Freude durch Überraschungsmomente an Türen

Das Unerwartete übt auf mich einen besonderen, analytisch motivierten Reiz aus [1]. Ich liebe nicht transparente Türen aller Art. Sie teilen den Raum in einen Teil in dem man sich befindet und den man überblicken kann. Und einen anderen Teil, in den man sich begeben kann, aber nicht weiß, was einen dort erwartet. Meist war man schonmal jenseits der Tür und hat daher eine klare Vorstellung von dem, was man auf der anderen Seite sehen wird. Aber es ist eben nur eine Vorstellung, und kein Wissen. Sehr überrascht wäre man, wenn man zum Beispiel die eigene Haustür öffnete, und sich davor eine gänzlich andere Welt befände.

Der räumliche Punkt in dem sich die Brisanz dieses Nichtwissens konzentriert ist der Raum unmittelbar hinter der Tür. Man geht davon aus, dass man diesen Raum immer leer vorfinden wird, als würde einem das Schicksal diesen Raum für den Moment des Hindurchtretens reservieren. Doch manchmal stehen verdutzte Menschen in diesem Raum, und dort wo man ist, wollen sie sein. [2]

Zwei Szenen an der Haustür.
I Bereit die Wohnung in Richtung Arbeit zu verlassen, steige ich musikbeschwingt die Hausflurtreppen hinab. Kurz vor der Haustür befinden sich nocheinmal etwa 10 Stufen und ein kleiner Abschnitt, der Platz für die einwärts schwingende Tür läßt. Trotz Musik höre ich ein Schlüsselgeräusch. Was tun in diesem Moment? Ich weiß da drüben ist ein Mensch. Durch Schlüsselklimpern hat er seine Anwesenheit kundgetan. Doch er ahnt von mir nichts. Was geschehen wird scheint unausweichlich. Oder soll, kann ich nochmal hoch gehen, und im türöffnenden Moment herumschwingen als käme ich gerade erst die Stufen heruntergehüpft? Aber wär auch irgendwie albern, oder? So was macht doch kein Mensch. Wie festgefroren bleibe ich in der beschatteten Hausflurecke stehen. Ein studentisch aussehender Knabe schiebt sich der Tür folgend in das Haus. Nimmt mich aus dem Augenwinkel wahr. Zuckt erbärmlichst durch den ganzen Körper zusammen. Ist gealtert.
Es tut mir so leid.

II Bereit die Wohnung in Richtung Arbeit zu verlassen, steige ich musikbeschwingt die Hausflurtreppen hinab. Ich öffne die Haustür und ein nur verschwommen wahrgenommenes Etwas stürzt in Bauchhöhe auf mich zu. Zutiefst erschrocken zucke ich durch den ganzen Körper zusammen. Im zweiten Moment wird mir vage der Auslöser bewußt. Am Außengriff baumelnde Werbezettel die mittels eines Supermarktgemüsebeutels von einem garstigen oder arglosen Menschen dort befestigt wurden. Schon wieder. Ein schockiertes aber bereits erleichtertes »–uchhhh! Meine Güte!« löst sich aus mir. Wie automatisch mach ich mich daran das Tütchen an den Innengriff zu manövrieren wo es weniger Herzschaden anrichten kann. Eine weibliche Hausmitbewohnerin biegt in die Haustür ein. Ich will meinen Ausruf und mein Tun erklären: »Zu Tode erschrocken von diesem Ding.« Sie gluckst fröhlich. Ich lasse den blöden Beutel auch noch fallen. »Arrrghh.« Sie lacht. Ihr Tag ist gerettet. Und das bereits um vor 10 Uhr. So einfach ist das.

[1] Adaption eines Ausspruchs von Stefan Zweig
[2] Ein starkes Indiz dafür, dass die Welt auch in den Teilen in denen man sich nicht befindet weiter abgespult wird, und nicht nur durch die eigene Beobachtung im jeweiligen Aufenthaltspunkt existiert. Einschließlich der anderen Lebewesen. Wieso sollte man sie sich direkt hinter Türen her-beobachten. Diese Tatsache ist beruhigend und unheimlich.

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