Rocket from the Crypt | 12.07.17 | Festsaal Kreuzberg

Damals, 2017 war das. Ich weiß es leider nicht mehr als ob es gestern wäre. Aber das Gefühl, an das erinnere ich mich noch als wäre ich genau dort, in diesem Augenblick, mit Rocket from the Crypt und all ihren Fans. In einem der die Tanzfläche umgebenden Sitzgruppen des Saloons. Habe selten härter gesessen. Der Gin Tonic vor mir leuchtet. In Bearleans Creek war das. Da wo es immer regnet, wenn wir hindurchziehen. Festsaal Kreuzberg. Der Schuppen, im wörtlichen Sinn des Wortes, in dem vorher das White Trash Fast Food war. Die Zeit und die Läden vergehen. Doch die Szene bleibt. Das Gefühl ist tief im Innersten verankert. Diese schiere Freude die sich aus der Energie von Rock’n'Roll . Punk . Garage . und Gebläse in einem einzigen Rauschgefühl entlädt. Draußen rollt das Tumbleweed zum langgezogenen Ruf des Kojoten, der aus dem Canyon mitten in der Stadt herüberweht. Und hier drinnen, da steht dieser mitteilsame nette Mann auf der Bühne, und unterhält die ganze Stadt. Zwischendurch macht er mit seinen Freunden Musik. War heiß die letzten Tage. Die Vergangenheit sirrt und verschwimmt wie die Landschaft die man hinter den erhitzten Luftschichten in Bodennähe flimmern sieht. Vielleicht war alles auch ganz anders …

Im Dunkel der Bühne entfaltet sich ein silbriges Glitzern dass sich kreisend bewegt. …

… Es ist der Schlagzeuger von Val Sinestra, der sich mit schwingender Hüfte und barem Oberkörper zeigt, verständliches Präsentationsbedürfnis, ist man als Schlagzeuger doch für den Rest der Show der Aufmerksamkeit oft verborgen. Die Musik munter voranstürmender Hardcore-Punk, in den ersten Liedern ein Hauch The Wave, und ein Sänger der sich sofort in den, zu seiner nimmermüden Enttäuschung und seinen Animationssversuchen – ekstatische Tanzbewegungen vor den Stehenden, mit entliehenem aufgespannten Regenschirm auf einen der umgebenden Tische springend, die umsitzenden Frauen innig ansingend, oder auch direkte Aufforderung an die im Publikum anwesenden Freunde zu partizipieren – zum Trotz, weder zu Anfang vorhandenen noch im Verlauf entwickelnden Moshpit vor der Bühne stürzt, jene seine Enttäuschung aber mit designierter Gelassenheit und ironiebeträufeltem Humor überspielt. Hin und wieder hüpft auch einer der Saitenmänner mit hinab. Einer der Buddys im Publikum verweist darauf, dass er nicht mitmachen könne, weil er eine Jacke halten muss. Was wäre dazu noch zu sagen? Nun legen wir eine der Sentenzen von Speedo paraphrasiert über das Geschehen: isn’t it such a joy to play for the old generation?

Kleiner Exkurs.

Entstanden ist »Moshpit« aus dem englischen Kunstwort »mosh«, das v. a. von den New Yorker Thrash-Metal-Bands S.O.D. und Anthrax seit Mitte der 1980er Jahre geprägt wurde und so viel bedeutet wie »starke Emotionen« oder »Chaos« und dem englischen Wort »pit«, d.h. Grube, Kessel, aber auch in der Bedeutung Abgrund oder Hölle. 1985 taucht das Verb »to mosh« bei den Stormtroopers Of Death (S.O.D.) auf der klassischen LP Speak English or Die auf: »You think that you’re really hard / You think that you can mosh / [...] / But can you do the Milano mosh?!« (aus dem Stück »The Milano Mosh«). Anthrax verwenden das Wort 1987 als Nomen auf ihrer LP Among The Living im Stück »Caught in a Mosh«, was frei übersetzt so viel heißt wie »Gefangen im Chaos«.

Das Dictionary Merriam-Webster-Online verweist unter dem Eintrag auch auf die Verben »to mash« oder »to mush«, von denen »to mosh« eine Ableitung (»alteration«) sei. Damit setzt das Dictionary »to mosh« in einen Bedeutungszusammenhang von »zu Brei schlagen« bzw. »zerquetschen«. (wikipedia, Moshpit)

Und dann werden Rocket from the Crypt stilgerecht vom mutmaßlichen Organisator der Show angekündigt, das Selbst sieht zurück und versieht sich unversehens im Ballroom, Speedo, ND, Petey X, Apollo 9, JC 2000, Ruby Mars und Atom betreten in unisonen schwarzen Elvis-Outfits an denen sich an jedem Gliedmaß goldene Schlangen entlangdrapieren die Bühne, sehen dort einfach nur wahnsinnig gut aus, wie aus der Zeit gefallen, und der inzwischen gut gefüllte Saal begrüßt sie lauthals.

Please, make a lot of noise for the band!

Abgemattete Sinne werden munter, und die Magie der Musik entfaltet sich in besonderer Weise, ein Teil einer Menge, Bewegung, Musik und Erlebens zu sein, alles verschwimmt in eines, das Schlangengold, ein in der Luft kreiselnder Schellenring, die Tanzbewegungen, die Riffs, die Slides, der Soul, die Formation, die Eingängigkeit der Textzeilen, die im Ohr endlos kreisenden Refrains. On a rope on a rope got me hanging on a rope. Der Sound hebt anfänglich das Gebläse nicht besonders heraus, im Lauf des Abends wird es etwas prägnanter, aber ohnehin scheint die Energie und das Geheimnis der Musik aus der Gesamtheit aller Instrumente und des Gesangs zusammen zu entstehen, dass es gerade so, wie die Instrumente nicht jedes für sich stehend sind, sondern wild ineinanderfeuern, ganz und gar wunderbar ist. Und hin und wieder geschehen doch ganz und gar großartige solistische Sprünge an den Saiten, Blechen oder Gesang, schneller als man es in sich verarbeiten könnte.

Ladies and Gentlemen, make a lot of noise for the band … i can’t hear you!

Rocket from the Crypt verkörpern ihre Musik und das Lebensgefühl das damit verbunden ist leidenschaftlich körperlich und transzendieren es bis in jeden Winkel der letzten Meta-Ebene hinein. Eines Lebensgefühls das sich durch jeden Takt der Musik trägt, und von niemanden besser als Speedo selbst in begeisterte Worte transformiert und gepredigt werden kann, die besondere Schönheit des Klangs elektrischer Gitarren preisend, wenn er sich in seinen nicht selten philosophischen Einlagen an die Menschen wendet die gebannt und glücklich vor ihm stehen, sich selbst und alle anderen im Saal aufs beste unterhaltend, und dabei eine erstaunliche Weite an Gesprächsthemen kreuzt, witzelt dass es in Berlin ja eigentlich kaum jemanden gibt der deutsch spricht, weil alles voller Amerikaner und Briten ist, kundig von der besonderen Stellung Leipzigs weiß, und auch so nie um einen Lückenfüller verlegen scheint, begeistert Einwürfe aus dem Publikum aufnimmt und weiterspinnt. The family of rock’n'roll. The church of the electric guitar. The sound of the electric guitar — it’s a miracle that fucking cannot be explained.

We are observers of nature. Speedo spannt das Panorama seiner Heimatstadt, und verheddert sich gekonnt besonders umständlich in einer seiner Erzählungen, von der man kaum ahnen kann, das sie die Einführung in den nächsten Song werden wird. In der Mitte ein Canyon – what’s the german word for canyon? –, wie eine Insel Natur, Refugium, und er kann Nachts mit seinem Fernglas die Kojoten – … and for coyote? – sehen, so nah und detailreich, bis hin zu einer anatomischen Besonderheit … front ball … back ball … Ahuuuuuhhh!

Der Abend wendet sich der Zugabe zu. Speedo erklärt dass er von seiner Weigerung sich dem Encore-Zwang in Germany zu beugen kuriert wurde, als nach seiner ersten Show die Leute ihre Band-Shirts zum Merch-Stand zurückbrachten und ihr Geld wieder haben wollten. Es bleibt der Phantasie und Einstellung jedes Einzelnen überlassen, wie viel daran Übertreibung ist. So wie sich Show und Wirklichkeit in jedem Leben überschneiden.

Thanks for making a lot of noise for the band.

Such a pleasure playing for the old generation.

I want it, i need it!

noch Kommentarlos
Kommentar schreiben:

Der Kommentar muss möglicherweise erst freigeschaltet werden, bevor er hier erscheint ...