Get Well Soon | 3.03.10 | Centraltheater

Theatreske Umgebung wirkt unweigerlich auf Stimmung, Auftritt und Wahrnehmung einer Band ein. Das ist in Leipzig mit UT Connewitz und Schaubühne Lindenfels nichts Unbekanntes.

Doch Novum ist wenn der Ort nicht wie eine verfallene Erinnerung ausstrahlt, sondern in Gegenwart glänzt. Noch selbst lebt und höchstens ein bisschen seinem Zweck verfremdet. Das Erklimmen der breiten Treppen hoch zu den Rängen. Rotbezogene Bestuhlung. Leuchter. Der Blick zur Bühne geht nach unten. Alles ausgebreitet, vorbereitet. Und das Endpausenklingeln. Ein Gefühl von Größe, Erwartung schwebt in jedem Luftpartikel. Man sitzt, das Herz steht.

Keine Band könnte mehr genau hierher gehören als Get Well Soon. Wenige vielleicht genau so gut, aber keine besser.

Auch der Vorband Abby steht das Centraltheater gut, nicht weil sie wie geschaffen dafür ist, sondern weil sie scheinlich über jedwedem äußerlich Angst und Respekt einflößendem Einfluß steht.

Die Musik spiegelndreiner glatter Klang. Schnellbeatiger Postrock in den durch die Stimme Funk fließt. Das Glamrigbunte darin ist angenehm unübertrieben. Es ist fast als würde es einem nur durch den Bandnamen in Leuchtreklame im Hintergrund offenbar.

Und von der Leuchtreklame scheint sie unablässig überzupulsen. Die Energie. In die Band. Mitreißend, selbst durch die Theaterbestuhlung. Selbst wenn man gegensätzlich sitzen bleibt.
Und mit innerlichem offen stehenden Mund betrachtet und belegt man, wie es sein kann, dass es davon so viele gibt. So viele Bands die sich auf großen Bühnen wie heineingegossen und hingehörig ausnehmen, dass es Freude ist ihnen dabei zuzusehen.

Erinnert unter ganz anderem an: John Vanderslice, Franz Kasper, Head Automatica

Get Well Soon. 2008. Die Reise begann irgendwo weit im Osten des Kontinents, bog dann irgendwann unmerklich gen Norden, dem Meer zu, ab. Und das Meer wurde überquert und nun sitzt das neue Album nach langer Reise irgendwo in skandinavischen Wäldern oder vielleicht sogar isländischen Unlandschaften.

Nicht mehr im Winter. Nicht mehr von der Gewalt des Immer Weiter empor- und zusammengehalten. Die stillen Lieder damals wie das zur Ruhe kommen, wenn einen der Weg ohnehin weiterträgt, ohne das man sich darum bemühen muss. Nichts zu tun, da kann man auch Nachdenken. Dem Gewesenen und der Zukunft hinterhersinnen, während die Landschaft von vorne an einem vorbeizieht.

Jetzt ist es anders. Vielleicht ist es keine Reise mehr, sondern die Erinnerung daran, die alles durchblättert, sobald man selbst still steht, alles an einem vorbeigleiten läßt, was war. Unwideruflich gewesen ist. Schönes und Gräßliches. Nichts mehr zu ändern. In raschem Wechsel. Noch aufgewühlt von der Reise bis man in das Angekommensein findet.

Und wie aufgewühlt reihen sich die Musikstücke aus dem ersten und dem zweiten Album im Wechsel aneinander. Und allein dadurch scheint das Konzert nicht so vollkommen perfekt wie das erste Erlebte. Zerfahren. Doch vielleicht ist das das Theater. Das einem schließlich etwas beizubringen hat, vom Leben. Vom wirklichen Leben und nicht von dessen perfekten in sich wie in ein eigenes Universum eingeschlossenen Abglanz.

Die Lieder des ersten Albums sind so gewaltig, haben eine so starke Verdrängung, dass die im Wechsel gespielten der Neuen dagegen zu klein, zu zart wirken. Bang beobachtet man, wie sie versuchen da am Rand zu bestehen. Fiebert voller Erwartung dem Besitz des Albums entgegen um herauszufinden, wie sie sich unter sich allein entfalten und erwachen können. Wenn sie nicht neben der Übermacht des ersten Albums stehen. Und man weiß, sie werden sich ganz wunderbar ausmachen, unter sich. Es ist gewiß. Sie werden aufwachsen. Größer werden.

Doch jetzt und hier im Konzert steht jedes Lied einzeln. Jedesmal ein neuer Bruch. Jedes Lied wie ein neues Konzert, eine neue Welt. Episodenkonzert.

Auch im neuen Material glitzern die eher ungewöhnlichen Instrumente, die diese Musik durchsetzen, die Kuhglocken, Klänge wie getupft, vibrierend, dann wieder weich hallend, irgendwelche eventuell amerikanischen Hirtenbretter, und der schwesterliche Gesang, der darüber schwebt.
Und auch im neuen Material lauert der Bombast in den Liedern. Manchmal lauert er nur, ohne auszubrechen. Kratzt somit an den Nerven. In der Nervenreizung derjenigen Spannung ähnlich, die entsteht indem Teile von Liedern aneinandergestellt werden, aber nicht ineinander überfließen.

Getrennt.

Zwei Teile die nicht zusammengehören. Vielleicht ja Absicht. Vielleicht ja ganz schön raffiniert. Etwas zum darüber Nachdenken, etwas zum länger Verstehen. Man muss beide Teile in den Händen drehen und wenden, versucht sie einzupassen, betrachtet sie von allen Seiten. Es gelingt nicht. Man kann nicht damit aufhören. Es gibt einem Rätsel auf.

Im Hintergrund zu all dem eine Videoleinwand, die alle benötigten Bilder liefert. Zugreisenblick aus dem Fenster in die Landschaft im Schnee. Das Meer. Ein gigantisches Pendel, das über der Band schlägt, vor und zurück. Und vor allem der Wald. Dammwild, Waldvogel, Jagd und wildflüchtendes Rennen.

Wurzeln, Moos, Baumstämme und Wipfel. Der Wald und das Centraltheater.

Und zu »We are Ghosts« sieht man die Band vor weißer Fläche, nicht durchsichtig, und doch wirken sie unkörperlich. Schneiden ernsten Blick oder Fratzen. Und lange geschieht nur Minimales in Lied und Leinwand. Und mit einem Mal hebt sich das Lied im Chorus wie über alles hinweg. Mit einem genialem Schlag. Unerwartet. Befreiend. Tröstend.

Bei der Vorband stieg der Überdrang nicht zu sitzen immer weiter an. Bei Get Well Soon und für diese Konzertinszenierung mit Leinwand wie im Kino scheint es richtig, angemessen. Und noch richtiger fühlt es sich aber an, für die Zugabe, nach erhebendem Abschiedsapplaus endlich stehen zu bleiben. Endlich zu stehen. Stunden weitergelebt und erfahren zu haben. Zu stehen wie ein wieder veränderter Mensch.

Durch das Aufstehen im Theater wird Begeisterung und Dankbarkeit gezeigt. Es ist die Verbeugung des Publikums.

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