Crippled Black Phoenix | 23.10.12 | UT Connewitz

In einer Nacht die nie schwärzer war
reichen die Schwingen des Phoenix weiter als sie ihn je zuvor getragen haben.

Der Anfang gleicht einer Messe. Wie Jünger sind wir gekommen um die nächste Lektion in Empfang zu nehmen (Lektion eins | zwei). Weiter zu lernen. Weiter aufzusteigen. Die Band betritt die Bühne, still, in sich ruhend, sicher. Klänge aus einer Art Kinderchor begleiten sie. Das Publikum wirkt nicht weniger ernst, die meisten sind absichtlich hier, sie wissen weshalb sie gekommen sind. Eine Hochzeremonie.

Die neueste Wiedergeburt des Phoenix zeigt sich in einem neuen Sänger. Eine Inkarnation nach dem Weggang von Joe Volk ging bereits an uns vorbei. Nun steht die Neugier bereit.

Die schlacksig spindeldürre schwarzgewandete Gestalt die sich mit schlenkernd wankelndem Gang mit auf der Bühne einfindet, scheint als wäre sie gewissermaßen die Allegorie des Crippled Black Phoenix, die zum Leben erwacht ist. Und als nach dem ersten Lied, in dem der Sänger nur durch einen stimmverzerrenden Flüsterverstärker sang, ein Zweites mit seinem vollen Gesang anhebt, scheint noch etwas anderes unabdingbar. Es ist als wäre der Sänger direkt aus der Musik, die Herr Greaves jahrelang ausgebrütet hat, geschlüpft. Um nicht zu sagen ausgeschissen worden.

Seine Stimme wandert. Dunkel, morsch, miserabil leicht und federnd, abgerissen, lodernd, morbid. Wandelbar in jede Erscheinungsform des Lebens wie die Musik. Eine zwielichte Erscheinung, die aus abgrundtiefer Finsternis auf einmal eine Posaune in seinen Händen aufscheinen läßt, und in unschuldiger Gnade, religöser Anmut, etwas abgetragene Verächtlichkeit mimend, um nicht zu sagen in holder Lässigkeit durch das goldene Horn bläst, das ihm zu einer eventuell nicht heilvollen Verkündigung dient. Dabei tänzelt, figuriert und zuckt er in der Exzentrik des Captain Sparrow über die Bühne und mahnt in seinem pantomimischen Geschick an Helge Schneiders Tanzbarden. Er ist Drakul. Er ist der Veitstanz. Er ist die Ruhe im Sturm. Er ist das Wasser das einen Strudel bildet. Seine Hände vollführen Wellenbewegungen während er in gebückter Haltung wie in einem Tümpel hockt. Er hat ohne Zweifel den Spaß seines Lebens. Wie an vielen, den meisten Tagen.* Und so verwundert es nach wenigen Liedern nicht im geringsten, dass sich der neue CBP Sänger, der den schmuckvollen Namen John E. Vistic trägt, als Verehrer von Nick Cave zu erkennen gibt und den Weeping Song ankündigt.

Und doch. Durchweg während Mr. John E. Vistic einen Großteil der immer nach dem neuen sich neigenden Aufmerksamkeit bannt, gibt es noch eine andere Präsenz auf der Bühne, die vormalige Erscheinungsform des Phoenix. Auch der alte Sänger war fabelhaft und hat dem Phoenix eine ganz und gar eigene Note aufgedrückt. Er stand wie ein Geschichtsschreiber, ein Beobachter in der Band. Ruhig. Nachsinnend. Und wenn man nun die selben Lieder hört, ist es, wie in einer Nachbelichtung, als würde er immer noch neben dem allegorischen Sänger stehen und seine Nachdenklichkeit auf das Geschehen abstrahlen. Durch seine Beobachtung den neuen Sänger noch mehr Leben geben. Der krächzt die Lieder heraus, er vertritt sie mit machtlauter sonorer Stimme, die Musik reißt ihn mit, trägt seine Schwingen in einem Strudel nach oben, sein ganzer Körper wird von ihr erfasst, er muss schreien, er muss springen, in das Mikro raunen als würde er ihm ein Geheimnis anvertrauen, sein Leben hineinlegen. Er ist allürisch genug um für die nicht dabei gewesene Erinnerung das Bild zu tragen, das sie von der großen Entstehungszeit der Rockmusik hat, die als Quintessenz in den Endtime Ballads liegt. Er wirkt geläutert von den Einschränkungen des Lebens. Hat alles abgestreift. Er strahlt aus, mehrmals wieder aus der Asche geboren zu sein. Er hat mehrere Leben durch, man muss ihm nichts mehr erzählen. Nichts bekümmert ihn mehr. Vom Leben. Da kann er zwar berichten. Aber er steht darüber. Über Konventionen und Allem. In abgefeimter Würde. Er ist ein Phoenix. Mit der neuen E-Pianistin und rauhen Sängerin zusammen ergibt sich nun ein vollkommen rundes, wiedergeborenes, wenn auch recht zerfleddertes, schwarzgefiedertes Bild.

Der Phoenix ist neu geboren. Seine Schwingen reichen weiter als sie ihn je getragen haben. Das Erleben läßt nicht nach, ebbt nicht ab. Die Musik greift immer weiter aus. Die Perfektion liegt irgendwo weit abgeschlagen zurück. Die Gesangseinsätze sind mit Geschick austariert. Überlagerung. Zwiegesang. Echos zwischen John E. Vistic, dem Gitarristen, Herrn Greaves, der E-Pianistin und dem Synthesisten. Dabei immerzu anlachende Spielfreude zwischen den Bandmitgliedern. Der lange Bassist wirkt glücklich wie ein kleiner Knabe im wilden Westen auf einer Koppel, verharrt dabei solange unter seiner Wollmütze bis es nicht mehr geht und er sie sich vor zurückhaltender Freude beinah berstend vom Kopf reist. Zarteste Melodien werden entwickelt und gehen in nicht fassbar schnell einsetzendem vereintem Lärm unter, um Meilen später wieder aufzutauchen. Klimpernde Tasten springen wild um ein satt dumpf bumperndes Schlagzeug, die Gitarren schwirren kreuz und quer umher, langgezogene Synthtöne wabern durch den Raum, die abstrusesten Klangkombinate ergeben in völlig widersinniger Weise ein harmonisches Ganzes, ein dreifach bemanntes Schlagzeuggetrommel, der vom Wasserglanz schimmernde Metallwal taucht unter der konzentriert verzückten Miene des Seitgitarristen auf, gebannt verfolgt man die tongebenden Bewegungen der Griffhand am Gitarrenhals, in ewiger Wiederholung, hypnotische Hymne, hoch, hoch, hoch, hinab, ansteigen, ansteigen, nach oben, und in einem Slide hinab. Auf dem E-Piano prangen die Lettern deep happy. Im Herzen leuchtet glücklich das Staunen über die Virtuosität der Musiker.

Zwischen den Stücken pflegt Crippled Black Phoenix nach wie vor gerne den Kontakt mit dem Publikum. Ansagen und Erklärungen zu den Stücken sind ihnen wichtig, noch mehr scheint es ihnen aber Spaß zu machen die Bedeutung die die Stücke für sie haben unter einem Berg Klamauk zu verscharren. Einen großen Teil der Interaktion mit dem Publikum übernimmt der Sänger und wirkt dabei als wäre er seit je integraler Bestandteil der Band. In seinem meist schwer zu verstehenden schnell sprechenden Nuscheln kündigt er einmal an, dass der nächste Song davon handelt »to maintain your freedom as a individual in a highly individualised consum civilisation«, oder etwas in der Art. Herr Greaves wendet sich grinsend bis feixend an das Publikum: »He is difficult to understand, you need a translation. He lost his puppy which was named freedom.«

Der wooaah-ohhhoh-Part wird diesmal so zur Zufriedenheit aller ausgeführt dass Herr Greaves begeistert der Bühne Richtung Publikumsraum entspringt. Bei dieser Gelegenheit wandert der Blick mit und nimmt das Geschehen auf der Ballustrade gewahr. Oben vis à vis der Bühne stehen ein paar Leute, genauso fasziniert wie jeder im Publikum. An der Seitenlinie hüpft wie ein Igor in kleinen Sprüngen der mit Seitenhaar bekränzte Roadie im gelblichen Schwummerlicht der Ballustradenbeleuchtung musikseelig entlang. Zugleich ist es das Lied, das das kurze Zugabeverschwinden ermöglicht, und ein vom Igor bereitgehaltenes Feuer, das eine Zigarette entzündet, glimmt auf.

Herr Greaves scheint von glücklicher Dankbarkeit, wie sehr sein Projekt geliebt wird, tief im Inneren berührt, sucht und findet Worte, die einen Teil davon wiedergeben. Gerade auf dieser Tour, die in Gedenken an den verstorbenen Freund stattfindet, ohne den es Crippled Black Phoenix nicht gäbe. In seinem Statement zum Weggang von Joe Volk schrieb Mr. Greaves »i started it because i promised my best friend i would do something i could be proud of one day«. Ein schweres Versprechen das in Erfüllung ging. Nicht bis ins letzte möglich und trotzdem wundersam strahlend ist es, zu versuchen sich in Mr. Greaves hineinzuversetzen, wie er da oben steht, und für etwas dankt, wofür ihm und seiner Band aller Dank gebührt. Ein Mann der damit konfrontiert ist, dass ein Versprechen das er gab aufgegangen ist. Das er auf etwas stolz sein kann. Etwas Perfektes. Etwas über die Musik vieler anderer Künstler hinausragendes. Etwas was sich nie zu schade sein wird, im brodelnden Tumult der mitreißend einfachen Weise Bella Chao in gemeinsam feierndem Taumel unterzugehen.

* Der Wunsch nach einem Heimgymnastik-Video mit einer Crippled Black Phoenix-live-Show zum Nachtanzen entsteht und trägt immer bizarrere Früchte. Die sich ertüchtigenden Damen müssten auch die Grimassen des Sängers gesichtsgymnastizierend nachstellen.

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