19.01.15 | Vin Blanc ::: Get Well Soon | UT Connewitz

drei Kirschen über blau fließendem Ast

Ausverkauft. Durch sozialnetzwerkliche Androhung pünktlichen Beginns eilends im UT angekommen begegnen wir am Bühnenrand jemandem der sich an sein alkoholfreies Wernesgrüner klammert und wie unser Taxifahrer des Abends aussieht.

Kleine Vorgeschichte. Der Sänger von Vin Blanc freundete sich mit einem Leipziger Musiker an, und ist deswegen von L.A. nach L.E. gezogen. So kurz, entschlossen wie entzückend. Die lange Vorgeschichte mag länger sein, wie die Bandinfo auf Facebook nahelegt, aber im Wesentlichen ist damit alles gesagt.

Ein Mann mit Gitarre, tritt sich seinen Weg in die Mitte der auch an diesem Abend mit Instrumenten zugestellten Bühne. Einzelne Gitarrenschrammler und von diversen elektronischem Equipment erzeugter Grundlärm wird bei geschlossen Lippen von ein- bis durchdringlichen Gesangshalbsätzen begleitet. Ein Bauchsinger? Noch wenige verwirrende Momente wärt dieser Augenblick, bis jener — der später nur mit einem ehrerbietigen wie fastsprachlosen »dieser Mann …« tituliert wird, bei dem die 3 Punkte ausdrücken was man alles so gerne in Worte fassen würde, aber nicht kann, — von der Seite mit einer klobigen Rassel in wilden Zuckungen auf die Bühne springt, hüpft und alles von sich schüttelt, dabei wie wahnsinnig weitersingt, und die vor der Bühne versammelten Menschen in Interesse-gelähmte Starre versetzt, die nur sehr langsam, während der Wahnsinn dieser lautlärmenden sehr schlagklangintensiven Show voranschreitet, von der Gewöhnung gelöst werden kann.

Haltsuchende Vergleiche wirbeln durch den Kopf, das was geschieht ist beatig tanzbar wie BritpopFerdinand&Co, die althergebrachte Retroschönheit des Gesangs die von langgezogenen lulluby-Gesangslinien abrupt in verzerrt brüchiges Aufjaulen vergeht und der Seele süß den Atem raubt erinnert an die bravouröse Wandelbarkeit der Stimme des Veils-Sängers, die hochgeputschte Exalthiertheit im erdfarbenen Tweedanzug, dessen nur bis an die Waden reichenden Hosenbeine rautenkarierte farblich abgestimmte Socken preisgeben, an die Dandexystenz Willy Moons, die Zeilen Dizzy, I am Dizzy while the world keeps on spinning zaubern Conor Oberst herbei, und viele weitere musikalische Erinnerungsfetzen treiben durch den Kopf während man versucht zu verstehen und zu verfolgen was einem gerade widerfährt. Alles hört sich vertraut und spiegelnd neu an. Eine Musik deren Macher sich aus allen Richtungen so charmant wie schamlos bedient, alles in einen brodelnden Kochtopf wirft und meisterlich fein abschmeckt. Die Stimme hat Blues, Kraft und Tiefe. Die Instrumente wummern tanzend wie im Dreivierteltakt um sie herum. Und während all das auf einen einklatscht wie das nasse Element sturmgepeitschten Regens, kann man die ganze Zeit nur kopfschüttelnd glücklich lächeln, weil die Spielfreude der beiden Spielfreunde so sichtlich ist, wenn sie sich gegenüberstehend abwechselnd auf die Drumpads einschlagen, »dieser Mann« mit seiner Rassel, der Leipziger Kumpel mit seinen Drumsticks, als wäre es ein Tennismatch. Der Eindruck als Zuhörer gerade ungehörlich gefordert worden zu sein hallt noch lange nach. Vin Blanc=wilder Rausch. Rausch der, wie nach den seither vergangenen Tagen bestätigt werden kann, süchtigend ist.

Der Umbau und das Aufsuchen einer Geburtstagsrunde treiben uns weiter nach hinten, bis Get Well Soon zum ersten Mal hinunter auf die Bühne treppieren, hinab in das erste der 3 Sets der Special Night with Get Well Soon. Letztes Jahr wurden 3 EPs veröffentlicht, und vielleicht wäre es vorbesserbereitend gewesen sich vorher mit den dahinter stehenden Konzepten zu beschäftigen.*

Mit den ersten beiden Sets ist es schwierig. Nicht weil das was man hört nicht gut hörbar wäre, sondern weil es so ganz anders als das ist, was man kennt und erwartet, und will, wenn die 3 Worte Get Well Soon durch die Gehirnwände hallen. Es gibt sie, kurz, diese anschwellenden Momente, wo aus etwas sehr Kleinem etwas raumgreifend Pompöses entsteht, das nicht zuletzt von der Stimme des Sängers getragen wird. Es gibt sie, diese zwischenstillen Momente mit interessantem Plänkel und Kniffen, 180Graddrehungen und Wendungen. Aber alles in allem scheinen sie bewusst vor allem aus dem ersten Set verbannt worden zu sein, um etwas anderes erklingen zu lassen. Als wäre die Gesamtheit dessen was man von Get Well Soon gewohnt ist in einzelne Persönlichkeitsteile, exakt getrennt, auseinandergefallen, und könnte sich nun nicht mehr verbinden. Eine musikalisch interessante Pfadsuche für die Musiker, doch als Ersteindruck, der ja nicht immer alles heißen mag, verblassen die beiden ersten Sets neben dem was man kennt, und man kann dem Gedanken nicht ausweichen, dass, wäre so die Erstbegegnung mit Get Well Soon verlaufen, man nur schwer das Besondere darin hätte erkennen können.

01 The Lufthansa Heist EP ::: »Ich glaube, das hieß mal College-Rock oder so« [Zitat aus *]

Set 1 wird später vom anderen Taxigast begeistert mit Interpol und anderen Gitarrensoundbands verglichen, was gut zeigt, es ist eine Frage des Geschmacks, und vielleicht auch der geistigen Beweglichkeit andere musikalische Auswüchse einer Band unvoreingenommen auf sich wirken zu lassen.
Und so wird im Nachhören zu Hause des einen verfügbaren Lieds auch mehr Interessantes ausgemacht. Wie gerade aus diesem Blend, des Highschoolrock, dem aber ganz unterschwellig, durch den melancholischen Stimmklang und andere Nuancen, ein bisschen magische Anderswelt darüber-untergelegt ist, etwas die Realität Abmilderndes, wie unter eine Glasglocke, wie unter einem dünnen Film Nebel, doch etwas sehr Spezielles entsteht.

02 Henry — The Infinite Desire Of Heinrich Zeppelin Alfred von Nullmeyer ::: Arnold Stadlers Roman ›Der Tod und ich, wir zwei‹, »eine musikalische Hommage an dieses sehr romantische, tiefschwarze, kluge und unglaublich lustige Werk.« [Zitat aus *]

Trepphinan und wieder herab in weißem Anzug. Es wird mehr Get Well Soon, die schläfrig verschwommene Seite, die ja auch die ersten Alben immer durchsetzt hat und viele Stellen so schön winterlich funkeln und glitzern lies, nie-endende Melancholie in schlagernd fluffigen Popandeutungen. Doch im ersten Livehören scheinen die Drehungen und Wendungen weniger zusammenzugehen, sind zu voneinander verschieden. Die Zeit vergeht gleichförmig bis hin zu dem erwachendem Gefühl etwas schonmal gehört zu haben …

… das in das dritte Set führt.

03 Greatest Hits

Es wäre ein schöner, von der Vorband etwas überstrahlter Abend gewesen, doch es wurde mehr. Mit Set 3 kehrt die volle Magie von Get Well Soon in das UT ein. Es beginnt mit Liedern der vorherigen Alben, dabei das immer weiter voranstürmende Angry Young Man, deren eingängigem Beat und mitreißender Macht sich weder das oder die wippenden Tanzbeine entziehen können, noch das wie fiebernd miteilende Herz, und das Klatschen des Publikums klingt wie neu befreit. Mit dem größten Hit den wir je gespielt haben wird schmunzelnd ein Cover eingeleitet. Vergnüglich zwischen den Stücken die angenehm lockere und kumpelig witzelnde Art in der Konstantin Gropper schon durch den ganzen Abend leitet, gespielt um Atem ringend und dem dreimaligen Treppensteigen und seinem Alter die Schuld gebend, von einem Blatt etwas ablesend und zur Verteidigung verkündend, da stehe nur der Text, nicht die Akkorde, und dann bei einem der alten Lieder doch bei den Kollegen nachfragen müssen, mit welchem Ton es denn beginne, bis schlussendlich sich auch noch in einem Lied verspielt wird. Dazwischen wird Platz gemacht für das große Gefühl, als der zauberhaft gelockte wie nervöse Leipziger Karaoke-Gast auf die Bühne gebeten wird, und das gesanglich so unfassbar geniale wie schwer unter die Haut gehende Stück a Voice in the Louvre livegewaltig von den Instrumenten unterlegt glamourös vorträgt, das einem vom Zuhören die Luft wegbleibt. Ein irgendwie gewachsener Eindruck nach all den Tourjahren der sich gleich zu Beginn des Konzerts einstellt.

Ein Bad in den großen Momenten des Pomp, in dem sich in wenigen zarten Klängen ausgedrückte Gedanken mit einem Mal zu weitausgreifenden Hymnen aufschwingen, mit dem aus jedem Moment klingendem Versprechen das auch wenn vielleicht nicht alles in Ordnung ist, doch bald alles gut werden wird. Ein Versprechen an das man sich in manchen Zeiten drängender sehnt als in anderen.

Nach fünftägiger loser Suche werden die beiden Get Well Soon-Alben endlich im Wohnzimmer gestellt. Sie werden das Gefühl nicht los, dass sie bald Gesellschaft erhalten werden.

* zum Beispiel hier.

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