Binoculars ::: Digger Barnes | 23.06.17 | Schauspielhaus

Eine sanfte Stimme fliegt verträumt durch eine matt glänzende Welt aus bisweilen sphärischen dann schrammeligen aber dabei immer in sich ruhenden Klängen die mit elektronischen Einsprengseln versehen ist, und man befindet sich unmittelbar in der Welt von Rue Royal und ein bisschen in der von Spain, und auch Air und Kante scheinen dort zu schweben. Der Schlagzeuger gibt den ruhigen Pulsschlag dazu, und hin und wieder seine Stimme. Ein weiteres Gefühl kann erst benannt werden, als die Bühne für die Diamond Road Show zurechtgeschoben wird, und Binoculars ihre Plätze einnehmen. Das der Vertrautheit. Es ist die Stimme die auf dem Album Every Story True so zauberhaft als Gegenpart neben Digger Barnes erklingt.

. _ . _ . . _ . _ . . welcome to the magical theater . . _ . _ . . _ . _ .

I, II, III, IV, V, VII

Die Bühne des Theaters füllt sich mit soviel Band wie es zu Digger Barnes noch nie gab*, während in einem vor Spannung vibrierenden Moment die Leinwand mit einem sanften nicht hörbaren Wusch nach oben gleitet und diesmal den gesamten Hintergrund ausfüllt, und nicht nur ein über der Bühne schwebendes Fenster in das Universum der Diamond Road Show ist. Diese Leinwand auf der später irritierenderweise keine Schatten der Menschen die vor ihr sind zu sehen sein werden. Die Projektion von Pencil Quincys kleiner sich in einem Lichterkarrussel drehenden Welt voller angemalter Schnittfiguren wird offenkundig nicht an die Wand geworfen, sondern spielt sich auf ihr ab.

Ganz außen ein Konzertflügel, diverse Saiteninstrumente und ein Akkordeon für Mosquito Hopkins a.k.a. Friedrich Paravicini, und obwohl kein Glockenspiel anwesend ist, vermeint man beständig auch diese Klänge aus seiner Ecke zu hören, egal ob er gerade Klavier oder Gitarre beplingt. Es folgen Binoculars, hinten mit Schlagzeug und vorne mit Gitarre, Digger Barnes himself, an dessen Frisur eine nicht ganz benennbare Veränderung stattgefunden zu haben scheint, bis Hr. Walte auf das Fehlen des Basecaps hinweist, möglicherweise auch mehr Bart, schräg hinter ihm an diversen Tasten und double bass Johnny Latebloom und, ganz außen, die dunkel behangene magisch funkelnde Welt von Pencil Quincy.

Die Show beginnt mit eher ruhigen Liedern, die einem Zeit lassen den verklärten Farben- und Formenzauber aus dem screen of illusions, der mit selten vorbeiziehenden Automobilen auf der Diamond-Brücke beginnt, die Musik, und vor allem die Momente wenn sich zu Digger Barnes Stimme die der binoculars-Sängerin oder gleich mit umhüllend verwehendem Klang die aller Bandmitglieder gesellt, langsam in sich aufzunehmen, und wird dann zunehmend dichter.

Gewitter ziehen auf, pfeifender Wind, die Illusionen wirbeln schneller vorbei, die Diamond Road Show scheint immer weiter zunehmend an Realität zu gewinnen**. Diese andere, fremde Welt, die kurz davor ist, in unser Universum durchzudringen, an einer Stelle an der im Stephen Kingschen Sinn die Realität etwas dünner als üblich ist, und daher durchlässiger für solche Phänomene. Und doch verliert sie nie dieses faszinierend wohltuend Zeitlupenhafte, als würde die Zeit dort anderen Gesetzen folgen. Dieses realitätswerdende Gefühl wird davon verstärkt, dass die Welt von Pencil Quincy an Dimension gewonnen hat. Oft mit sturmwehenden Pfeifen und prasselndem Klang unterlegt, zeigen sich nun auch vertikaler Regen***, und sich kreiselnde obenauf-Perspektiven, bis hin zu dem Moment in dem die Bühnenbeleuchtung die Lichtbedingungen des Diamond Road-Universums immitiert, und die Digger Barnes-Band selbst während eines eher finsteren Stückes nur als Schattenrisse zu sehen ist, Digger Barnes vollkommen im Dunkeln gelassen während er singt, und höchstens hin und wieder aufflackernd illuminiert wird, in diesen neugierig erwarteten Momenten in denen man kurz das Antlitz der Figuren erhascht, die Pencil Quincy meist geheimnisvoll im Dunkel verborgen lässt. Die beiden Universen der magic scenery und der Musik scheinen endgültig ineinander verschränkt und verschmolzen.

Die Zugaben enden mit dem wunderbar hypnotischen und There is a fire … insiiiiiiide you. Ist es das Lied, in dem das Akkordeon von Mosquito Hopkins dem Stück einen vollkommen eigenen verzwirbelten Dreh gibt? Und da ist wieder everybody run, mit der irrsinnig western hallenden Mundharmonika. All die bekannten Lieder die in immer anderen Variationen wiedergegeben werden, und so eine magische Lebendigkeit gewinnen, als wäre jedes Lied ein eigenes Wesen. Die Texte dringen viel stärker zu einem hin. Die aus analog bewegten Bildern und Musik bestehende Welt wirft in einem Spiegelblick Licht auf alles was die menschliche Existenz auszumachen scheint, sie gibt die Verletzlichkeit wieder, die Schönheit, und bestärkt mit einer nie ausgehenden hoffenden Zuversicht, in einer Fantasiewelt voller Abgründe. Schatten, Düsternis und Licht.

… fly, fly, fly, pretty bird fly, fly as high as the sky, sing me a lullaby.

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* nun gut, plus eins (Schlagzeug), ein Zeichen des Vergehens und Verwehens der Erinnerungen
** ähem … ein Eindruck der sich wiederholt, muss wahr sein
*** den es auch letztes Mal schon gab …

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