Nils Frahm | 22.04.18 | Gewandhaus

Konzertschuppen mit Aussicht. Der Blick fliegt aus den Panoramafenstern über den Augustusplatz, über den sich in zwei Bögen den Mendebrunnen umkreisend die noch anstehenden Mitkonzertbesucher choreographieren. In den Saal. Damals vor Jahrzehnjahren bei Helge Schneider einerseits sehr damit beschäftigt geräuschlos Hustreiz unterdrückende Zuckerpastillen zu konsumieren, zum anderen der so weithin bekannten besonderen Akustik noch unbewusst, als dass sie, noch die funktionsfolgende polygonal gefaltete Innenarchitektur und begleitendes Ambiente, würdigend wahrgenommen worden wäre.

Der Raumklang allein des vorkonzertlichen Gesprächsmurmelns und wie es sich im Raum ausbreitet, schwebend, von Wand zu Wand.

Die Bühne zeigt sich wie eine Erinnerung an das Konzert im Schauspielhaus. Wieder sind zwei zentrale Bereiche von diversen Tastenaufbauten umstellt. Die flimmernden Holzkästen aus der Original Series im Hintergrund fehlen, später wird erklärt dass sie aus Amplitudenbalancegründen in einem entfernten, aber durch Verkabelung verbundenen Raum untergebracht sind, und das ein oder andere Detail mag verändert worden sein. Doch die zwei Performance-Bereiche sind wieder von jeweils drei Seiten mit zu bedienendem oder bespielendem Instrument umgeben und ergeben eine Art Aufenthaltskubus. Der rechte ist wieder »das Raumschiff« mit Konzertflügel, links wieder die mit mehr Holz verspielten, älter klingenden Tasten. Und so wie der Aufbau wird das ganze Konzert den Abend vor drei Jahren mit in sich einschließen, die Musik, die kleinen Plaudereien mit dem Publikum, Elbphilharmonie und Gewandhaus, ein schmeichelndes Abwägen, entspannte Perfektion.

Der beobachtende und zuhörende Geist dieses Mal wienbesuchsbedingt etwas überdreht, ungelenk, ruhelos, eben vergangene Gesprächsfetzen und auszuarbeitende Ideen treiben durch ihn hindurch, abwechselnd oder zeitgleich mit jedem Klang. Vor allem in den elektronischeren Parts wegdriften, dabei in den Klängen aufgehoben bleiben, einzelnen Geräuschen, Feinheiten folgen, hypnotisiert auf das fingerschnelle über die Tasten fliegen schauen, alles in sich aufnehmen, doch kaum einzelne Klangmomente speichern. Die Wahrnehmung verliert sich. Alles fließt ineinander, über, mitschweben im Klang der im Raum schwebt.

Beginn mit Xylophon, sanft scheppernder Klang, eine kleine Tastenmelodie, die kaum zum anderen Performance-Kubus mitgenommen wird und doch eine Art Sprung durch die Zeit und Evolution der Musik sein könnte, die in einem Zweig im Elektronischen mündet, jeder Ton, Klang, Geräusch, Beat aus einzelnem Umstecken, Anschlägen oder Knöpfchen drehen handgedrechselt.

Orgel im Kopf*

Tasten als beattragendes Element. Immer mal wieder kurz aufflackernde Demontage des harmonischen Geschehens, verzerren, abdrehen, vertakten. Eine Orgel im Kopf. Gebaut, ein Panflötengenerator.

Panflöten sind ein vieldiskutiertes Instrument.

Gefühl von Geräuschhalluzinationen die aus den Wänden sickern. Schnarchen. Theoretische Dekonstruktion eines Stückes ohne Entzauberung. C-Moll-Akkord. Repetitive Dauer. Süßliche Melodie. Amplitudenveränderung. Erstaunlich was dadurch noch einmal aus dem Grundakkord herauszuholen ist. Und abschließend heftiges Tastenspiel auf dem Flügel.

Einfach mal offen über Zugaben reden. Ein Teil der Zugabe. Das Stück mit den Toilettenbürsten. Nicht nur auf Saiten und Holz mit ihnen trommelnd, sondern auch der Ton der entsteht wenn mit ihnen am Mikrofon gekrispelt wird, sollte einmal bewusst in seiner zerbrechlichen Schönheit herausgestellt werden. Die Zugabe verklingt wie angekündigt und geht in brausenden Applaus über.

MC Escher Treppen-Assoziation beim Hinausströmen aus dem Saal. Von jedem Saalausgang scheint sich ein einzelner Treppensteg in Biegungen und Kurven in geometrischer Verzerrtheit nach unten zu spannen, so dass die Zuschauer sich gegenläufig und auf mehreren Ebenen zum Ausgang winden, fließen, treiben. Herr Anderson könnte es geschickt in eine schwingende Slow Motion-Sequenz setzen. Ein konzertwohles Gefühl das mit dem Schwung aus den Eschertreppen durch die stilldunkle Nacht federnd und leicht nach Hause getragen wird.

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* paraphrasierte und möglicherweise nur undeutliche erinnerte semiquotes in italic

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