Blackmail | 23.10.08 | Conne Island ::: Bohren & the Club of Gore | 24.10.08 | UT Connewitz

Do. Folget der Wasser-Pet-Flasche
Blackmail zum ersten Mal in Full Version, überdacht und nicht in Festivalkürze. Langweilig darüber zu schreiben. Weil diese unglaublich spannende Musik genau der Erwartung entsprechend live die feinste Sache zum Hoppeln, Zappeln, Feiern und dann mittendrin entführt und gebannt Stillstehen ist, wann immer sich die Musik abrupt in langgezogene Hymnen aufschwingt, wie sie der Aerial View entspringen. Weg mit den Jägermeisterfeen! Die machen dumm im Kopf. Prost.

Fr. Endzeitstimmung
Finden uns bei Mr. Karmapolice ein, um dem nahenden Fortgang entgegenzuharren, würdig zu begehen und lange Unerledigtes endlich zu vollbringen. Geharrt wird beim Auflaufkochen. Würdiges Begehen erfolgt durch die Wiederholung eines Bohren-Konzertbesuches. Und lange Unerledigtes wird vollbracht durch ausgiebige Fotonachlese des Pilgerwanderns und der Mexikobilderchens.

Kochen und vertilgen des Leckerauflaufs dauert einige Zeit an, so dass das in-Erinnerungschwelgen und die Preisgabe bis dahin nicht erwähnter Details von insgesamt 4 Wochen Pilgerdasein im 30-Minutenzeitraffer erfolgt. In Anbetracht des nahenden Konzertes eine wahnwitzige Geschwindigkeit. Spurten und springen durch diese Geschwindigkeit aufgedreht 5 Stockwerkwendeltreppen hinab und fallen mit dem letzten Weinrest in die Bahn und Petra in die Arme. Die Voraussetzungen Bohren zu lauschen stehen sehr günstig diesmal. a. Fitness. Ich komme nicht direkt von der Arbeit. Ich bin nicht vorher schon müde. Ich habe vorausgeplant. Ich habe Kaffee getrunken. b. Veränderung. Würden Mr. Karmapolice, Patrick und ich wieder nur zu dritt antreten, könnten wir uns vermutlich schwer vom starken und so überaus angenehmen Erinnerungssog des vergangenen Konzertes lösen, und würden uns noch sehnsüchtiger dem friedlichen Hinschlummern und dem durch einen einzigen plötzlich ausbrechenden Ton brachial Hochgeschrecktwerden hingeben. Doch durch Petras ernste Aura des erfahrenen Jazzgenusses und durch Alex ahnungslose und allem offen stehende Neugier ist dieser Bann der Wiederholung abgemildert. c. Der Vorbandmann ist es absolut wert.

Das UT ist durch den Ruinenlichtspielhauscharakter immer eine das Auge freuende Konzertumgebung. Wenn die Musik diesem Charakter noch entspricht ist man zu Gast in einer anderen Welt. Alexander Tucker sitzt einsam auf der weiten rot und schummrig beleuchteten Bühne. Bereits umgeben von den schwarzen und chromenen Instrumenten von Bohren, die überall auf der Bühne verstreut und verlassen daliegen. Dadurch wirkt er noch kleiner. Alleiner. Wie der letzte Mensch auf der Welt.

Und durch die hinter ihm riesenhaft aufragenden Säulen, die links und rechts der alten Filmleinwandfläche an der bröckelnden Wand angedeutet sind und die Andeutung eines dreieckigen Tempeldachs stützen, schrumpft er auf seinem rot gepolsterten Konzertstuhl sitzend noch mehr zusammen. Und würde er nicht Blue-Jeans und Cowboystiefel tragen, wie er da so einsam am Ende der Welt sitzt, müsste ich vielleicht nicht immer an die letzte Szene im ersten Band des Dark-Tower-Zyklus denken. Roland, wie er endlich den schwarzen Mann stellt und wie dieser ihn in einer Nacht am Lagerfeuer durch die Zeit bis ans Ende des Universums zerrt, bis Roland am nächsten Morgen erwacht. Allein.

Und so sitzt Alexander Tucker in seiner Klangwelt, umgeben von seinen Streich- und Seiteninstrumenten, die er abwechselnd ergreift. Und nichts deutet an, dass er für irgendwen spielt, außer für sich selbst. Sich selbst genug und mit einer Ernsthaftigkeit, in der er wirkt wie ein Roboter mit dem feinsten Emotionschip den die Technik des 24. Jahrhunderts herstellen kann, tritt und dreht er mit seinen Beinen die fußerreichbare Technik und angelt nach dem nächsten Instrument. Selbst das Umkippen der Bierflasche die unter seinem Stuhl fast in Sicherheit vor diesem langsamen Herumwirbeln steht, kann nichts anderes als Teil und Plan dieses präzisen Uhrwerks sein. Und wunderbarer Weise ist das Publikum ruhig, gespannt und aufmerksam. Schließlich ist es ein Publikum für Bohren. Vielleicht aber auch, weil es ja schließlich gar nicht da ist, und der Alexander alleine da sitzt, in dieser Ruine.

Das UT ist diesmal nicht durchbestuhlt, so dass sich schließlich die meisten vor der Bühne auf den Boden kauern. Die Rezeption von Bohren erfolgt recht unterschiedlich, und dies kann an den Haltungen der Kauernden exakt abgelesen werden. Viele richten sich durch Unterlegen eines Rucksacks schon in liegender Stellung ein, bereit für ein feines Schläfchen. Andere sitzen versonnen im Schneidersitz als würden die ersten Sonnenstrahlen des Jahres auf sie fallen. Neben mir ertönt bald ein leises Wimmern, das von starkem inneren Kampf zeugt, bald am ganzen Körper zitternd, bald apathisch den Kopf tief bis zum Boden hängend. In dieser angekratzten Verfassung natürlich ein leichtes, ein hysterisches Opfer für die in mühlheimscher Ruhe vorgetragenen humorösen Zwischenansagen, die die wohlmeinende Band dem Publikum in sonorer Stimme reicht, damit es sich nicht vollends in der Deprivation aller Klänge verirrt. Die Ankündigung »Wir gehen jetzt kurz von der Bühne und kommen dann für zwei Zugaben wieder« ein Schlag auf einen bereits Gebrochenen; die Fortführung »Vor der Zugabe spielen wir noch ein Lied, das wir vorher vergessen haben« schon nicht mehr gefühlt.

Dabei wirkt dieses Konzert im Vergleich mit meiner Erinnerung irgendwie fast schwungvoll. Und auch die Bühnenkulisse ist viel aufregender. Die Lichtkegel, die über den Instrumenten hängen, damit die Band im nachtfinsteren Raum genug sieht um spielen zu können (und vermutlich damit die Band wirkt wie aus einem sehr sehr alten fast noch schwarzweißen Draculafilm gestiegen, vor allem der hinter der Orgel, ähm dem Keyboard) sind doch tatsächlich farbig. Grellbunt. Und: die Farbe ändert sich! Das ist natürlich schon nah an der Grenze zum Zuviel an Input. Aber trotzdem. Die Klänge. Das Saxofon. Die Stille dazwischen. So schön. Und wie schön, dass Patrick, nach dem Konzert wie vom Universum verschluckt, schließlich freudig springend zu uns hüpft. In der Hand die »Tonträgerin« Dolores.

2 Kommentare
  1. whity · October 28, 2008 @ 18:29

    Ja Wahnsinnsbericht! Und selten hatte ich so einen guten Sekundenschlaf (oder wahren es Minuten oder Tage?) wie beim Bohren-Konzert. Aber das liegt wohl in der Natur der Sachen ;)
    Was hatte denn der Alex eigentlich? War wohl zu viel (oder zu schnell) für ihn, was? :D

  2. admini · October 29, 2008 @ 19:23

    Tjaja. Wielange das Konzert tatsächlich gedauert hat, kann ich Dir leider auch nicht sagen. Kann schon sein, dass sich „die Welt weitergedreht hat“, während wir da drinnen saßen. ;-) Vom Erholungsgefühl her müssten es 1 Woche Schlaf gewesen sein.

    Hmmja Alex. Ja denke auch. Ihm liegen diese schmissigen Sachen einfach nicht so.

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