Kaizers Orchestra | 12.03.12 | Centraltheater

Beitrag beinhaltet über den Stream of Concert hinaus
weiterführende Gedanken zum Kaizerlichen Universum.
Einem Universum das größer ist als das es
eine annähernde Abhandlung gänzlich umfassen könnte.
Sicherlich größer als ein kurzzeiliger Bericht.

Jeg er større en livet. Og livet er større en deg.
(Psycho under min hatt, Beatrice)

An das Konzert im Postbahnhof in Berlin zurückdenkend, sind die zuschaulichen Begebenheiten im Centraltheater nicht anders als beschaulich und koselig zu nennen. Von den Polstersitzen bis zu den überschaubaren Plätzen und der gelüsterten Beleuchtung ein gediegener Rahmen für das angeschleppte Bühnenbild. Das alles ist dem Ideal eines Clubkonzerts so nah wie man es bei dieser Band gerade noch erreichen mag.

Die Bühne ist bereits gedeckt, Oma-Stehlämpchen, Instrumente und Ölfässer stehen auf antik gemusterten Teppichen bereit. Später wird das Licht oft vollkommen erlischen, und zu einer dieser Gelegenheiten bilden die zwei orange warm leuchtenden Stehlämpchen zusammen mit diversen Scheinwerfern zufällig verteilte orangene Scheiben auf der Netzhaut, in die plötzlich einsetzende Lichtstille. Was antiquiertes Stehlämpchen war, und was moderner Scheinwerfer ist den orangenen Kreisen nicht mehr anzusehen. Die Welten vermischen sich. Im Hintergrund der Bühne spannt sich dass monochromgraue, laternenbestückte fluchtpunkttiefziehende Motiv einer Straße aus dem zweiten Violetta Violetta-Album an dessen fernstem Punkt ein gigantischer Mond prankt.

Bildmaterialanbefaling: Michael Grein, Konzert 2012 in Köln

Der Beginn ohne Firlefanz und Propanz. Kein minutenlanges Introanspielen diesmal, bevor die Herren Kaizer die Bühne betreten. Es ist still, die Band begibt sich an ihre Plätze, und stolpert sich taktvoll verhalten und nonchalant in den herzfrohlockenden Walzerklang von Philemon, Arthur & the Dung hinein … in was für einen Klang.

Klangen så fantastisk tydelig og helt klart. Es ist keine Seltenheit dass man vom Klang eines Livekonzerts überrascht und ganz und gar eingenommen wird. Und doch ist es jedesmal wieder wie eine Offenbarung. Dass das was man von den Studioalben kennt, im Konzert noch unvergleichlich brillianter klingt, facettenreicher und voller. Vielleicht weil im Studio die Präsenz nicht beigemischt werden kann. Nie taucht man tiefer ein. Und wann auch immer man die Lieder dann wieder vom Album weghört, gelingt es dem Wunderding Gehirn etwas vom live erlebten in das neuerliche Hören hineinzulegen und die abspulenden Lieder auf immer aufs Besondere zu beleben.

Die akustischen Bedingungen eines Theatersaals sind diesem Grundprinzip sicherlich nicht abgeneigt und geben das ihre gerne dazu. Das Klangerleben ist weitaus grandioser als in der Erinnerung an das Berlinkonzert im Postbahnhof. Vermutlich durch den kleineren, im Vergleich beinahe familiären Theaterraum. So dass sich mit den Herren Kaizer, ihrem musikalischem Können, ihren Instrumenten, den Rockgitarren, den Tasten, Ölfässern, Schlagwerk und Janove Ottesens Stimme und dem Centraltheater etwas extrem Erlebenswertes verbunden hat.

Desarrangert. Aufwändige und beständige Nacharbeiten beim natureigenen Kopfschmuck betreffen in etwa ein Drittel der Bevölkerung. Zahl in Großstädten und bestimmten styleaffinen Gruppen, von denen nicht wenige gemeinsamer Musikgeschmack eint, sicherlich höher. Ein entsprechender prozentueller Anteil der Herren Kaizer spiegelt dieses Verhältnis wieder, und setzt Stil über Praktisches. Eventuell nicht ohne ein selbstironisches oder gar gesellschaftsironisches innerliches Gelächter.*

Viel interessanter aber als sich beständig desarrangierendes Haar, dass für wuchtvolles Hämmern auf Ölfässer aus praktischer Hinsicht hinderlich scheint — man stelle sich vor, ein Kaizer dem das eigene Haar die Sicht versperrt verfehlt beim weitausholenden Schwung mit der Brechstange sein Ölfass –, sind die leicht abgeänderten Arrangements einzelner Stücke.

Die Faszination die sich im Inneren ausbreitet wenn sich etwas inwendig Bekanntes verändert hat. Je schwieriger auszumachen die Veränderung, desto größer die Faszinationsfreude. Auf Album tragend und tragisch gebannte Lieder werden in angepaßtem Bühnenkleid präsentiert. I Enden av November einen Hauch rockiger und beinahe lachend, als wäre das Leben auch nichts weiter als ein Spiel, das man eben eines Tages verlieren wird.

Der Arrangementspielerei bietet sich als Mittel auch der Austausch der Gesangsstimme an. Zwei Lieder werden von Geir Zahl vorgetragen. Eines davon ist Revolver. Im Gegensatz zur mandelbitteren, weltzynischen und zerreißenden Vortragsart des Albums wirkt es so auf der Bühne beinahe fluffig. Man fühlt sich ein bisschen an das Ende von Live of Brian erinnert. Du bist dran, der Letzte von 6. Wir spielen russisch Roulette. So ist das Leben. Nimms nicht so schwer. Ein Schlüsselthema.

Die ohnehin hervorzuhebend perfekt mißgestimmten Tonzusammenstellungen der Gitarren in vielen Stücken, aus denen Femtakt Filosofi sicherlich steil und schroff emporragt, werden durch die zerrendere Klangfarbenauswahl in den E-Instrumenten auf der Bühne noch weiter verstärkt. Noch weiter wird sich einer nicht präsenten doch im Text auftauchenden kreischenden Trompete durch eine besonders schmerzliche Verzerrung der Gitarren angenähert. Die leicht gewandelten klanglichen Effekte wirken auf das Gehör wie eine neue Gewürzmischung. Fremdartig und doch bekannt.

Lautmaleri und Wortwitz. Das Spiel mit Wortinhalt und bezogenem Klang scheint den Herren Kaizer besonderes Vergnügen zu bereiten, und begünstigt das Hineingezogenwerden in die Geschichten. Neben der erwähnten Trompete, gab es schon auf den ersten Album das wehende Bris, das dem Liedprotagonisten um den Nacken streicht, die Gift triefende Stimme eines stolzen Verbrechers der in Sing Sing einsitzt, eine zupfende Balalaika die erklingt, sobald das Wort russisk in den Raum fällt, ein Schifferklavier sobald die Geschichten in einem Hafenviertel spielen.

Auf dem zweiten Violetta-Album gibt es eine brilliante exemplarische Stelle. Die Handlung des Stücks spielt in einem Zug, das teen-Frl. Violetta hat sich aus dem Staub gemacht, wird aber in Tusen dråper regn von ihrem Onkel verfolgt. Sie zieht offenbar die Notbremse um vom Zug hinaus in die regnende Dunkelheit zu entkommen.

Det er som en dødskriek når bremsene viser livsteign.

Wie ein Todesschrei ists, wenn die Bremsen Lebenszeichen zeigen.

Die norwegische Zeile klingt so frappant nach dem nervenzerrend hochfrequenten Quietschen metallener Bremsen die auf metallene Räder gepresst werden, dass man sich in die schlichte Eleganz dieser Zeile verliebend jene immerzu wieder und wieder hören und würdigen möchte. Genialitätgenialitätgenialität rattert es im eigenen Geist in munterer Fahrt.

Ute av verden. Die Phantasie birgt unzählige eigenständige Welten, und die der Herren Kaizer hat eine sehr dicht und lebendig mit Figuren gefüllte Welt hervorgebracht. Sie ist unserer Welt sehr nahe, nahe genug um sich ohne weiteres darin zurechtzufinden. Und doch sind es Figuren und Geschehen aus einer anderen Welt. Hervorgegangen nicht unbedingt aus einem gezielt verfolgtem Konzept, sondern so wie Kaizers Lieder vermutlich inspiriert werden, Phantasiefluchten die wie aus dem Filmgenre gegriffen scheinen.

Wenn man mit den Texten inhaltlich vertraut ist, hallen die Geschichten durch die Lieder und füllen sie aus. Wie wabernde Schatten stehen die Figuren aus den Liedern hinter den Herren Kaizer mit auf der Bühne. Nur geisterhaft, doch präsent wenn man sie kennt. Ein paralleles Universum wird lebendig. Das Bühnenbild zeigt einen Weg in diese Welt, visuelle Anreize das Hiesige hinter sich zu lassen. Stützt den Weg des Geistes der durch die Musik ausgelöst wird.

Das Außerweltgefühl, in eine andere Welt entführt worden zu sein, verstärkt sich in Momenten, die inmitten des oft vorherrschenden, fein abgestimmten, doch trotzdem Krach zu nennenden Krawalls auf einmal stillstehen, wunderschön schwebend. Vor allem in den ersten Liedern, bevor der übliche Konzertgewöhnungseffekt einsetzt, in den Momenten in denen man noch das »Versetztsein« deutlicher spürt, weil die Welt da draußen noch kurz vorher war, wirkt diese Magie besonders deutlich. Das Musikgetöse löst sich in einen seespiegelstillen Klang auf und wasserblaue Laserstrahlen von unten kreuzen sich mit Strahlen die von oben herunterscheinen, und da wo sie sich kreuzen, entsteht in den musikalischen Wiegemoment hinein der Schwebeeindruck.

Betäubende Lautstärke und nicht minder schmerzlindernde Stille lösen sich im Licht und Dunkel ab, und der nie aufgebende Analysegeist, zurückgedrängt in einen kleinen weit innen liegenden Winkel des Seins, zupft in diese Lichtstille hinein, wie verblüffend und verneigungsgebietend es doch ist, dass die Musik im Dunkeln anhält, die Instrumente im Dunkeln weiter treffsicher bespielt werden. Wie ist solch möglich? Herrn Waltes Verweis auf blinde Pianisten wie Stevie Wonder wird, widerwillig doch anerkennend, stattgegeben. Dem liegts ja auch im Namen.

Teatralik i teatren. Et Skuespill. Im Mittelalter oder auch noch im wilden Westen könnte man sich die Herren Kaizer gut als fahrende Schausteller vorstellen. Geschichten mitbringend und sie aus Sicht der Protagonisten erzählend, dabei zwar halb in die Rolle hineinschlüpfend, doch noch mit humorösen Abstand versehen. Die Identifikation mit der Person ist nicht so vollständig wie bei Schauspielern.

Der Hang zu theatralischer Inszenierung ist den Herren Kaizers von anfang an zu eigen gewesen.
Inszenierung ist natürlich etwas was sich in theaterlichem Rahmen ganz hervorragend und zudem natürlich ausmacht. Ihre Stücke schreien geradezu danach und der Schrei wurde auf diversen norwegischen Bühnen bereits erhört. Da selbst der unermüdlichste Jetseter nicht zu jeder Theaterpremiere auf der Welt hetzen kann, ist es bis es sich einmal ergibt eine erfreuliche Begebenheit, diese Kombination in Leipzig genießen zu können. Und mit der gleichen Unmittelbarkeit mit der man in die Geschehnisse bei einem Theaterstück gezogen wird, in die Geschichten der Lieder gezogen zu werden, die ohnehin Theatermaßstab haben.

Mit »Evig Pint« und »Ompa til du dør« der große Episodenzyklus aus den einzelnen Personenfäden einer Mafiafamilie. Kriegsgeschehen, allwochenendliche Feste in Senior Marcellos Keller mit russisch Roulette und russischer Ballerina, Bourdellerie, die Kirche und die Seefahrerei, Gefängnis, Verrat und Rache mischen sich in einem vage bleibenden meist nächtens spielenden Panoptikum und trotzdem bewegenden Handlungssträngen. Sjåfør, eines der wenigen tragenden Lieder die auch im Konzert so vorgetragen werden, erzählt von einem Familienmitglied, dass beim Chef verspielt hat und nun vom Sjåfør zu seinem letzten Ziel gebracht wird, und bedrängt von seinem bevorstehenden Schicksal verzweifelt um Gnade fleht. Historische Ferne nicht allzulang vergangener Jahrzehnte, Krieg, Schinderei in Bergwerken und Arbeitslagern, Heimsehnsucht eines Seefahrers, Piraterie. Klanglich ist es der Urgrund des Kaizerversums. Das Ölfass aus der norwegischen Petroleummaschinerie aus den Tiefen der Nordsee regiert. Herr Waits verneigt sich, dabei vor Freude vermutlich wild herumhüpfend, vor der musikalisch wilden Verrücktheit, die eng mit osteuropäischen Klängen verbandelt ist. Mit der südöstlichen Leichtigkeit ebenso wie mit der tieffrostigen Seele des nördlichen Ostens.

Der Wahnsinn findet in den diversen Figuren nur kurzzeitige und extrovertierte Ausprägungen die aus Seelennot hervorgehen, scheint aber doch direkt zum zweiten großen Grundthema zu führen. Willkommen im Scheinirrenhaus von Dieter Meyer, eröffnet als Versteck und zur finanziellen Konsolidierung nach dem Krieg. Das Album »Maestro«. Die Welt hat sich ein Stückchen weiter gedreht, ein Teil der Figuren taucht hie und da wieder auf, und zeigt dass wir uns noch in derselben Welt befinden. Surfgitarren und Blues werden dem klanglichen Spektrum unbeobachtet untergejubelt. Hin und wieder klingt es nach 60ern. Dazwischen sachte Balladen die sich im Tango wiegen. Der sich nicht zwischen Scheinwahnsinn und echtem Wahnsinn entscheiden könnende Ruf nach Einweisung — Leg meg in — in Dieter Meyers Inst. setzte in mir schon immer einen Nachhall an die Physiker von Dürrenmatt in Gang.

Kaizers Orchestra - Knekker deg til sist from Kaizers Orchestra on Vimeo.

Die noch vergleichsweise eng aneinanderbleibenden Geschichten der ersten Alben öffnen sich in »Maskineri« einem inhaltlich und musikalisch freieren Album, dass sich noch weniger Zurückhaltung bei der Auswahl der Themen auferlegt und beliebig aus der Vielfalt des geschaffenen Universums bedient. Grundthemen aus den vergangen Alben finden sich wieder. Doch auch traurig nachdenkliche Einsamkeit eines vom Leben vergessenen. Es wird moderner, bleibt oft der kriminellen Storyline zugeschlagen. Hiphopesker Sprechgesang hält Einzug. Und der Divenpop aus alten James Bond-Zeiten. Bevorstehender Tod durch Krieg wird durch Krankheit abgelöst. Der Tango bleibt. Das Klangversum weitet sich immer weiter aus — Jackson-5-Austin-Powers-Red-Hot-Chilli-rap-hophip-Tao-Tao-Chinasound-Platte –, die Grundthemen ähneln immer noch denen der ersten Alben, was die Schlüssigkeit des Kaizerversums verstärkt.

Aus all diesen Teilen heraus gibt es ein erstes Zwischenalbum mit den Perlen die auf dem Weg dorthin heruntergefallen, aber zu schön sind, um sie nicht Brotkrummen aufklaubend auf dem Album »Våre Demoner« zu vereinen. Noch mehr Surf, Leichtigkeit, 60er, Fabrikarbeitermilieu. Aufschwung. Doch im Eingangschatten enger Gassen steht noch immer die Familie.

Über all diese Anfangsszenarien und dem langsam fortschreitenden Wandel zu moderneren Themen gelangen sie schließlich hin zur übernatürlichen triologen »Violetta«-Welt, einer tragischen Geschichte die in einer Art Jetztmärchen spielt, ein kleines Mädchen um dass sich weder nur gut noch nur böse einzuordnende Personen drehen. Kriminelle Machenschaften, überschäumender Wahnsinn und echte Zuneigung. Eine realgrau gezeichnete Welt in der die Personen comic-haft überzeichnet, doch in ihrem Handeln schlüssig sind, wenn auch nicht edel. Ein Jetztmärchen dessen Handlung sich in einer Verfolgungsjagd um die halbe Welt zieht, – das Kaizerversum weitet sich aus, die Exotik die anfangs mit nahöstlichen Klängen oder dem in Norwegen fremdartigen Klang eines Namens wie Dieter Meyer heraufbeschworen wurde, muss nachdem sie Gewohnheit wurde, von noch weiter weg herbeigeholt werden – und sich ohne Berührungsängste und ohne Schaden zu nehmen am Schlager gütlich tut. So wird das herzschmelzende Schmalzstück Hjerteknuser heiter angekündigt, indem das Publikum gefragt wird ob es den momentanen Nummer 1-Hit der norwegischen Charts hören möchte. Sie hätten diesen zufällig im Angebot.

Kaizers Orchestra - Far til datter (Live, Øya 2011) from Kaizers Orchestra on Vimeo.

Das ist der Story-Fundus aus dem jedes Kaizers Konzert inzwischen schöpfen kann, und aus dem in wildem Wechsel die verschiedensten Geschichten herausgegriffen und zum Leben erweckt werden. Musikalisch wird nicht weniger aus allem brauchbaren geschöpft. Blues, Rock, Tango, Walzer, 80iger, 60iger, unerwartete Takte, verspielt und verschmitzt, quietschendes Bremsen und Innehalten, verlorene Zeit wird danach umso schneller spielend wieder eingeholt. Swing. Selvfølgelig. Soul? Hvorfor ikke. Die Musik folgt ihrem kaizerlichen wesenseigenem Drive und schwingt unter Garantie nach. Und als triumphales Glanzstück haben sie den Schlager mit Hjerteknuser erlegt. Dabei mit keiner Wimper zuckend, höchstens ein verschmitztes Grinsen verrät die Freude sich so frei aus allem bedienen zu können, was das Herz begehrt, sich aber nicht jeder trauen kann, und dabei immer zweifelsfrei Kaizers Orchestra zu bleiben, die Freude an der unendlichen Vielfalt musikalischer Möglichkeiten.

Attituden så rock. Doch egal aus welcher musikalischen Mottenkiste gerade etwas gegriffen wird, es bleibt die so passgenau sitzende und gefällige Rockattitude der Inszenierung. Was ist der Rock ohne das Posieren? Rauchwolken die das Bühnengeschehen klassisch als Rockkonzert ausweisen umwabern in der dusteren Beleuchtung den zwischen seinen beiden Instrumenten sitzenden Orgelspieler und Pianisten, der nur als Schattenriß in seinem Frack hervorragend in dieser szenisch wirksamen Beleuchtung mit der einen Hand die Orgel bespielt, während die andere hinter seinen stockgeraden Rücken gereckt ist und einzelne Akkorde auf dem Piano einhämmert. Auch die beiden Gitarristen stehen souverän und lässig aufrecht, während sie aus ihren Gitarren einzelne Tonwolken herausschrammen lassen die langsam und majestätisch davonschwebend ins Nichts verschwinden. Und was wäre der Rock, ohne seine Vorbilder?

Kaizers Orchestra - I ett med verden (Live, Øya 2011) from Kaizers Orchestra on Vimeo.

Tilegnet til Johnny. Eines der Sonny-Lieder wurde von den Herren Kaizern Herrn Cash am Tag seines Todes gewidmet. De Involverte. Und ein passendes Lied haben sie da für Herrn Cash herausgesucht. Thematisch eng mit seinem textlichen Universum verbunden, und auch klanglich geeignet für ihn zu stehen. Das Gehör flackert kurz, vermeint auf der linksseitigen E-Gitarre als Arrangementspielerei das Riff aus dem Bolero wiederzuerkennen, das sich auf E-Saiten umgesetzt sehr hübsch ausnimmt.

Wir sind wieder am Anfang. Den kleinen Spielereien in den Stücken. Im Konzert wird in extremeren Störrgeräuschen experimentiert, aber nicht unentwegt. Nur nie zuviel des Guten. Das Gegengewicht ist die Zunahme an Gediegenheit und Gesetztheit. Die Herren scheinen weniger hoch jauchzend wild, haben mehr den Anschein kontrollierter Energie. Die Fässer kommen seltener, dann aber mit ungehinderter Wucht zum Einsatz. Sie sind nichts mehr mit dem sie sich alleinstellen müssen, sondern etwas dass einfach zu ihnen gehört.

Doch wenn diese Ölfasstellen zum Einsatz kommen! Die schon wiederholt gerühmte Schönheit vom zeitgleichem Gebrauch zweier Schlagwerke auf Fässer angewandt. Eine Reminszenz die nichts an Energie und Kraft verloren, doch an Versiertheit in der Ausstrahlung zugenommen hat. Es ist nicht etwas dass als kleine Erinnerung ausgeführt, doch eigentlich nicht mehr gelebt wird. Es ergibt immer noch einen speziellen Sinn. Das Ich mag nicht altern**, doch nimmt ein jedes Leben stetig zu und wird weiter. Die Wiedererkennbarkeit ist durch ein festes Selbstverständnis immer gegeben, wenn man sich seiner selbst sicher genug ist um sich darauf verlassen zu können.

Das ungestüme und wilde der Liveshows mit denen Kaizers verbunden werden, kann somit auch in einem Gewand auftreten, in dem der Wahnsinn und das Schreien auf der Eichplatte mit Normallevel versehen worden sind, und somit ganz und gar nonchalant und unauffällig sein. Der relative Grad des Wahnsinns ist natürlich geworden, es ist der Kaizersmaßstab, die Glaubwürdigkeit sitzt.

Die Musik der Herren Kaizer ist dem unvorhersehbaren Wesen des Wahnsinns seit jeher aufs wärmste verbunden. In einem Moment herausschreiender Zorn kann sich schon im nächsten in eine fröhlich pfeifende Melodie wandeln, in der unterschwellig schon der nächste Ausbruch schimmert. Dann ein jäher Verfall in tristschöne Melancholie und völlige Seelenruhe. Es scheint das immanente Wesen dieser Musik, das auch in jedem Menschen in mehr oder weniger drastischen Auswüchsen verankert ist. Wankelhaft und freudesmutig. Sie zelebrieren den inneren Wahnsinn der jeder menschlichen Phantasie zur Verfügung steht, der das Leben in jeder Lebenslage hübsch bunt färben kann, und seine Ehrfurcht gebietende Größe die aus ihm erwachsen kann.

La det bare være sagt: Det er fortsatt billetter igjen. from Kaizers Orchestra on Vimeo.

Wir sind am Ende des Konzerts angelangt. Das Theater spitzt sich zu. Requisitenausstattung der erwähnten Omastehlämpchen, die Orgel die Requisit und Instrument zugleich ist, die Gasmaske, die Brechstangen. Und dann kommt in Svarte Katter og Flosshater der Orgelspieler mit seinem neuen Lieblingsspielzeug zum Einsatz. Anfangshymne für einen Geheimagentenfilm, Scheinwerfer auf den Orgelspieler, er steht wie aus Stein, und schreit befehlstonal, langsam, wahnsinnig in ein Megafon hinein. Ein mehrmals auftretender Kontrapunkt, zu dem alles andere verstummt und wie verdutzt innehaltend in seine Richtung blickt, bevor die Musik ein jedes Mal wieder aufgenommen wird. Knatternder Gesang, Einsprengsel melodiöser Gesangslinien, Glockenschlag, Verhallen, Megafon. Ein besonders glücklich machendes verstörendes Element. Bombast. Inszenierung. Clownerie.

Die vorletzte Zugabe, Ditt skift. Weit von oben herunterfallende Hände treffen mit Wucht Mehrklänge auf dem Piano und erzeugen dabei ungeahnten Klang. Bei näherer Betrachtung stellt sich zwar heraus dass ein Gutteil des atemberaubenden Tastenklangs von der zugleich spielenden E-Gitarre kommt. Und als letztes Stück, Dr. Meyer Inc. Ein komplex und weitschweifig aufgebautes Stück dass sich in sanftem Anfang und wiegendem Gesang unerbittlich Fahrt Richtung Ölfasskrach aufnehmend fortbewegt, hinweg über rumpelnde Passagen, bis es angekommen ist, und dort eine Ewigkeit in zweisynchronem und immer wieder von vorn einsetzendem scheppernd klirrenden Brecheisenschlägen explodiert und verweilt, und schließlich im kulminierenden Bittschrei, endlich eingewiesen zu werden verhallt.

Kaizers Orchestra - Dieter Meyers institusjon from Kaizers Orchestra on Vimeo.

Und bei all dem mächtigen Gepolter bleibt es doch Musik für verträumte Charaktäre, die auf sacht plätschernden Spielorgelpassagen ausruhen dürfen. Traumtänzer denen sowohl Schalk als Wahnsinn im Nacken sitzen. Und das Herz am zentralen Fleck.

* Hierzu gäbe es eigentlich ein wunderbar illustrierendes Violetta-I Promotionvideo, in dem der Organist wie wild zu Psycho under min hatt tanzt, und dabei beständig seinen schütteren Seitenscheitel zurück an seinen Platz legen muss. Leider ist dieses Schmuckstück nicht mehr auffindbar.

** frei zitiert nach Max Goldt, der diese Aussage exakter von jemand anderem zitiert hat

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