Port O’Brien & Get Well Soon | 2.12.08 | Schaubühne Lindenfels | Teil I

Aus der Straßenbahn strömt eine Menschenmenge, die mit einem Adjektiv irgendwo zwischen »kleinere« und »recht ansehnlich« versehen werden muss, Richtung Schaubühne und ich ströme samt geliebter Begleitung mit. Im Konzertsaal der Schaubühne werden noch zwei Plätzchen auf den Rängen gefunden, die der arbeitstagmatte bekennende Sitzkonzertfan begeistert erklimmt, und schonmal die Aussicht genießt, die an späterer Stelle beschrieben werden wird. Der Konzertsaal ist doch recht ansehnlich voll.

Port O’Brien. Vorbands, von denen man zuvor noch nie hörte, sind immer eine aufregend spannende Angelegenheit. Neue, unbekannte Musik, und wer weiß was sie bringen wird. Port O’Brien betritt die Bühne, der Sänger und Gitarrist begrüßt artig das Publikum und stellt sich wohlerzogen samt Herkunft (California) vor. Mittig steht der Bassgitarrist, daneben Gitarrist Nummer zwei. Schlagzeuger und graziles Geschöpf auf Sofa mit weiterem Saiteninstrument vervollständigen das Ensemble.

Folkig angenehm aber unspektakulär dudelt die Musik im Mehrstimmengesang vor sich hin. Man will sich entspannt zurücklehnen und gemütlich der ganz netten Musik lauschend auf die eigentliche Band warten. Der Rücken wird die für ihn bestimmte Rückenlehne nicht erreichen.

Mitten in der Zurücksinkbewegung bricht die Band aus. Mit Lautstärke. Mit einem unverschämten Rhytmus. Mit Krach. Und dann werden sie verdreht. Und dann verquer. Mit Geschrei das an Wahnsinn grenzt aber gerade noch so Musik ist, und einem irre freudigem Grinsen im Gesicht springen Gitarrist 1, Bassgitarrist und Gitarrist 2 in wilden Verrenkungen über die Bühne. Niemand wird Gitarrist 2 dabei beobachten können ohne dass sich das Wort Rumpelstilzchen aus der grauen Kopfmasse bildet und dabei wild im Kopf mit ihm mithüpft. Trotz Herumspringens muss natürlich der mehrstimmige Gesang aufrecht erhalten werden. Da Rumpelstilzchen kein eigenes Mikro hat, muss es sich auf und ab hüpfend an den Bassgitarristen drängen, um euphoriestrahlend in dessen Mikro grölen zu können. Der Bassgitarrist, der durch seinen Spielstil — konzentriert, Rumpf weit über Instrument gebeugt bis der Kopf fast den Boden berührt — wie der ruhende Pol in der Mitte der Bühne scheint, wirkt dadurch leicht verstört. Wie ein kleiner Junge der um den Besitz seiner Bonbontüte bangt. Er versucht nicht zu weit abgedrängt zu werden, und vor allem sich nichts anmerken zu lassen. Aber das wirkt bestimmt nur aus der Ferne so. Und dann …

… dann geht es ganz ruhig und entspannt weiter als wäre nichts gewesen. Mit demselben Gespür das auch Kaizers Orchestra beseelt. Mit Anklängen an die großartige Weite und unscheinbare Raffinesse in Gesang und Musik von John Vanderslice. Und der faszinierenden erheiternden Entdeckung das irgendwas am Sänger an Hans Söllner erinnert. Man könnte es sich einfach machen, und Ähnlichkeiten in Aussehen, Haarfarbe, Haarlänge anführen. Doch das ist es nicht. Schließlich geht es hier um Musik und nicht um Äußerlichkeiten. Sagen wir, es ist diese bestimmte Gesangsvortragsart, die vielen Reggaeliedern eigen ist, die nicht Musik sondern Geschichten zu erzählen haben. Reggae in der Stimme.

Und das passt sehr hübsch. Denn nachdem ich diese Musik niemehr wieder missen müssen möchte und die Schaubühne daher nicht ohne Album verlies, kann ich hier mitteilen, dass Port O’Brien nicht nur wundersam seelenvolle und prächtig tanz- und hüpfbare Musik machen, die im Konzert gerne in audience participations umgesetzt wird, sondern auch voller erkenntnisvoller Texte stecken.

I’m doing fine in the city
I don’t miss the stars

(Port O’Brien, Fisherman’s Son)

Und dann wurde es Winter. Und dann wurde es Weihnachten.

Get Well Soon.

3 Kommentare
  1. The Passage » Port O’Brien & Get Well Soon | 2.12.08 | Schaubühne Lindenfels | Teil II · December 11, 2008 @ 19:59

    [...] Port O’Brien. … [...]

  2. marcus · February 17, 2009 @ 23:47

    ya, port o’brien war toll. war nur wegen denen dort.
    get well soon wirkte da gegen sehr angestrengt ernst und - naja langweilig… aber das ist geschmackssache…
    schönen gruß - m.

  3. admini · February 18, 2009 @ 20:53

    Oh yeahh! Ich grüße den Ersten mir fremden (? Whity-Connection?) Kommentator hier :-)

    Nach mehr als 2 Monaten höre ich die Port O’Brien-Platte immer noch rauf und runter (ähm ja. Die Get Well Soon aber auch). Hat mich ziemlich erwischt bei der Band und ich bin einfach nur froh diese Band zufällig kennengerlernt zu haben. Möchte ich mir auf der nächsten Deutschlandtour - möge sie hoffentlich bald sein - auf jeden Fall wieder ansehen.

    Hmm, an der ernsten Aura von Get Well Soon kann ich mich ganz gut anschließen, die Stimme und alles sind auch sehr auf einen ernsten Klang ausgelegt. Das Bandselbstbild mag da schon ganz anders als das der Hüpfies von Port O’Brien. Langweilig fand ichs jedenfalls nicht, aber mag auch einen Unterschied machen, ob man vorher wild vor der Bühne zu Port O’Brien rumgehüpft ist oder an sich näher an der Bühne dran war, oder ob man das alles aus Opernplatzferne auf sich einrieseln lies.

    Der obige Absatz kann sehr gut als die Langfassung von “ist geschmackssache” gewertet werden. ;-)

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