Wienwirkungen 5 | 11.08 bis 14.08

Wien. Eine Stadt wie ein Mosaik. Wie die Welt. Und wir wieder drin. Wieder in Wien.

0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 Wasser überm Schwanensee

Voll des sommrigen Tagesausklangs nach dem MQ. Geruhsame Plauderentspannungsstimmung im Spittelbergviertel. Mittendrin weniger ansehnliches 60erjahre-Graubraunwohnhaus mit drei darauf gemalten Eulen die an die Entsprechenden an der Secession erinnern. Kurz zuvor gehen wir eine Wohngasse entlang an einem offenen Parterrefenster vorbei. Blick auf einen Mann der auf einem Sofa genau in der Mitte des stillen Zimmers sitzt und nachdenklich raucht. Genau in der Mitte. Raucht. Sinniert. Blickt an die Wand gegenüber. Man ist kurz versucht hineinzurufen »was sinnieren Sie da?« Geht aber weiter und sieht noch ein wenig der nächtlichen Philosophengeschichte nach, die sich daraus spinnen liese.

Dame A. ruft uns an. Sie wäre nun bereit für das Klassikopenair vor dem Rathausplatz, wann wir da sein könnten. Die Luft beginnt sich aufzuladen. Beinahe gewittrig. Wir verabreden uns vor dem Burgtheater um etwaigen sachten Regentropfen dort unterständig entgehen zu können und drehen sodann bei, schlagen uns irrend durch mehrere Straßenzüge und kommen schließlich direkt hinterm Parlament raus. Ein Hochgefühl umspielt meinen Orientierungssinn und bändelt mit dem Wetterleuchten über der Stadt an.

Kurz vor Überqueren einer der Ringampeln bremst uns ein Stadtlauf mit Joggern, Rollschuhläufern, Liegefahrrädern und anderen Sporterlebnisirren unter takkernder elektronischer Musik. Wir stehen an der Ampel und halb Wien läuft und schlittert an uns vorbei. Ich denke an Snickers. Es nimmt lange kein Ende. Ich sehe den Ring aus der Luftperspektive und male mir aus wie der Anfang der Stadtlaufschlange hinter dem Ende herrennt, Stadtringrunde um Stadtringrunde. Aussichtslos.

Der Blick wendet sich ab und wird durch den Brunnen vor dem Parlament erfreut, dessen Wasser das gelbe Laternenlicht flackernd an den Stein wirft. Die umstehenden Menschen alle wie Schemen. Ich werde rausgerissen, und über die Ampel gezogen. Das Stadtlaufwesen ist vorbeigezogen.

Wir setzen uns auf die Stufen des Burgtheaters, die Musik weht zu uns herüber, vor unseren Augen buntes Menschengewirr und über Wiens Sommernacht der Mond wie von einem Gewölbe hängend. Es fängt an zu tröpfeln. Zu regnen. Mehr zu regnen. Wir stellen uns unter. Ankunft der Dame A. Erkunden den Rathausplatz und stellen uns unter das in der Mitte aufragende Planengewölbe. Die Leinwand gibt den Schwanensee und meine musikalische Neugier ist geweckt, kann nur hier nicht gestillt werden.*

Regen massiviert sich. Essen Rosmarinkartoffeln, ich bin glücklich. Die anderen hätten gerne Bratwurst. Wir leiden an Hunger, an der murmelnden unters Zeltdach gedrängten Menschenmasse und dadurch mangelnder Musikakkustik. An dem Geprassel des Regens auf die Planenbedachung und auf unsere durchweichten Nerven. Wir werden unleidig. Wir beschließen dass der Abend uns woanders mehr bieten wird. Warten Regenminimierung ab um uns einem Pub — und hoffentlich weiterem Essen — zu nähern. Dame A. instruiert uns über die zu nehmenden Straßen- und U-Bahnverbindungen, und verschwindet auf ihrem Rad in der Dunkelheit.

Wir verpassen knapp die Straßenbahn und stellen uns wieder am Burgtheater unter um dem letzten Tröpfeln zu entgehen. In diesem Moment schnappt die Unwetterregenfalle über der Stadt Wien, über uns, und irgendwo über der schutzlos radelnden Dame A. zu. 60 Liter auf den Quadratmeter pro Stunde ist ein guter Richtwert, nimmt man Wind einer Stärke hinzu der den Regen in die Waagrechte zwingt erhält man eventuell ein Bild von dem was vor unseren Augen geschieht. Jahrtausendregen.

»I know this is not funny. I should not lough. But I cannot help it.«

Mit uns unterm Burgtheatereingang stehend ein paar weitere Glückliche, darunter Briten. Schwer nicht vor Faszination mit weit aufgerissenen Augen dazustehen, schwer nichts zu kommentieren, nicht zu grinsen, voll des Mitgefühls, wenn man beobachtet wie immer wieder den Rathausplatz verlassend eine sommerlich gewandete Menschenmenge an der roten Ampel angeschwemmt wird, sich langsam aufstaut, umtost und durchregnet wird, um dann bei Grün mit einem Ruck loszusprinten, zu flippfloppen und zu stöckeln, und in die auf unserer Seite bereitsstehenden Taxis zu hechten. Welle um Welle. Die Regencapes verleihen der Regenszenerie genau den richtigen Flair und durch ihre durchnäßte Transparenz eine gewisse tosende Unwirklichkeit. Irgendwann naht sich auch unser Auftritt, unser Beitrag zum Schauspiel, wir sind aufgeregt voll Lampenfieber, der Straßenbahnzug der uns aufnehmen soll fährt vor, wir stürmen los, in die Fluten, schwimmend, in einen Waggon. Wir sind drin.

Eine Station weiter telefonieren wir uns mit Dame A. zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie kommt zur Station. Wir warten und ich brauche eine Weile in dem tropfnassen Menschen, der auf mich mit der Bedacht eines von der Natur heimgesuchten und davongekommenen Menschen zuwankt, die gelockte Dame A. zu erkennen. Die Locken sind verschwunden. Vom Regen durchglättet. Vor mir steht ein anderer Mensch. Ich bin fassungslos.

Wir beschließen das Pub sein zu lassen und das Dame A. mit uns Straßenbahn nach Hause fährt. Dieser weise Entschluss erfolgt allerdings erst nach einem letzten Aufbäumen, als wir uns noch eine Treppe der U-Bahnstation nach oben kämpfen, um mutig die vielleicht 500 m bis zu einem Café zweiter Wahl durchzurennen, doch vom Anblick der sich weiter vermauernden Regenwand abprallen, zurückgeworfen werden.

Ein bisschen Gewehe und angeregne trotz unterdachtem Blick auf die Votivkirche. Pfützen laufen zu tiefen Bächen voll. Die Straßenbahn kommt. Wir steigen ein. Und werden eine halbe Stunde in dieser stehenden Bahn sitzen. Anweisung der Zentrale. Kein Bus, keine Bahn, keine U-Bahn dürfen mehr fahren. Ich denke an Avas Buch, Alles dreht sich, alles rollt. Wien steht.

Zurücklehnen. Trockenheit und Regengeräusch von draußen genießen. Verfolgen halb vorm Wegdämmern die ganzen Wienersingsanggespräche darüber warum die Bahn nicht fahre, Antwort Bahnführer, nichts fährt. Wegen Wetter. Anweisung der Zentrale. Sowas habe er selbst auch noch nie erlebt. Irgendwann steigt der Fahrer von hinten zu, fragt warum es nicht weiter gehe. Südländer. Bahnführer eins antwortet, ob er nicht die Durchsage bekommen habe. Der Zweite: doch, ja, aber warum fahre er nicht weiter, da müsse er sich doch nicht daran halten. Herrliche Szene. Irgendwann überzeugt Nr. 1 den Zweiten ruhigen Gemüts. Wozu auch weiterfahren? Was soll es einen Fahrer kümmern? Und weiterhin nimmt die Straßenbahn tropfnasse Menschen auf, sammelt sie für den großen Moment des Losfahrens. Wir sehen zu wie das plötzlich tatsächlich zum sozialen Raum** gewordene Innere der Straßenbahn sich immer weiter mit Menschen die das gleiche Los teilen füllt. Die Blicke und Gedanken laufen leer. Irgendwann bemerke ich etwas was in Leipzig Unmöglichkeit wäre. Der jungspuntige Straßenbahnfahrer trägt kurze Anzughosen.

Es geht los. Die Straßenbahn fährt. Die Geschwindigkeit macht Schwindeln.

Zuhause wird wie vorgenommen Martini getrunken um diesen denkwürdigen Abend ausklingen zu lassen. Während Dame A. und ich uns noch einrichten, trocknen, abtropfen und Benny sich gen Abschiedsfeier eines Freundes in den Regen aufmacht sitzt Herr Walte unbemerkt und still in einem Sessel. Irgendwann ist Dame A. bereit für den Martini. Doch die Martiniflaschensuche bleibt erfolglos. Benny petzt, er glaube Herr Walte habe ihn. Wir blicken Herrn Walte an und bemerken den Becher aus dem er süffelt. Panisches an sich reißen der Flasche, verschreckter Blick in die Runde und Vorwurfsvoller zu Benny. Toll. Ganz toll. Mit diesem Augenblick ist die Dramatik des Abends an ihrem Höhepunkt angelangt und steht still.

* ebenso wie meine Erinnerung an den kurz erhaschten Blick eines Balletinos in weißem Federnbeinkleid durch Google nicht gestillt zu werden vermag
**philosomäandernder Gedanke der Dame A.

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