Expedition langes Eiland | 24.05 bis 2.06 | III

ein unmöglicher Forschungsbericht fantasiebegeisterter Dilettanten

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Sonntag. Ich erwache wie gewohnt früh, leider als einzige, meine Mitreisenden liegen noch in der Umarmung des Schlafs. Hatte eigentlich erwartet den unermüdlichen Institutsleiter im Aufenthaltsraum, mit seinen Aufzeichnungen beschäftigt, anzutreffen. Regen hat nachgelassen, Himmel immer noch grau doch lichtig durchsetzt, sieht noch freundlicher grau verhangen aus als gestern, Bebauung immer noch Backstein, Gartenvögel zwitschern fidel von den Büschen, nur hin und wieder fliegt das Gekrahh einer Möwe darüber. Es zieht mich zum Meer, doch die strenge und unmißverständlich verfasste Instituts-Etikette verlangt dass der erste Gang dorthin gemeinsam unternommen wird. Nähere mich fast gefährlich bereits dem ersten Forschungsziel: Untersuchungen zu Entstehung, Verlauf und sich daraus entwickelnder Auflösungsstrategien der Langeweile (österr. Fadesse) beim Homo Sapiens. Durch das Festhalten der gestrigen Anreise kann ich der Langeweile gerade noch entrinnen. Rollkoffergeräusche schieben sich in meine Aufmerksamkeit, vermeine seit Stunden nichts anderes zu hören. Was für ein Getummel. Werde wieder müde. Höre ich von hier das Meer rauschen oder entspringt dies meiner schläfrigen Phantasie? Man spricht hierbei wohl von fantastischem Gehör.

Etwas später. Begeistere mich gerade darüber dass unsere Ferienunterkunft in der Raumaufteilung an die Räumlichkeiten eines alten Weltumseglers erinnert. Vom Aufenthaltsraum führt eine freie Holztreppe nach oben in die Kapitänskajüte, von den dort angrenzenden Zimmerchen hat man mittels großem Guckfenster einen weiten Blick über die Ansiedlung gen Meer, auch der Aufenthaltsraum ist an einer kompletten Seite mit Panoramafenstern eingesäumt. Ein bisschen wie Zehn Vorne auf der Enterprise. Von hier gelangt man auch zu unseren Kojen, separater kleiner Küche und Waschzelle. Die Eingebung zu dieser Vorstellung gesellte sich zu mir, da endlich meine Mitforschenden ebenfalls erwacht sind, und im Aufenthaltsraum wildes morgendliches Getummel rund ums Frühstück einsetzte. Mit einem fidelen Geist, der so kurz nach dem Aufstehen sicherlich dieser vortrefflichen Luft zuzuschreiben ist. Der Institutsleiter war wie immer voller Tatendrang und stand unbewegt in der Mitte all dieses Trubels, verkündete er ist so voller Ideen, er müsse sie alle gleichzeitig umsetzen, und entschwand über die bereits beschriebene Holztreppe nach oben, an Deck, unseren Blicken, wobei zuerst sein Kopf dematerialisierte, dann sein Oberkörper, so dass nur noch seine Fortbewegungsmittel (lat. pedes) zu sehen waren, und schließlich auch diese sich unseren Blicken entzogen.

Institutsleiter und Kartographin sind bereits nach dem ausgedehnten, opulent zu nennenden, Frühstück mit Kompaß und Kamera losgezogen um erste Terrainsondierungen vorzunehmen. Inzwischen hat sich ein fröhlich Versteck spielender Himmelskörper über den zwitschernden Kleinstvögeln eingefunden, und sendet hie und da wärmende Strahlen durch die frische Bö. Der Abenteurer klappert gerade mit der Badtür, und wir werden uns sogleich am nicht vereinbarten Treffpunkt zur Lagebesprechung des Tages einfinden. Hoffentlich gelingt es dem Abenteurer unser Bugfenster wieder ins Lot zu bringen, dass ich durch eine mir nicht mehr nachvollziehbare gleichzeitige Kipp- und Aufziehbewegung ausgehebelt habe.

Dem Abenteurer gelang wieder einmal mit links das Unmögliche. Er schloß das Fenster, bevor ich ihm noch von dem Maleur berichten konnte, und behauptete es wäre kein Problem gewesen. Er hätte einfach den Griff benutzt. Nicht dass ich dasselbe bei meinem vergeblichen Bemühen nicht auch versucht hätte und überdies mit meinem messerscharfen wissenschaftlichen Verstand sämtliche Pinökel und Einrastmechanismen und ihre derzeitige unverrückbare Position untersucht hätte, und festgestellt habe dass sie unabwendbar verformt sind.

Wir brechen nun auch gen Meer auf, gewaltiger Wind pfeift uns auf dem Weg durch den Ort entgegen, vermumme meinen Kopf immer weiter gegen das Element. Freund Wind, da ist er wieder. Der Weltumsegler. Der der die Welt umspannt wie ein einziges Wesen, und doch besteht er aus vielen. Wir treffen den Institutsleiter und die Kartographin westlich des Wasserturms auf einer Bank in einer windgeschützten Kuhle.

Strandspaziergang. Wind, weiterhin unaufhörlich viel Wind, doch er scheint mir beinahe sanfter als im Ort, vermutlich weil er hier mehr Auslauf hat. Von der Düne herab sammelt sich zusehends Sand zwischen den Zähnen, der Wind tut sein sandkornminuitiöses Werk wie seit Anbeginn der Langeoogzeit. Korn für Korn wird von Meereshöhe nach oben geweht und an einem temporär vorbestimmten Platz auf der Düne platziert.

Es knirscht in den Zähnen. Wir lassen uns vom Wind treiben. Der Meeressaum ist schaumig wie eine dekadent gefüllte Badewanne. Verschiedene Tangsorten, Muschelgeröllfelder, wenige, vereinzelte Steine, die nun sämtlich vor meinem Mikroskop liegen. Flint, Basalte, Granit, Gneise und Knarze. Wenige Steine, doch darunter möglicherweise ein sehr seltener Albit-Felsit-Porphyr, auch wenn mein geehrter Kollege die Fehlmeinung vertritt es handele sich um weitaus weniger ungewöhnlichen Feuerstein. Ein belebender Diskurs! Am Meeressaum sind kleine Zwerge mit dem Abbau des Schaums beschäftigt.

Wieder in unserem Lager. Gewärmt von heißem Sanddornsaft mit Rum.

»Bei fortgeschrittener Alteration magmatischer Gesteine kann es unklar sein, wie der beobachtbare Mineralbestand zustande gekommen ist. Das Gestein könnte auch einer grünschieferfaziellen Regionalmetamorphose unterworfen gewesen sein.« (Roland Vinx, Gesteinsbestimmung im Gelände, S. 160)

Toll. Diesen Satz möchte ich mal von mir geben, wenn ich einen Stein in der Hand halte und sich bewunderndes Publikum vor mir befindet. Fachwortschatz ist alles. Während sich alle zur Mittagsruhe gelegt haben, wälze ich die Bücher des Institutsleiters auf der Suche nach Erkenntnis. Wie Freund D. sagte, es ist dieses Gefühl durch äußere Vorbedingungen dem Wissensstand anderer unterlegen zu sein, hinterherzuhinken, zum Beispiel durch eine spätere Geburt, Jahre verloren, unaufholbar in gewissem Sinn, das mich antreibt.

Zweiter Strandausflug, nach Norden. Seenotbeobachtungsstation. Erörterung der Entstehung der Doppeldüne. Und am Meer ist es wie damals … es liegt weit zurück, unermüdlich pfeifender fegender Wind, die Lauffläche elastisch doch fest, Prile. Institutsleiter entdeckt lebende pulsierende Qualle in einem der Prile. Einzelgängermöwen sitzen in der Weite. Diese Weite. Gewaltige Minicanyons und andere Sandlandschaften sind entstanden. Ich kann dank meines Schuhwerks einfach hindurchwaten, sehr vorteilhaft da ich mich zum Springen nicht so gut eigne. Institutsleiter und Karthographin setzen in einem gewaltigen Sprung über. Eine Schaumprobe wird genommen.

Rückweg, mutmaßlicher Sanddorn im Hagebuttenmeer (Anm. d. Verf.: tatsächlich handelte es sich um Sanddorn im nur gemutmaßten Hagebuttenmeer. Das erklärt auch warum auf der Insel keine Hagebuttenerzeugnisse vermarktet werden). Beobachtung auffallenden Verhaltens eines Austernfischers in einem Garten.

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