Faith No More in Berlin | 6.06.15 | Zitadelle Spandau

Ein überaschend geistunzerissenes Konzerterleben.
Eine joyce’sche Dialogtheraphie ist mitnichten notwendig.

Die tremolierende Klavierklangfront des Regenmachers der aufgrund des jüngsten Kollaborationsprojektes von Herrn Patton als Vorakt den Abend einleiten durfte ist soeben verklungen. Die nur wenige Tage alte und daher relativ umso überraschender klebrige Hitze ist zwar einer leicht wehenden Kühle in kleinen Gruppen aufziehender dunkelgetönter Cumulonimbuswolken gewichen, doch der Regen bleibt trotz der Bemühungen aus. Auch das mehrmalige frivolheitere Betonen von Herrn Sturm wie gut das Wetter sich halte, was beständig von Herrn Walte und mir niedergezischt werden muss, kann dem Himmel keinen Tropfen abwringen.

Während wir umgeben vom Backsteinmauerwerk der Zitadelle Spandau im dichtstehenden von einer Pappel, einer Birke und mehreren Kastanien prächtig grün gesäumten und hin und wieder von Schwalben und Enten überflogenen Menschenmeer links der mittleren Trennsperrung stehen, wird mir vornehmlich von Herrn Sturm, Herr Walte steuert ein paar Einwürfe bei, nochmal das emotionale Geflecht das Faith No More mit ihrer Fangemeinde verbindet im chronologischen Subtext der 90er näher gebracht. Als Nichtzeitzeuge kann ich es nun leider nicht so formschön, fundiert und durch die Kraft der eigenen Erinnerung im Glorienschein erleuchtet wiedergeben, doch dass in einer Zeit musikalisch sehr festgetretener Gleise im Metal- und Rockbereich Faith No More als eine der Neugründerväter des Crossover, mit energiefreisetzender Sprengkraft den ein oder anderen musikalischen Geist befreit oder gar erweckt haben, und daher bei sovielen eine geradezu überbandgroße Bedeutung erlangt haben, ist so offenkundig logisch, dass ich dazu nach dem oberflächlichen Studium vierer Alben in den vergangenen Wochen so einsichtig wie erkenntnisbegeistert nicken kann. Ich fühle mich nun bestens für das Kommende eingestimmt. Nichts mehr kann in Erstaunen versetzen, außer …

– als wir die Zitadelle betreten und zu einem kleinen Erkundungsrundgang zirkulieren, nehmen wir die Gelegenheit war, wenigstens einmal näher an die Bühne heranzutreten, später möchten wir gerne weiter hinten in einer ruhigeren Ecke Stellung beziehen. Es fällt auf dass abgesehen vom tiefschwarzglänzenden Konzertflügel alle Verstärkerboxen und sonstigen Konzertutensilien mit weißen Laken behangen sind. Ein Eindruck wie in beinahe jedem Jane Austen-Film wenn die Familie ihr Sommerdomizil verlässt und alle Möbel schützend von Bediensteten mit weißen Tüchern abgedeckt werden prägt sich der Vorstellung ein, und reißt zur Bemerkung hin dass Faith No More nun wohl in einem Alter sind, in dem auf den Mobilarbesitz besser achtgegeben wird –

… dass die weiße Belakung nun in Vorbereitung des Konzerts von zahllosen ebenfalls weiß betucht gewandeten Roadies dienstbeflissen durch endlos hereingetragene bunte Blumenarrangements, vornehmlich kelchige Doldenblüter, die in weißen Balkonkästen stecken, ergänzt wird, und sich die ganze Bühne in einen überirdisch weißleuchtenden New Age Flower Tempel verwandelt – eine unerwartete Wendung, mit jedem hereingetragenen Balkonkasten wächst das Erstaunen sowie die Freude über diesen amüsant transzendentalzitierenden doch gleichzeitig kitschig schönen Anblick. Als würde nun gleich eine Erleuchtungszeremonie stattfinden.

Dass nach der, selbst als der letzte Blumenkübel in Position gebracht wurde, noch mehr als üppigen Wartezeit die Band selbst ebenfalls vollkommen weißgewandet die Bühne betritt ist hingegen dann nicht mehr überraschend. Die Sicht ist nicht überragend, doch hin und wieder kann der ein oder andere auf der Bühne Agierende ausgemacht werden, und vor allem das sehr schön klingende strahlend weiße E-Piano befindet sich oft in freier Sicht- und Bewunderungsachse.

Haben die Ausführungen von Herrn Sturm nochmal ein Gefühl für die historische Bedeutung von Faith No More gelegt, so ist die florale Ummalung des Bühnenbildes, der laue Sommerabend im beschaulichen biergartlichen Vorstädtchen Spandau, und die in Anbetracht der Menschenmassen sehr entspannte Stimmung die freie Natur auf Menschen ausübt, vielleicht dafür ausschlaggebend, dass im Gegensatz zu früheren Hördurchgängen in der Musik von Faith No More an diesem Abend das Groovende, das entspannt ausgelassene Temperament hervorsticht bzw. im eigenen Fokus liegt, und weniger die harten Kanten und die abrupten Wechsel harmonisch schwer bis gar nicht zusammenbringender Passagen im Zehnsekundentakt innerhalb eines einziges Liedes. Vielleicht auch im Zusammenspiel mit dem umgebenden Publikum, das von sehr jungen hippen Leuten, in unserer Ecke hauptsächlich Spanier bis zu graubetuchten Metalfans reicht, und zu sehen, was in der Musik sie vor allem bewegt. In die Glorie des Bühnenbilds versunken, von der guten Laune der Band und des Publikums beschwingt, vermeine ich fast so etwas wie ein Gefühl für diese Musik zu entwickeln. Sie muss nur aus einem vollkommen anderen Betrachtungswinkel wahrgenommen werden. Nicht die härteren Nu Metal-Passagen sind es die den Kern bilden, und auf so enervierende Weise oft von – Verzeihung, nur wenn man sie aus dieser Richtung hört natürlich – beinahe schnulzigen Gesang- und Klangparts unterbrochen werden. Es sind diese klassisch angelegten Arien-Parts die von den schreienden Krachpassagen aufgelockert werden. Oder so. Vielleicht.

Besonders klar scheint dies zur weittragenden Popballade in der Herr Patton wiederholt in langen Atemzügen „that’s why I’am easy“ intoniert. Die florale Erweckungslandschaft wird in einen tiefen Violettton und vorbeigleitende Discokugelreflektionen getaucht. Über der Zitadelle ein Hauch Sonnenuntergang. Die Band in den weißen Anzügen ganz klassisch amerikanischer Entertainerstil herzschmachtender Bands. Oder manchmal auch mehr wie 20er-Jahre, Swingtime. Und über die sanft Herrn Pattons Klang begleitenden Instrumente fliegt genau in diesem Augenblick ein Flugzeug in den Abendhimmel die Ferne suchend auf.*

Diverse andere erinnerte Eindrucke tummeln sich noch um das Konzert. Herumspringende, wild und enthusiastisch glückliche die Musik und Herrn Pattons Zwiesprechgesang mitgestikulierende Menschen, wann immer die Musik gerade in andere musikalische Gefilde überschwappte, das anwährende Staunen über die Wandelbarkeit der Stimme Mike Pattons, die in jedweder Genre-Inkarnation absolute Ausdrucksstärke, Druck, und Genauigkeit besitzt, die Schönheit der am E-Piano aufspielenden Melodien die prägnant und betont genug abgestimmt sind, um auch im gewaltigsten andersinstrumentierten Tumult noch wahrnehmbar zu bleiben, und somit wie ein Vogelflug sanft über jede noch so schroffe Klippe der musikalischen Darbietung hinweggleiten, wenn die Aufmerksamkeit sich an ihnen festhaltend folgen möchte, die Frage was die vermutlich jahrhunderalten Bäume von diesem Abend halten, da sie schon so andere Zeitalter in der Zitadelle erlebt haben, die Freude beim Anblick des aufgrund der Ferne nur verschwommen wahrnehmbaren Schlagzeugers der aufgrund seiner muskulösen Erscheinung und den langen zopfgebundenen grauen Haaren der wilden Horde von Terry Pratchett entsprungen scheint, eine schwarze langhalsige Ente überfliegt die Bühne mit sichtlich flatternder Anstrengung doch scheinbar trotzdem zufrieden mit sich und der Schwere der Welt während eines von der Bühne hochschallenden E-Gewitters, die Mithüpfbarkeit der schnelleren und härteren Liedstrecken, zwei glänzende Augenpaare wenn man sich kurz umdreht, es soll ja Leute geben, die haben 20 Jahre auf dieses Konzert gewartet, schnellvergehende kurzweilige Zeit, es wird mitgesungen, tausende Leute im glücklichen Taumel während der eingängigen Refrains, hin und wieder scheint auffrischender Wind mit der gerade gespielten Musik in perfekten seeleumspielenden Einklang, und zum Ende hin vergehen 3 Zugaben bevor die Beleuchtung der Bühne gedimmt wird.

Eine kurze Einkehr in der Zitadellen-Weinschenke rundet den Abend eines in Reunion im kleineren Maßstab vereinten glücklich von Musik- und Konzerterlebnissen erzählenden Trios ab. Beim endgültigen Verlassen des Geländes wird beobachtet wie das komplette Blumenarrangement von einem kleineren Lastwagen über zwei Schienen in einen größeren Lastwagen geschubst wird. Ein großer Moment. Hach, wie wäre es schön, statt eines Konzertshirts könnte man nur eine der Plastikblumen abzupfen und als Erinnerung mit nach Hause nehmen. In dunkler mond- wie laternenloser Autobahnnacht geht es zurück nach Leipzig, nochmal das neue Album durch den Lautsprecher im Ohr.

Ein Nacherleben des Konzerts um die vielfach darin eingebetteten musikalischen Kniffe, Absonderlich- und Gewaltigkeiten detaillierter in ihrer Schönheit zu würdigen, insbesondere nicht zuletzt die Tastenklänge, wäre angebracht …

* Es ist ein bekanntes Geheimnis, dass die Kunst in der Dramaturgie nicht in der Lüge sondern in der Auslassung besteht. Genaugenommen flogen den ganzen Abend lang in einminütigen Abstand Flugzeuge über der Bühne auf, doch gerade zu diesem Lied gab das Flugzeug das perfekt cineastisch stimmige Seelenbild hinzu.

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