Seebad Bansin | 12.04.11 bis 15.04.11 | 03

Die Ruhe und das Meer und ein Hauch von Damals …

A Prelude   01 Betrachtung des Wortpaares Urlaub–Sonne   02 Der Regen über Berlin, Berlin Hbf (tief)   03 Der Hauch von Damals   04 Souvenirüberlegungen   05 Max-Planck-Institut für Primatenforschung, Bereich Armaturenmethodik, Außenstelle Usedom   06 Tauchglocke und Insektenvielfalt   07 Die Hang-auf-Problematik   08 Urlaub am Meer und das Gold der Ostsee   09 … in Bildern

03 Der Hauch von Damals

Vor der Reise ist immer schon ein Teil der Reise. Das eigentliche Selbst eilt voraus, sich den Urlaub ausmalend wie er zu großen Teilen nicht sein wird. Gespannt auf das Gefühl sich in einem künstlich gewachsenen Ort der Bäderarchitektur zu bewegen. Kulissenhaft. Doch angenehmer als das was Orten am Mittelmeer in den 50er und 60er Jahren bettenburgisch angetan wurde. Als Wind-, Meer- und Regenbegleitung wurde Quicksilver von Neal Stephenson auserwählt, und die Erinnerung fliegt wieder voraus zu den Seiten der im Buch geschilderten holländischen Strandbegebenheiten. Das eine Damals hinter sich lassend in das davor und davor und davor reisend.

In Bansin selbst wird dieser Hauch dann natürlich nicht unbewußt und mühelos wahrgenommen. Zu sehr ist man damit beschäftigt sich dem widrigen Wetter entgegenzustämmen. Doch zieht man die Schrauben der Phantasie angestrengt an so sieht man sie, verschwommen zwar und immer nur kurz, die Vergangenheit … oder man macht es sich einfacher und schaut sich alte schwarzweiß-Postkarten an …

… in den Bahnhofsschildern die zurückhaltend in auf alt gemachter Schrift gestaltet sind, in den Bahnhöfen Ahlbeck und Heringsdorf mit schmucker Bäderarchitekturabwandlung in Backstein und galanten tiefgrünen Holzwartebänken, hoch gebogener Rückenlehne, Zeugen vom Reisen vergangener Zeit. Darin wie sich das Bild aller Usedom-Orte vom Bahnhof herunter kommend 2 Querstraßen vor dem Meer jedesmal von einer normalen nicht auffallenden Ortschaft in diesen alten Glamour im Kleinen wandelt, sich von, Verzeihung, öden Ortschaften wie sie auch in Sachsen oder Bayern zu finden sind, von denen man lange nicht ahnt dass sie am Meer liegen, geschweige dass sie sich kurz vor Meeresbeginn städtisch herauszuputzen gedenken, und in der Bäderarchitektur unwirklich aufleuchten.

Erwähnt sei dass diese creme- und weißfarbene Architektur natürlich nur vor einem gewittrigem Himmel richtig aufleuchten kann.

Es geht die Bergstraße in Bansin wieder hangaufwärts und von der Hanglage werden zwischen den Villen die ersten Blicke auf die graue See erhascht. So weit. So groß. Man fühlt wie sie für diesen Ausblick aus Berlin angereist sind, um auf ihre Bedürfnisse erbaute Unterkünfte vorzufinden. Wir erreichen die Villa die unsere Wohnung birgt. Das Treppenhaus begrüßt mit einer Sammlung historischer Postkarten, roten Treppen und auf jeder Etage blitzt in Grüntönen spielend die Jugendstilbeglasung der Vortüren auf. Das Apartment ist gemütlich und gediegen schlicht gehalten. Holzdielen, helle Bemöblung. Bad mit Fußbodenheizung und geschickter Lichtfensterleiste zum Tageslicht des Schlafzimmers.

Die Strandpromenade entlang, die Ort um Ort planmäßig miteinander verknüpft, auf der einen Seite Villa an Villa, umgeben von weitläufigen englisch unblumigen Rasenanlagen, sich ein immerzu wiederholendes Bild. Und nach kurzer Spazierzeit setzen auch die Namen der Villen wieder von vorne ein. Zum Meeresstrand, Henriette, Ilse, Charlotte, Vera, Aurora, deutsche Höfe und Germania. Kurzes unangenehmes Flackern. Zu unbedachte Restauration des Damals-Hauchs. Alle nie weiter als einen kurzen Weg vom Meer entfernt.

Auf der anderen wechselt sich der Blick aufs Meer über die Dünen hinweg ab, mit Birken, Kiefern und Findlingen, Zeugen der Eiszeit, und barackenartigen Zusammenrottungen noch unbesetzter Fischbratbuden, Zeugen der Hochsaison, bis er sich in die nächste Kursiedlung hinein weitet. Die nächste Seebrücke mit unspektakulärer touristischer Ablenkung harrt. Und im wetterbedingt schnellen Vorbeigehen blitzt kurz das Flanieren von Damals auf.

Zauberhaft mag es sein, wenn einem dazu die Sonne scheint. Gejagt von Wind und nasser Luft begibt man sich flüchtend ins Restaurant der Seebrücke Ahlbeck mit immerhin erahnbar historischem Ambiente und behaglichem Ausblick auf die nassgraue See. Auf dem Seesteg setzt Möwe um Möwe im Fang des Windes mit immer dergleichen Technik auf. So belebt sind die Holzgeländer und Laternenköpfe vom Möwenvolk dass sich die Frage stellt, was die Möwen gemacht haben bevor ihnen die Menschen ansprechende Sitzgelegenheit über dem Meer verschafft haben.

Gestärkt durch typisch ostseeische Tapas eilen wir die Strandpromenade zurück. Es zieht weiter zu, wird neblig. Wetter kann immer noch schlechter werden. Diesig, nieslig und die Strandpromenade ist voller Seebadtouristen die zwischen den Bädern auf dieser Kurzubringerstraße eilig hin und herwuseln. Dabei jeden Anschein angestrengt meiden das Wetter trübe diesen wundervollen Spaziergang an Villen in verschiedenen Stadien der Renovierung oder Neubauten in nur teils gelungener Neuinterpretation des Bäderarchitekturstils in Glas und Stahl statt Holz, Zierelement und weißer Tünche vorbei. An Baustellen, an Bäumen. Im Park zu Heringsdorf wird bunter Singvogel gesichtet, der Zuhause eingeordnet und bestimmt werden will. Glänzend dunkelgrüne Schwungfedern, roter Bauch. Vom Gefühl her würde ich ihn Dompfaff nennen.

Und weiter unter Meeresrauschen, dem hämmerndem Lärm der Baustellen, Möwengekreisch, Kiefernduft, feuchter Luft und immer wieder ein nicht einzuordnender unangenehm säuerlicher und metallischer Geruch. Vielleicht auch besser nicht zu wissen von was er herrührt. Dieser Hauch.

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