Nada Surf – Let go & Nada Surf | 13.11.18 | Täubchenthal

sich selbst eröffnen

Jedes Album spannt einen Raum auf. Manche sind verworrene Traumräume. Orientierungslos, wenn auch nicht notwendigerweise unzufrieden deswegen, treibt man hindurch. Manche bilden ein Ganzes. Manche fühlen sich an wie ein zu Hause. Es sind Räume die man normalerweise mit seinem Inneren aufsucht. Und dann kann man die Let Go an einem Abend mit seinem ganzen Sein betreten, nicht nur mit dem Geist.

what it’s like, in the inside of … let go

Wir sind in der Let go. Der erste Raum in gedämmten Licht, Blizzard, beginnt allein im Dreigesang. Weitere Räume durch die nur selten, doch wohl gesetzt Zerrgeräusche flattern. Überwiegend fein säuberlich aufeinander gelegte Gesangslinien, Gitarrenwände in Regalen. Überall begleitet einen freundlicher und alle Lebenslagen verstehender Gesang. Ein Tisch über dem Fruchtfliegen kreisen, schlechtes Fernsehen, Zeit vergehen lassen. Sie sind voller Utensilien aus denen Alltag besteht, und so vertraut wie die Requisiten umgibt einen die Musik. Magie des Alltags. Das French room. Zwischen der sprühenden Lebensenergie mancher Tage, voller Gitarrenfunken und antreibendem Beat, und der verschlafenen Melancholie anderer. Regentage. Tage die zur Decke sprechen. Vorbeitreibende Satzfragmente wie an Fensterglas abperlende Tropfen aus denen sich eigene Räume spinnen lassen, erfüllt von bedeutenden Worten und magischen Momenten, die auf besondere Weise aus der Verbindung dieser Worte und der Musik entstehen, und aus Erfahrungen die uns allen gemeinsam sind.

left some food wrapped up in a plastic bag on the kitchen table way too long
i sat down to eat next to the bag i was too tired to throw it out
i saw a swarm of fruit flies i took the bag downstairs
when i came back they were still there
flying jerky patterns like snowflakes in the air
i’m sorry you’ve got nowhere to go

Zweite Hälfte, gerammelter, vollgestellter, krachender, zugestellter, feiernder. Der Bassist verweilt über dem Gedanken dass sie auf dieser Tour ihre eigenen Vorband sind. Der Fox News Song mit kompliziert ineinander verschobenem Muster fasziniert ungemein. Ein anderes Lied in dem der beständig beseelt strahlende, oft in slow mo-Flamenco-Bewegungen spielende Bassist, den Bass eher wie eine Zither spielt, die Greifhand hält die Saiten flach von oben nieder und nicht um den Steg herum greifend. Ein anderes mit der Faust trommelnd. Bei manchen Akrobatien des Bassisten möchte man ihm schlicht glauben, dass sie der Tonerzeugung beitragen. Firecracker, Schlagzeugfeuerwerk. Ein Joy-Division-Einsprengsel, love will tear us apart. Und popular als erste der drei ausgiebigen Zugaben, wie eine Prophezeiung aus der Vergangenheit auf La Dispute, und mit der kurzzeitigen, außerordentlich spektakulären, Illusion eines partiellen, nur den Gesang betreffenden, Gehörausfalls, als das Mikrofon pausiert.

left straight right straight – i can’t find a reason
i know i’ll keep going but i can’t find a reason
nothing looks right nothing smells right and i can’t land
geometric patterns smearing out of control
only have enough gas left for the beercan to the bowl

Wie die Lichtkegel fallen die verschiedenen Elemente und Augenblicke aus der zweiten Konzerthälfte in den so geordneten Raum der Let Go, durchschneiden den Raum, ein Konzert und dann noch viel mehr. Der Raum im Kopf wird immer voller, angefüllt, Musik schwirrt und hallt wieder wie, achja, der viel zu starke genau stimmige Hall der Stimmen.

I had the blankest year. I saw life turn into a T.V. show. It was totally weird … fuck it. I’m gonna have a party.

Soviele Jahre, so viele herausragende Songs die sich aneinanderreihen, und die Songs zusammen mit der ein oder anderen Bemerkung der Band über sie, geben einem das Gefühl, das ganze Werden, Wachsen und Sein dieser Menschen durch diese Zeiten mitzuerleben.* Das Lebensgefühl Nada Surf, aufgegangen im Gesamtklang ihrer Songs. Nachdenkliche Ruhe, voll Weisheit, Witz, Zuversicht, Ungestüm und Leben.

Sometimes I ask the wrong questions, but I get the right answers

Die nächsten Tage gilt es wieder und wieder Nada Surf zu hören, ein aufgefrischtes, wieder entdecktes Zuhause, voller Lieder wie Möbel und Krimskrams denen das eigene Leben Bedeutung gegeben hat. Der visuelle Eindruck des Cowboyhuts des Schlagzeugers wirft die Information dass nächstes Jahr Ostinato und Bulbul im UT sein werden auf, was der Nachhauseweg freudig zur Kenntnis nimmt. So viel deutlicher wird dieser Abend hoffentlich in den Aufzeichnungen des Kopfkastens verbleiben, als die kurze Zeit vollkommen unnachvollziehbar unverzeihbar entfallenen Konzerte. Berlin mit Vanderslice, und Haus Auensee vor den Sportfreunden. Verrückt. Wieviel kann man nur vergessen … viel mehr als man wiederfinden kann? Es zählt nicht nur was der Erinnerung bleibt.

* oder auch nur halb zu verstehen und eigene fehlgehende Interpretationen aufzuwerfen, die andere Geschichten erzählen.

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