Michelle Gurevich | 4.04.17 | UT Connewitz

In abendlicher Nacht auf dem Weg zu einem Konzert, bei dem man im vorhinein eine gewisse Unwissenheit im Gefühl hat, denn das Konzert könnte sich in jede Richtung ausgestalten, alles könnte einen erwarten. Das was man in den Weiten der wirbelnden Welt aus Daten von Mme Gurevich an Videos und Audios findet, hat es verraten, und nicht wenig in gebannte Aufregung versetzt.

Und so findet man sich wieder im ehrwürdigsten Konzertraum der Stadt, in dunklem Licht, und erwartungsvollem Ausblick auf die Bühne auf der diverser musikalischer Zierrat verheißungsvoll schimmert. Die Bühne wird von den zwei begleitenden Musikern betreten und mit raunendem Gespür in bemessener Zeit folgend, der Auftritt von Michelle Gurevich in vaganter Garderobe die indirekt später Thema einer ihrer erzählerischen kleinen Intermezzi für das Publikum sein wird.

Jeder der drei Musiker hat Tasten in Reichweite, Mme Gurevich wechselt zwischen e-Piano und drei Gitarren, der Gitarrist rechts hat ein Klangblech das in ein oder zwei Stücken wirkungsvoll eingesetzt wird, und ein sehr weites Tastenwerk, und die Dame aus Dänemark links hat einen zwei-Tastenaufbau der hörbar auch irgendwo noch ein Drumpad enthalten müsste. Die Synth-Klänge scheinen von der Herausforderung, sich aus den unendlichen Möglichkeiten für eine Klang-Beat-Kombination zu entscheiden, zu erzählen. Aus dem Instrument des Gitarristen ist zu Beginn ein beinahe hölzernes Klackern besonderer Aufmerksamkeit wert, im zweiten Lied ein tremolierender Perlklang wie aus einem Vibraphon oder einer Harfe.

Die Klänge aus den Tasten, Saiten und der Stimme schweben jeder für sich in das Dunkel des putzbröckelnden Raumes über der Bühne und füllen doch den ganzen Saal. Für sich allein, verbinden sich nicht, treideln umeinander wie verloren. Es entsteht ein sehr eigener Effekt, wie als sollte er die Einsamkeit jedes Menschen die in den Liedern durchscheint noch weiter illustrieren.

Die Songs werden live — noch — reduzierter arrangiert und wirken dadurch beinahe noch spröder und bezaubernder. Von der Bühne geht in all dem was musikalisch bisweilen Aufreibendes geschieht eine beruhigende Aura aus. Aus dem Gegensatz des zurückhaltenden Arrangements und dem wie man die Lieder zum ersten Mal gehört hat, diesem Echo im Ohr, entsteht eine besondere Spannung. Das jeden Moment lautgewaltigere Musik erwartende Gefühl.

Es überrascht aber auch nicht als das rauschende Temperament erst aus einer ganz anderen gestalterischen Ecke hervorgeholt wird. Einem Stück das auch Mister Waits sicherlich gerne in Wahnsinn gesprochen hätte. Und dann wird in einem anderen Lied die Gitarre unvermittelt laut, die Stimme gestattet sich die ein oder andere Eskapade, und ein weg vom Mikrofon Gleiten, oder auch Drehen am Effektregler, taucht die Stimmung in diesen einsam singenden Klang des kirren Irrsinns den man bereits auf dem Album »Billige Flaggen« von Ich schwitze nie vergötterte. Verhallender Klang, langsam ins Nichts entschwindend, steht auch Mme Gurevich ausgezeichnet.

Auf der anderen Seite des Seins werden Stücke in lateinamerikanisch anmutende Rhythmen getaucht, oder die sparsame doch sehr fein gewählte Ausgestaltung erinnert an den Digger Barnes-Abend mit Paravicini, an mondän verklärte vergangen Zeiten, nostalgische Stimmung und schummrig benebeltes Glück. Sparsame, sphärische Klänge über dunklen Beats. Den schwingenden Saten der zu den Stücken gewählten Gitarren, wird jeder einzelnen mit Lächeln im Blick nachgehört und einen Moment darüber verweilt.

In den Stücken liegt eine eigenartige Verbindung von Ruhe und Anspannung. Und diese Mischung spiegelt sich vor allem in Mme. Gurevich Stimme, scheint von ihrer Persönlichkeit auszugehen, und sich in ihre Musik hineingewirkt zu haben. Dabei wird der Stimmklang spielerisch mit einer gewissen Abgeklärtheit versehen. Und in all dem ist Mme Gurevich’ Stimme so wohltuend und seelenruhend wie ein Spaziergang in später Nacht durch eine große Stadt. In einem Lied ist es vielleicht Sommer und fröhlicher Trubel klingt von Ferne aus einer Bar, kommt näher, wird wieder leiser, vergeht. Im nächsten Lied ist es wieder Winter und der Kragen ist hochgeschlagen, doch die Luft ist dafür kristallfrisch.

Weiterhin verfügt die Grande Dame über eine Temperaturregelung für ihre Stimme. Bisweilen stellt sie von Stern auf Eins — und die Auswirkung dieser vermeintlich geringfügigen Änderung ist überaus bemerkenswert. Überwältigend. In ihrer Stimme wie in ihrer Musik liegt aber auch eine beschwingte Leichtigkeit. Alles ist in Balance. Es ist der Faden aus dem sich das Leben spinnt. Und man stellt sich ihm mit krauser Warmherzigkeit, Schwermut. Wehmut, Weisheit, humordurchwirkter Melancholie und Eleganz.

Aus einzelnen Textzeilen erhält man eine Ahnung vom warmen Tiefsinn und der Poesie in ihren Texten. Und verstärkt wird diese Ahnung in ihren Ansagen, voll Charme für sich. Sie schimmern in ihrem herben Humor, sich über das gelebte Leben mokierend. Beobachtend. Sanftem Sarkasmus. Als Einleitung zu einem der Stücke, darüber sinnierend, dass sie hoffe, man wird all das angesammelte Gefühl aus der fröhlichen Jugendzeit bewahren können, doch sie fürchte, es wird nicht anhalten, wenn man alt ist, man wird nichts davon mitnehmen können (»good times don’t carry over«). Nach dem Herabsteigen der UT-Stiege für die Zugabe kann sie sich nicht enthalten über die Stufen zu fluchen, dass man kaum herunterkäme ohne zu fallen, »stairs like death«, doch kommt nicht umhin nachzusetzen »would have been funny though«. Oder über ihre Mutter und das Problem der Videomitschnitte ihrer Auftritte im Internet, »Michelle, your outfit was a disaster!« als Einleitung zu »oh my mother, Russian ballerina«. Und beim zum Ende diese Liedes eingeforderten audience participation part zaubert sich ein noch besonneneres Lächeln in das Gesicht der zuinnerst strahlenden Mme Gurevich und ihrer Mitmusiker.

In ihren Gespräch mit dem Publikum fängt sie oft, sehr langsam und bedächtig, in ihrer eigenen Geschwindigkeit zu sprechen an, findet ein Wort nicht, ohnehin gesellt sich noch ein anderer Gedankengang hinzu, es wird nochmal ganz anders angefangen, und das alles aber mit einer nie von nervöser Eile zu besiegenden Gelassenheit. Dieser besondere Flow beim Erzählen ohne sich aus der Ruhe zu bewegen spiegelt sich im Aufbau ihrer Lieder wieder.

Ein sehr gefühlvolles Herz teilt sich mit einer beobachtenden und nachdenklichen Seele in das Sein.

n.b.: dieser Beitrag kam erstaunlicherweise bis auf das Zitat eines Stückes ohne die Wortgruppe »russische und/oder osteuropäische Einflüsse« aus.

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