Seebad Bansin | 12.04.11 bis 15.04.11 | 02

Die Ruhe und das Meer und ein Hauch von Damals …

A Prelude   01 Betrachtung des Wortpaares Urlaub–Sonne   02 Der Regen über Berlin, Berlin Hbf (tief)   03 Der Hauch von Damals   04 Souvenirüberlegungen   05 Max-Planck-Institut für Primatenforschung, Bereich Armaturenmethodik, Außenstelle Usedom   06 Tauchglocke und Insektenvielfalt   07 Die Hang-auf-Problematik   08 Urlaub am Meer und das Gold der Ostsee   09 … in Bildern

02 Der Regen über Berlin, Berlin Hbf (tief)

Doch noch ist der Zug kurz vor Berlin. Es fängt zu regnen an, der Regen über Berlin hallt es durch meinen Kopf. Je öfter mein Weg den Berliner Hbf streift, desto grauenhafter wird mir diese Gruft. Anfangs, vor Jahren, begeisterte ich mich durchaus für seine klaren Linien aus Luft, Glas, Metall und Beton.

Doch schlägt diese abstrakt distanzierte Faszinationshaltung in kaltfrierendes Grauen um, sobald man ihm im Reisealltag ausgesetzt ist. Seine Brauchbarkeit für die Bedürfnisse reisender Menschen auf dem Prüfstand. Wünsche, Worte und Gefühle alle um Behaglichkeit auf Zwischenstationen kreisen. Berlin Hbf (tief). Stehen diese Worte auf dem Reiseplan, ist es wie das Urteil zur Verdammnis.

Besonders wenn man an den Plattformen umverfrachtet werden soll, und sie nicht selbstbestimmt sofort verlassen kann. Alles an ihm ist kalt, der Beton, das Metallschimmern der Rolltreppen die sich irgendwo oben im Nichts verlieren. Die mechanischfrauliche Stimme die uns im Fahrstuhl begrüßt. Dieser Bahnhof ist ein feindliches Wesen aus dem Star-Trek-Universum, zu groß für uns Menschen um zu erkennen dass man sich keineswegs in einem Bauwerk sondern in den Eingeweiden eines riesigen Lebewesens befindet.

Während wir warten, die zu Hause zurechtgelegte Winterkleidung aus dem Koffer holen und uns vermummen, schweift der steife Blick den endlosen Steig entlang. Über die Bahnangestellten, die in abgelegte Winteruniformen der kanadischen Mounties gehüllt der atmungswolkigen Kälte trotzen und die menschlichen Frachtreihen bewachend auf und ab gehen. In die Höhe, in der keine Farbe erkennbar ist, nur das aggressive Neon der Geschäftsreklamen. Feindliche Welt. Lebensverachtende Architektur. Was war gegen lichte Hallen in sanften Steinfarben und golden einfallendes Licht einzuwenden?

Ich bin kurz davor festzufrieren und beginne ebenso auf dem Steig auf und ab zu wandern um dies zu verhindern. Ganz am Ende kurz vor Beginn des Tunnels erspähe ich schwarzweiße Bewegung. Näherkommend machen meine ohnehin kurzsichtigen Augen, deren Linsenjustierung frostbedingt weiter eingeschränkt ist, im watschelnden Gehüpfe der schwarzweißen Flecken eine kleine Pinguinkolonie aus. Klimaflüchtig haben sie sich den Berlin Hbf (tief) als neues Habitat ausgesucht und gedeihen hier prächtig. Als ich mich begeistert weiter nähern will, um mich wenigstens daran zu erfreuen wie die Pinguinsippe sich quietschfidel in der antarktischen Kälte ihres Übergangs in das Stadtleben erfreut, stürmt ein kleiner Trupp wütend auf mich zu und jagt mich weg. Garstiges Federvieh. Weiter hinten erkenne ich den Grund, eine andere Gruppe kommt gerade mit reicher Beute von ihrem Raubzeug aus den Lagerräumen der fischbratenden Speiseketten zurück, und das soll vor mir verborgen werden.

Oh Pinguine ihr einst so freundlich liebenswerten Gesellen. Wie hat euch der Berliner Hbf (tief) den Rohsinn gelehrt. Betrübt watschele ich zurück zu meinem Warteplatz. 20 min Wartezeit auf den Zug fühlen sich schon an wie Tage. Kältedilatation der Wartezeit. Endlich, der Zug fährt ein.

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