espanische Erlebnisse V

zu Besuch bei Whity und Miss Pili in Santiago, 26. Juli bis 3. August

Ich kann sehr gut und ausdrucksvoll leiden. Ohne mich zu sehr hervortun zu wollen, muss ich doch kundtun dass ich prägnant, anschaulich und eindrucksvoll leiden kann. Ich lasse auch gerne andere daran teilhaben. Anderen kommt kein Laut der Klage über die Lippen und sie rühmen sich deswegen. Eifersüchtig behalten sie ihr Leid für sich. Ertappt man sie dann doch nach Tagen in ihrer Maladheit, suhlen sie sich darin sich nicht beklagt zu haben. Stoisch. Stolz. Dabei fehlt es ihnen nur an Ausdrucksvergnügen und Fantasiestärke. Herr Walte zollt mir oft indirekt Bewunderung dafür. Schon aus dem kleinsten Weh kann ich sehr viel herausholen.

Nie krank zu sein … auf Reisen

Es ist eine besondere Kunst das Meiste aus dem Leiden herauszuholen, ich möchte fast sagen, Leiden als Kunstform.

Seit einigen Jahren bieten mir Flugreisen dazu wunderbare Gelegenheit.

Ich freue mich schon auf das nächste Mal das ich alleine reise um jemand vollkommen Fremden wortlos durch mein inzwischen angehäuftes Arsenal und Ritual beeindrucken und befremden zu können.

Kaugummi (zuckerfrei, Minzgeschmack), Spezialohrstöpsel (im kleinen transparenten Plastikbehälter), Nasenspray (einfache, unprätentiöse, alles wegätzende Variante), Taschentücher, 1 Flasche Wasser zur Motivation richtiger Schluckbewegungen.

Der Ablauf. I) Hineinprökeln der Ohrstöpsel. Mehrmalige Versuche, wieder herausholen, erneut ins Ohr stopfen bis sie sitzen, II) Nasensprayapplikation, das Realitätsgefühl ist durch die dumpfe Akkustik aufgrund der Ohrstöpsel bereits stark beeinträchtigt und ich fühle mich wirr und wirklichkeitsfern (also eigentlich wie immer), III) Kaugummi hervorkramen, konzentriertes Kauen, IV) diverse Schluck und Druckausgleichübungen (Nase noch vom Nasenspray flüssig, Variante mit Nase zuhalten daher besonders empfehlenswert; Kieferausrenken trotzdem am Vielversprechensten, siehe nächster Aufzählungspunkt), V) Neu von Whity gelerntes Kieferausrenken (Taucherkniff) zum Druckausgleich, Knacken funktioniert seltsamerweise nur zu Beginn des Start- und Beginn des Landeanflugs, nicht gegen jeweiligem Ende, VI) Häufige kleine Schlucke aus der Wasserflasche, begleitet von nicht wahrnehmbarem Wehwimmern auf Unterbewusstseinsfrequenz, VII) Wahllose Randomwiederholung der Schritte III–VI. Durchgehend Schritte I–VI) Verbreitung von stetiger Unruhe.

Trotz dieser diversen Unternehmungen, bleibt der stechende Ohrenschmerz aber nicht aus. Und nun auch noch dies. Ohrenbetäubender Wind, arktische Kälte atlantischen Ozeans, ein ordentlicher Hieb Salzwasser, Reiseschnupfen, vermehrt frühes Aufstehen, kurvenreich schwungvolle Fahrten unseres Guides Martín, eingeflößter galizischer Kräuterlikör — zwei Sorten im Testvergleich, steile Pflasterwege in Mittagssonne, süß zuckriger Port, an den Nerven ziependes Kreihern der Möwen, klammer Nebel auf den Möwenhöhen und anschließend ein Plätzchen am kalten Strand und vor allem einem kleinen veggi-Hobbit nicht zuträgliche Ernährung in Olivenöl getränkter rauer Mengen an Nahrung, süße Klebeteilchen und fritierte Kartoffeln, hie und da ein einzelnes Salatblatt, liegen hinter mir und lassen einen gebeutelten Körper zurück.

Schon während der Rückfahrt von Vigo geht es mir eher flau als sonnig, nachts und am beginnenden Mittagmorgen Fieber. Und das mir, die ich nie krank werde. Auf Reisen, das wäre ja vollkommen widersinnig.

Aus der Küche dringt Aktivität und ich begebe mich dorthin. Bringe dem Gastgeber schonend meinen maladen Zustand bei. Fühle mich neben dem Fieber vor allen Dingen in einer Art und Weise körperlich ausgewrungen und sämtlicher Kräfte beraubt die man sich gar nicht vorstellen kann, versuche mich aber trotzdem an einer Beschreibung.

In den Augen von Pilger Whity erscheint ein Leuchten. Mit Krank sein auf Reisen kennt er sich aus.

Hier kann er erfahrene Weisheit weitergeben. Und in einem anderen ihm eigenen Wesenszug zu Hochtouren auflaufen. Er ist hin und hergerissen in fürsorglichem Spott. Immerhin einen Menschen kann ich durch meine Krankheit so noch glücklich machen. Dem mildtätigen Zweck mich vollends ausliefern.

Als erstes wird meine Fieberbehauptung auf die Waagschale geworfen und diskutiert. Ob ich mir sicher wäre, ich sehe so frisch aus, ja die Augen wohl etwas glasig, aber gestern musste ich ja auch noch Zwiebeln anbraten. Sicherlich eine Folge davon. Ein Fieberthermometer wird aufgetrieben und mir mit den Worten, es gibt drei Möglichkeiten, such Dir aus ob du addieren oder subtrahieren willst dann doch unter die Achsel geklemmt. Nach der verstrichenen Zeit spuckt das Fieberthermometer 36,5 Grad aus. Ich bin in meinen Grundfesten erschüttert doch lasse es mir nicht anmerken und rufe nach Neu-Eichung des Geräts. Zwei Vergleichsproben werden von Whity und Walte durchgeführt und geben 35 Grad und 36 aus. Ich bin entlastet, während Whity sich in Tagestemperaturkurven und Additionstabellen im Internet verheddert um die tatsächliche Schwere meines Krankseins herauszubekommen. Immer der erste Schritt einer Behandlung. Er kommt zum Schluß dass ich wirklich kein Fieber habe, ist aber trotzdem um der Freundschaft willen bereit und willig seine Behandlung so fortzusetzen als wäre es der Fall. Ihm schwebt die starke Schwarzteekur vor, die ihm selbst vor Jahren in seiner Jugend auf einer Gruppenfahrt in so wundervoll abscheulicher Erinnerung ist. Ich glaube ihm in der hoffenden Naivität jedes Kranken tatsächlich, dass nach Genuß dieser widerlichen Kur seine Lebensgeister von neuem aufgeblüht sind und willige ein.

Eine riesige Tasse Schwarztee, zu gleichen Mengen aus Wasser und Teekrümeln bestehend, wird vor mich hingestellt und ich beginne tapfer das Konsumierwerk.

Die ersten Schlucke zeitigen tatsächlich die versprochene Wirkung, es geht mir besser und fideler mit jedem Schluck. Treuherzig trinke ich die ganze Tasse aus, und setze mich sodann kurz auf das Sofa.

Eigenartiges geschieht mir. Mein Magen knotet sich um eine knüppelnde Faust zusammen. Mir ist übel und ich muss mich sicherheitshalber in das Bad begeben. Meister Martín ist bestürzt, weiß nun wie es sich für einen Arzt der nur gutes tun will anfühlen muss, mit seiner Behandlung über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Ihm wird mulmig. Doch nach fünf Sekunden ist der Übelkeitsanfall vorbei, ich ziehe strahlend wieder ins Wohnzimmer und verkünde wesentliche Besserung meines Zustands. Trotzdem wäre ich zu schwach für einen Nachmittag in Santiago. Weitaus wohltuender und dem Heilungsprozess förderlicher als Doc Whitys Bemühungen sind da die einfühlsamen Worte von Miss Pilli »la pobre!«. Doch ebenfalls rührend verbleiben Whity und Herr Walte in meiner Gesellschaft und lenken mich mit der hohen und von mir bewunderten Kunst des Skatspiels ab. Können mich aber nicht dazu überreden, dass galizischer Kräuterlikör meine Genesung vollends abrunden würde.

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