Vorbereitungen für die Überwinterung

Get Well Soon, Rest Now Weary Head! You will get well soon /
Songs against the glaciation
Cold War Kids, Loyality to Loyality

Seit Donnerstag wurde von einer Kollegin in großartig aufrüttelnder Weise ein tobender Schneesturm für Freitag, 16 Uhr über Leipzig angekündigt. Den ganzen Freitag über ausbleibend brach er am Samstag, während eines innenstädtlichen Einkaufs, endlich in einem Flockenfall, den die immerwährenden Kleinredner schmähend friedlich und sacht nennen würden, vom Himmel. Zeit seinen jahrtausendealten Instinkten zu folgen und hortend reichhaltige Nüsschen ins Nestchen zu schleppen um den langen, kargen Winter unbeschwert überdauern zu können.

Doch das Sammeln von Nuss, Kern und Stroh mag ich wohl gerne den anderen Nagern überlassen, und stattdessen wie Frederick Farben, Formen und Geräusche sammeln. Auch wäre es einem wahren Schüler Fredericks unwürdig dies von langer Hand zu planen. Neinnein. Nebenbei und unverhofft muss es geschehen. Schnöde und bewusst nach CDs in einem Onlineshop suchen kann jeder.

Unter dem Vorwand eines Filzstiftkaufs der nicht länger aufgeschoben werden kann, begebe man sich in das bekannte Parfümerie-Waschzeugs-Schreibwaren- und Spielekaufhaus, das im obersten Stock meist eine CD-Abteilung beherbergt, die in der Leipziger Ausgabe die obskure Eigenschaft besitzt, dass man dort immer mal wieder Außergewöhnliches findet, wonach zu suchen man nicht einmal gedacht hätte. Doch hoffnungsvoll erklimmt man natürlich trotzdem nicht die Rolltreppe. Das würde ja dem selten — Internetkonkurrenz bedingt verständlicherweise und daher in nachvollziehmüssender Weise selten; der Lauf der Dinge, zwecklos ihm zu klagen, aber nachtrauern dürfen muss man doch — gewordenenem Gefühl des Fündigwerdens den Glanz nehmen.

A-Mäuschen und B-Mäuschen schwärmen also in die CD-Regale aus, und zeigen sich stolz was sie gefunden und zu Tage gefördert haben. Da steht das neue Slackers-Album Self Medication als einzelnes Exemplar und will gerettet werden. Ein The Solution-Album springt ins Auge. Und der am Regal entlangschweifende Blick bleibt am Schriftzug Cold War Kids hängen, stockt irritiert, das Cover sah doch immer anders aus? Ein neues Album!

Wie grauenvoll der Gedanke, dass mir die Veröffentlichung des neuen Albums dieser mir kalt-(haha-klopf-auf-Oberschenkel)-geliebten Band hätte entgehen können, wenn nicht der Zufall, dieser verlässliche Geselle, mich hingeführt hätte. Das beinah geschehene Grauen läßt mich kurz starr stehen. Darauf folgt die Angst, ich könnte dieses so unverhofft neue Album nicht gut finden. Was tun?

Dieser tragische Moment wird durch einen CD-Hüllen-schwenkenden Arm unterbrochen. »Das ist der, von dem ich Dir erzählt habe, dass er wie Beirut klingt und auch alles selbst eingespielt hat.« Allein der weichverträumte Klang der Worte »wie Beirut« ist schon etwas, was man mit ins Winternest tragen sollte. Und so mag eine anfangs hergerissene Skepsis, die etwa eineinhalb Minuten überdauern konnte, sich in den nächsten Tagen zur Hingerissenheit mausern, was sich anlässlich eines anstehenden Leipzigkonzerts sehr schön machen würde. 2.12. Schaubühne Lindenfels. Es folgen die ersten Höreindrücke.

Get Well Soon. Die ersten Intro-Töne klingen mitnichten wie Beirut, was allein durch die Ankündigung, dass es so sein werde, naturgemäß enttäuschend sein muss, und eine unvoreingenommene Beurteilung der Musik schwierig macht. Allein der Anklang an die Klangwelt der ruhigen und choralen Aerial-View-Momente Blackmails bindet die Aufmerksamkeit und die Neugier solange, bis das Beirutartige mittendrin, erst gezupft, fiedelnd und tirilierend angedeutet, gewaltsam hervorbricht. Ein irgendwie technisiertes Beirut, dass wiederum an Digital Ash in a Digital Urn von Bright Eyes erinnert, und nicht nur in diesen Fall den melancholischen Wunsch weckt, dieses oder jenes lang nicht mehr hervorgeholte Album wieder zu hören und zu entdecken. Träume für den Winter, die einen immer weiter führen werden.

Immer weiter wird man von diesem Album durch neue Eindrücke und Klangähnlichkeiten hindurchgewirbelt. Die Stimme erinnert an jemanden, doch wen? Nicht greifbar, zu unähnlich bestimmt die Musikrichtung aus der die Stimme kommt, an die die Andere erinnert. Verzweifelt verheddere ich mich in meiner Einordnung — wie HIM? — bis mir irgendwann bei Lied 8 »We Are Safe Inside While They Burn Down Our House« triumphierend Thom Yorke als Ergebnis eingehender Reflexion unter die Nase gehalten wird. Schnüff. Schnüff. Ja. So riecht Radiohead. Und so pendelt sich Get Well Soon zu seinem ganz eigenen Selbst ein, indem es fast alles mitnimmt, was es an Musik gibt. Erinnert allein durch das Weary Head im Albumtitel an das Erdalbum von Thrice, und diese Erinnerung wird z.B. in »Christmas in Adventure Parks« bestätigt. Thrice und Bright Eyes. Und dann wieder der abgeklärte Charme von Cold War Kids oder Murder By Death und alten Musikfilmen voll Leid und Elend, der in seinem Pomp an My Chemical Romances The Black Parade erinnert. Und immer mal wieder erinnert es an Roman Fischer (Akzent? Gesangsausbildung? Klavier?). Spiel mir das Lied vom Tod, Star Trek und William Shatner-Alben.

Ich bin ganz aus dem Häuschen vor Aufregung, wie sich diese vielfältigst schillernde Perle für mich in einer Stunde, morgen, in einem Jahr entwickelt haben wird. Momentan herrscht das Gefühl, fast bis zur Gewissheit, vor, dass sich dieses Album nie tothören wird, und einen immer weiter wieder zurück zu ehemals neuen Alben führen wird. Von Anfang an ganz hin- und weg von dem auf dem Artwork eingravierten Mäusemotto, dass dem Album-Titel der Zweit-CD Songs Against the Glaciation unterstellt ist, kann das Album eigentlich nur gewinnen:

»In the Depth of Winter I finally learned
that there was in me an invincible summer«

Cold War Kids. Und hier? Auch die Geschichte geht gut aus. Angst unbegründet. Album Nummer Zwei klingt wie Album Eins. Genauso schön, und verquer, zögerlich, träge und gedehnt und groovend verträumt wie ein Tag am Strand, abdriftend, sich gewaltsam hochtürmend und aufbauschend, dann wieder verspielt, dieselbe Stimme, verdreht bis zum Stimmbandschmerz — Musik die einem auf eine Art eine überdrehte Geschichte erzählt, von der man in diesem einen Moment vollkommen unverständlicherweise eindringlich überzeugt ist, so wäre es, das wahre Leben.

2 Kommentare
  1. whity · November 27, 2008 @ 20:07

    soso, ich muss sagen, deine Rezension hat mein Interesse geweckt. Eine Stimme wie Thom Yorke? Riecht wie Radiohead? Toll!
    Allerdings muss ich gestehen, dass ich die “Digital …” von den Bright Eyes enttäuschend fand. Aber vielleicht muss man sie öfter hören? Ich steck sie mal in die Kategorie “1,5x gehört und dann schnell in der Versenkung verschwinden lassen”.
    Empfehlen möchte ich an dieser Stelle mal wieder die (relativ) neue Radiohead-Scheibe “In Rainbows”. Fand ich am Anfang nich so dolle aber sie wächst bei jedem mal anhören. Ich sollte sie nicht zu oft hören - dann habe ich gar keinen Zugang mehr zu anderen Sachen.

    Übrigens toll die neue Farbgebung. Und schick auch die Krähe!
    “How much is it still to go?” … “12 miles as the crow flies.”

  2. admini · November 28, 2008 @ 18:23

    :-) Natürlich musste ich schon bei der Verwendung des Schlüsselwortes Thom Yorke dran denken, wie du die Spur aufnehmen wirst. Hoffe ich hab jetzt nicht zu viel versprochen, weil er ja natürlich nicht bei jedem Lied diese Radiohead-Art hat. Lass auf jeden Fall mal hören was Du nach dem Hören davon denkst.

    Bei Bright Eyes “Digital …” kann ich ja eigentlich nur zustimmen. Gut, ganz am Anfang fand ich die CD toll, da war der Ober ja auch noch ein Musikgott für mich ;-). Aber jetzt hab ich sie schon jahrelang nicht mehr gehört gehabt, weil sie für mich den reiz verloren hatte. Und das ist genau das Ding. Ich hab das Album gehört, und auf einmal hatte ich wieder Lust die Digital Ash zu hören, und ich habe sie wieder so verstanden, wie am Anfang. Eigenartig.

    Ja. In Rainbows muss ich mir wirklich mal ganz durchhören. Steht auch auf irgendeiner ToDo-Liste, die hiermit wieder einmal aktualisiert sei. Hoffe der Dezember mit den ganzen Weihnachtstreffen, Verabschiedungen (:-( ) usw. läßt Zeit dazu.

    Farbgebung. Ja, bin momentan auch sehr happy mit. Konnte das Grün schon länger nich mehr sehen, und jetzt wo dann auch noch kurz der Winter da war, hats gar nicht mehr gepaßt. Wenn ich einen Poll hätte würde ich trotzdem schonmal ne Abstimmung anfangen, welche Farbe es irgendwann nach dem Blau werden soll. Kükengelb vielleicht (heul) oder Ferkelrosa (schluchz).

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