den Doors stehen.

Wo nimmt Morten Christensen sie her? Einen absoluten Treffer auf einem Album zu landen mag angehen. Fünf Treffer auf einer EP mit Fünf Songs. Hier scheint es sich doch eher um einen Djevelens Deal zu handeln. Zumal es in jedweder Erinnerung sechs Songs waren, dessen einer auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Menschen mit dem Vornamen Morten werden ja gerne abwechselnd von ihm und vom Mann mit dem Grashalmschneidwerkzeug requiriert.

Wir treffen uns mit dem übertragenden Viruswirt und einem von uns infizierten weiteren Opfer, und haben vor Beginn die Möglichkeit von diversen viel zu weichen Sofas verschlungen und wieder aufgespuckt zu werden. Erst in den unteren Räumen, der Treppenaufgang ist noch von einer roten Kordel abgesperrt. Nach mehrmaligen Läuten begeben auch wir uns nach oben und werden vom nächsten Sitzmöbel eingenommen.

Bald beginnt ein einzelner Mann mit Akustikgitarre vorne auf der Bühne sein Spiel, in der Schlichtheit der Darbietung zuerst kaum als der Suchterreger wiederzuerkennen, wir machen uns im Sofa schwer, nehmen somit Bewegungsenergie auf und federn nach vorne. Zu einem zweiten Stück, als typischer Cowboysong angekündigt, setzt sich der Schlagzeuger hinzu, aus der Bandbreite seiner Schlaginstrumente aber lediglich mit weichem Klöppel auf die Bodentrommel einzelne Rhythmusschläge setzend, vielleicht wird später auch die noch dumpfere Footdrum hinzugenommen. In der Erinnerung ist nun Digger Barnes zugegen. Es geht hypnotisch weiter, irgendwann muss auch der hagere Gesell mit friesischem Antlitz hinter den Tasten Platz genommen haben, und auch ein weiterer Gitarrist, nennen wir ihn den Dude, und ein Bassist, der Nerd, finden sich schließlich auf der Bühne ein. Der anfangs so zurückhaltende, spröde verzückende Sound ist somit unbemerkt zu dem angewachsen was man von den Aufzeichnungen kannte, nur nicht so poliert, sondern mit grundanständiger Livewucht präsentiert. Eine dramaturgisch äußerst zufriedenstellende Inszenierung.

In die ersten Schrammelakkorde springt der Dude wie in engelsgleicher Zeitlupe glücklich schwebend hinein, gleichsam um sich langsam einzustimmen, grinst dabei Schlagzeuger und Tastenmann an und umfängt zugleich das ganze Publikum. Ein noch nie zuvor beobachteter Ritus, der dem Dude Kraft und Ausdauer in Hülle und Fülle zu geben scheint.

Die Stimmung auf der Bühne ist herausragend. Es wird gejammt, und miteinander gefeixt. Man ist offensichtlich glücklich und beseelt. Jedem Einzelnen ist die psychedelisch befreiende Macht des Trips anzusehen, die innerlich aufgestaute Euphorie muss in Aijajihaajhaaah-Chören gemeinsam in die Welt entsendet werden, Leben herausschreiend. Die Instrumente werden abwechselnd mit einzeln abgetakteten Absätzen und Übergaben, abrupten Wechseln, oder einem brausenden Zusammenspiel gespielt, und zwischen all dem eingebettet, umgarnen einen die Melodien des Gesangs. Die Trommelschäge springen in lustig schneller Abfolge von links nach rechts über die Töpfe und beim letzten angekommen scheint es als würden die Klänge direkt auf die Gitarre des Dude überspringen, die schon in Wartehaltung bereitstand um sie aufzufangen.

Die Klänge aus dem Nord Electro und darunter liegendem Korg sind in den ersten Liedern nur vage vernehmbar, doch die Freude an den komplizierten Manövern des Gesellen ist schon groß. Bei den Zugaben wird es präsenter, und klimpert in wildem Jazzorgelgeplänkel auf, einmal in engem Kontakt und Gegenspiel mit der dudschen Gitarre. Höhepunkt ist aber zweifelsohne das in verzerrten schnell aufeinanderfolgenden Quietschtönen herabsausende Spiel das jeweils in einem Tastenslide ausläuft, der das lose auf dem Korg liegende Nord jedesmal mit Schwung gen Boden zu schleudern droht, und im Spiel vom Tastenmann gestoppt werden muss. Es ist ein Wunder der menschlichen Feinmechanik wie er auf diesem sich bewegenden Instrument trotzdem noch zielsicher seine Tastenfolgen findet, zumal er dabei nicht wenig fröhlich lachen muss.

Nach mehreren bereitwilligen Zugaben findet sich die Band noch zu Snakk, Bier und zum Verkauf der eigengefertigten EP an der Theke ein. Nach dem plaudernden Erwerb des Suchtsymptome besänftigenden Stoffes gehts es glücklich und sicher lange oder gar nie geheilt irgendwann nach Hause. Fünf Lieder stellen sich schon bald als zu wenig heraus. Mehr. Ich brauche mehr Stoff.

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