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Doom over Leipzig | 15.04.16 | UT Connewitz

Regennasses Sonnenleuchten funkelt in den Bäumen eines sonnigen Aprilabends. Am Hauptbahnhof besteigen Graf Dracul und seine hochgeschätzte Gattin Linie 11. Am Himmel vereinzelte tiefblaue Wolkenflecken auf weißem Flaum.

Addaura. In den vorab gehörten Soundcloud-Beispielen sehr anschmiegsamer Krach. Live sehr lauter Krach. ::: Thaw erfreuen mit polnischem Soundcheck. Im Stück bleepst, klackerts, hämmerts und driepst es gehörig, und all das bleepsen, hämmern, driepsen und klackern wird immer mal wieder von homogenen Lärm zugedeckt. Rotes Stroboskopleuchten scheint träger als andere Wellenlängen. ::: Dead to a dying World im Soundcheck. Der Sänger grölt in sein Mikrofon. Danach überwuchtet ihn die kleine zierliche Sängerin mit ihrem Schrei, bei dem man sich instinktiv nach Deckung umsieht. ::: Cult of Luna …

… M.O.N.D. Das bedeutet Luna. Die Bühne ist zunehmend in lunaren Nebel gehüllt, den langsam ein bläuliches Leuchten durchdringt. Die aufmerksame Seele ist an einem Ort angekommen an dem sie verweilen kann. Sternengefächerte Lichtstrahlen zerdrehen die Bühne, im Wechsel mit wirbelnden Lichtkegeln. Und die Musik gleitet hindurch, und schwappt heran an die Gestade der Müdigkeit. So müde wie in den Zeiten von Isis …

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Laura Mardon ::: Walt Hamburger ::: Yotam ::: Joey Cape | 31.03.16 | Werk II D

This life is strange. It steals away | Attained to wealth and wisdom | Misread in fatalism | This life is strange. A measured mess | Of miles ran and junk possessed | This life is strange. It fails to entertain | A vain attempt. The dull escape. || Joey Cape, This Life is Strange ||

Vier Menschen mit goldenem Herzen und Gitarre auf der Bühne. Laura Mardon mit leuchtend seidiger Stimme und Melodik. Walt Hamburger mit durchschlagender Verve und ungestümer Frohnatur die sich in meist selbstbewitzelndem Humor äußert. Yotam Ben Horin mit Texten von denen viele im schönen Zwischen der Vergänglichkeit des Lebens angesiedelt scheinen. Und Joey Cape, der Mann der eines der traurigschönsten Alben voll Erkenntnis und darin eingehülltem Lebensglück geschrieben hat, in dem sich Worte, Musik und seine Stimme zu etwas verbinden, dass sich unmittelbar, wie durch einen Regentropfen verzerrt und vergrößert, wie das Leben selbst anfühlt.

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Nick Hudson ::: Toby Driver ::: Radare | 12.03.16 | Tipi

nicht in der black lodge. im tipi.

die black lodge ist kein ort in unserer wirklichkeit.
menschen in einem raum den es nicht gibt.

Ein Nachmittag in lustigem Grau. Samma eh aus Wien zu Besuch. Der Hafen. Grafik. Huhu. Hi. Ton. Backstein. Das Wort Posthipster wird geprägt. Postdylan. Postbote. Plagwitz. Fotokabine. Digger Barnes ernstzunehmendes Antlitz von plakatierten Häusermauern. Und danach eh ins Zest. granny smith sweetpotato fritter / sorrel sour cream / chipotlé tofu [spicy] / grilled guacamole . port wine tofu pakoras / sundried tomato polenta roulade / baked eggplant cream and marsala reduction / cima di rapa in kalamansi garlic butter . hazelnut rosemary loaf / caramelized onion and brandy cream / king oyster mushroom ragout with sansho pepper / salad out of baked »la ratte« potatoes and baby carrots, avocado oil, basil and lime . Schnecken. Raspelzunge. Laufen. Kreuzung. Autos. Straßenbahn. Wird eh Zeit. Abgeholt. Eh wieder Plagwitz.

Unser Informant ist ein blinder Bär. Wir folgen seinen Hinweisen. Nach kurzem orientierungslos verlorenem Treiben finden wir schließlich den Zugang ins Tipi. Das kleine Rechteck des Tipis wird durch einen farbprächtigen Teppich und zwei holzwirkenden Metallpfosten eingesäumt. In das Tipi wurden zwei Schlagzeugsets gepfercht, Tasten, ein Stuhl, gerade so. Orgel, eh eng. Die Verständigung zweier Menschen in derselben Sprache beruht, abgesehen vom Gesagten, auf dem Vorgang des Hörens, und der darauffolgenden Verarbeitung des Gehörten im Gehirn. Das störungsfreie Funktionieren dieses komplexen Zusammenspiels bei der Vielzahl an plastischen Synapsenverbindungen is eh Wunder. Zumal wenn es sich um nicht wahrnehmbar verschlüsselnde Sprecher handelt.

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The Dead South ::: Max Paul Maria | 18.11.15 | Die Nato

blue grass. the canadian blend. Banjo! Bier! Bärte!

Wir begeben uns in den lebendigen und fruchtbar von blauem Gras bewachsenen Süden Leipzigs. Auf der Veranstaltungstafel über dem Eingang der Nato sind die Buchstaben The Dead South befestigt. Daneben parkt ein Van mit offener Seitenschiebetür. Davor zwei herumalbernde Bandmitglieder die eine Art Froschgejaule von sich geben. Unser Weg scheint in letzter Zeit sehr oft in die Nato geführt zu haben. Man wähnt sich von lauter bekannten Gesichtern umgeben.

Vorband. Kräftige und sympathische Stimme, Wechsel auf e-Gitarre bringt schrägere und wildere Töne zum Vorschein. Junge Regenwölfe balgen sich unbändig. Hauptrolle in einer der vielen Geschichten die die Band später zwischen den Stücken erzählen wird. »Max driving the car on tour and sometimes comes this wonderful string of german words out of his mouth. That’s the words I wanna learn. Obviously the good stuff.« Bleibe eine Weile verehrend an der Formulierung wonderful string of words hängen.

On Stage. The Dead South. Aus Regina, Saskatchewan. Nate Hilts, Scott Pringle, Colton Crawford, und auf dieser Tour Erik Mehlsen. Ein stromzerfetzendes Zerstörgeräusch zu Beginn. Im Cello steckt Bass! Hochfrequent plektrierende Klänge aus der Mandoline. Vubrierendes Streichen aus dem Cello. Banjo! Bier! Bärte! Der Hauptsänger Nathaniel Hilts erinnert an eines der drei Musketiere in einer jahrzehntealten Verfilmung. Ausplingende Akkorde auf der e-Gitarre. Hüte! Die Harmonie. Der Gesang! Ein kleiner Bach fließt über kiesige und sandige Untergründe. Oder offenbart die nicht übersüße Milde eines recht feinen Whiskey-Likörs. Dazu der herbe Bassklang aus dem Cello. Harsch. Scotch. Soul. Blues. Das Schnippen. Pfeifen. Kehlkopfhohes Backquoir-Summen, reißende Saiten. Die Show! Der Style! Die Bewegungen, der Tanz, Stomping, Foot Drum. Musik die immer in Bewegung bleibt, selbst wenn sie für einen Moment stillsteht, einfriert, leise wird. Verstummt. Good Company. Gäbe es nur ein einziges Lied auf Erden und wäre es dieses, so wäre es in Ordnung. Auch wenn es dann that Bastard Son nicht gäbe. Es wird das berückendste Cover von Rising Sun das je existierte gegeben. Gezupfte Saiten. Unheilvoll vibrierende und dräuende Mandoline. In einem Zugabe-Lied das etwas Russisches in sich trägt und dies in Hei-Rufen übers Publikum verteilt, steckt sogar ein klein wenig Humpa. In einem anderen verschichten sich die an drei Instrumenten gezupften Saiten zeitlich vertaktet zu einem grandios benebelnden wie berauschenden Effekt. Cello Folks!* Band Humor.** Das Bild wie sich drei Bärte neugierig über das Mandolinensolo beugen. Erstaunen der Band. »room full of people«. Freude des Publikums. Konzertbesucher neben mir bestätigen sich glücklich: »Das war einwandfrei.«

Es ist Musik die die Geselligkeit der menschlichen Natur feiert und auf diese Weise leuchtend froh und unbeschwert macht. Musik die von Anbeginn aus so vielen Einflüssen zusammengeflossen ist, dass sie immerzu weitere in sich aufnehmen kann. Und schließlich als weiter Strom in den Ozean gelangt.

* Cello, im Auslaut homophon zu Hello

** In diesem Zusammenhang scheint es sinnvoll auf die x-file-Biographien der Bandwebsite zu verweisen, dort mit dem Cellisten Danny Kenyon

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Chelsea Wolfe ::: A Dead Forest Index | 8.11.15 | UT Connewitz

The Dead Forest Index zimmern allein mit Schlagzeug, e-Gitarre und dem klaren oft radiohead-driftenden Gesang des Sängers Adam Sherry einen beeindruckend filigranen, dichten und intensen Klangraum. Es ist bereits der Raum in dem Chelsea Wolfe weiterspielen werden. Düsterer. Elegischer. Bombastischer. Dröhnender.

Zu The Dead Forest Index zu spät zu kommen und so nur noch drei der Lieder zu hören ist also nicht wenig ärgerlich. Aus lauter Frust darüber habe ich inzwischen die Bandcampseite so oft rauf und runter gehört, dass ich bis auf das Harmonium-Stück von keinem mehr weiß, ob es live gespielt wurde oder nicht. Und die zwischenzeitlich zurückgekehrte Erinnerung vor Wochen schon einmal hinein gelauscht zu haben, und sich gedacht zu haben, ei was für eine feine Vorband, schmerzt in etwa so wie nach einem Urlaub alles getane Fotowerk vernichtet zu sehen. Positiv ist hingegen zu vermelden dass sich die Musik von A Dead Forest Index hervorragend als Tröster jeglichen Seelenschmerzes eignet. Überirdisches sanftweiches Licht flutet das Ich und breitet sich durch die oft sakrale Minimalistik der Stücke weiter aus. Der Gesang hin und wieder mehrstimmig, also zwei, unterlegt, schwirrt und flimmert eigenwillig. Dagegen halten das in verhaltener Dynamik eingesetzte Schlagzeug und die zauberhaft retroklingende Gitarre die Verbindung mit dem Jetzt. Und nicht erst als der Klang des verborgenen Instruments im letzten Lied an Miss Aunes Blasebalgstandakkordeon — auf der UT-Seite wird auf Nicos Harmonium verwiesen — erinnert, steigt derselbe unwirkliche Nebel auf wie damals und umhüllt das gebannt lauschende Publikum.

Der Schlagzeuger heißt btw Sam Sherry und sollte es sich bei den beiden nicht um einen verbrüderlichten Künstlernamen handeln, so mag jeder Meier, Müller und auch Schmidt auf derart so klang- wie geschmackvollen Nachnamen neidisch schielen. Ich jedenfalls bin hervorragend eingestimmt und bereit für Miss Wolfe.

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Marilyn Manson, Karl Monrock, Morilyn Marson et al. | 6.11.15 | Haus Auensee

Der Abend beginnt mit einer mysteriösen Begebenheit am Bahnsteig, Leipzig Hbf. Nicht nur mit jemanden aus Berlin auf den Berlin-Zug zu warten, der jemanden aus Leipzig nach Leipzig bringen soll, nein, der Berlin-Zug ist auch noch, relativ bezogen auf die erwartete Person, leer.

»Don’t look behind you, l’inspecteur is ahead of the times«

Aus der Straßenbahn nach dem bewährten Schema »blind der Menschenmenge folgen« an unser Ziel gelangend, treten wir in die unteren Räumlichkeiten des Haus Auensee ein. Der Türwächter nimmt, kurz abgelenkt, unsere Eintrittsbillets nicht in Augenschein. Es ist unheilvoll voll. Spätere Recherche in einem Bericht einer Lokalzeitung liefert die Zahl 3 300 dazu. Man füge eine dritte Drei an und nehme mal zwei …

Auf der Suche nach den bereits vor uns eingetroffenen Freunden gilt es weiterhin einen äußerst rätselhaften Hinweis der über das Kurnachrichtensystem eingetroffen ist zu entschlüsseln. Mittig, eher links, auf der drittletzten Stufe. Stufe? Seit wann gibt es hier Stufen? Das nicht einordenbare der Nachricht ignorierend, seit je bewährtes Mittel menschlicher Wahrnehmung, begeben wir uns in den mittigen, eher links befindlichen Teil des Saales, um bei einem Blick zurück über uns die Empore zu erhaschen. Die Empore, ach na klar, wir hatten uns ja beim abgesprochenen Bestellvorgang auf Emporenkarten verständigt. Zumindest ein Teil von uns. Und so sehen wir uns dem das Emporen-Parkett-Dilemma gegenüber; eine 50%-Verteilung von vier Karten; es ist eines jener Dilemmata, die nur, und einzig, von der noblen Geste eines Gentleman gelöst werden können, dabei selbstlos in unmittelbarer Nähe einer späteren Schlägerei und eines halbnackt beleibt schweißfilmnass tanzenden Briten verbleibend. Und so ersteigen kurze Zeit später zwei kurze Damen die Außentreppen zur Empore um sich der erhabenen zweiten Konzertbesuchsgruppe zuzugesellen.

Oben auf der Empore ist es aufgrund des aus dem unterem Deck aufsteigenden Eisnebels ein Gefühl wie auf dem obersten Deck der Titanik, vielleicht nicht kurz vor dem Untergang, doch kurz bevor der Eisberg … bei dem Nebel kein Wunder, gerammt wird. Entgegen des zumindest schiffdecks angenehmen Klimas dort, erinnern die klimatischen Zustände auf dem Oberdeck der Auensee jedoch eher an ein türkisches Dampfbad.

Nach recht langem Warten zeigt ein Verdunkeln der rauchschwangen Bühne an, dass Marilyn Manson, dessen Name in einem akuten joyceschem Wahnfall im weiteren Verlauf einer beständigen Wandlung unterzogen werden muss, Twiggy Ramirez, als einziges weiteres Mitglied noch der ursprünglichen Bandnamenskonvention folgend, Paul Wiley und Gil Sharone bald die Bühne betreten werden.

Am Anfang war allein der Nebel. Es ist sehr wahrscheinlich dass schon zu diesem Zeitpunkt das bewusste Sein so neidvoll wie mitglücklich eine Fixierung auf die vier pylonartig aufragenden Dampfmaschinen erlitt, aus denen mit einem berückend satten Aufzischen zu dramaturgisch sinnvollen Zeitpunkten, und derer gab es zum Glück der Meinung des Inszenierenden nach augenscheinlich viele, dichte sicherlich einen Meter durchmessende Dampfsäulen gefühlt zehn Meter in die Höhe zischten.

Aus dem Nebel dringt eine Bandaufnahme, unbeschwert, 50er oder 60er, sanfter Rock’n'Roll? Etwas orgelt. Es wandelt sich. Nach und nach erfolgt eine vage Einordnung. Es ist eine Rede wie von einem Gospel-Priester, aber etwas biederer, konservativer, vielleicht, eher ein amerikanischer Wanderprediger, aus der Predigt dringt immer mal wieder etwas über die Wahrhaftigkeit des Satan hervor. Dann ein thematisch nicht unverwandter Wechsel zu Gangsterrap, plötzlich Klassik, Dampf, und dann der das Konzert einleitende Schrei des Meisters selbst, und hinter uns immer mal wieder ein kaum minder beeindruckendes Echo dieses Schreis. Man könnte sagen, der Auftakt, also durchaus, äh fulminant.

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Her Name is Calla | 25.10.15 | Nato

von Las Vegas . Nato . Rock’n'Roll …

Soeben noch mit Billy in Las Vegas und nun in der Nato während Rock’n'Roll unbeschwert aus den Boxen rieselt. Die Schilderung des fortlebend Vergangenen der Stadt im Buch setzt die Revue der mit der Nato verknüpften Konzerterinnerungen die bei Xiu Xiu begonnen hat von Neuem in Gang. Über allem, da auch der hinten hoch oben sitzende Blickwinkel der Sicht von damals so gleicht, das Konzert von Logh. Dieses so sonderbare Konzert bei dem jedes Lied auf eine Weise in das Nächste überglitt, dass niemand im Raum das Herz hatte durch Klatschen die konzertierte Stille zu durchbrechen. Doch etwas beklommen hat es sich angefühlt. Im selben Kontinuum stehen Jeniferever auf der Bühne, die ohnehin damals viel zu groß wirkte, als wäre die Übereinanderblendung von vornherein eingeplant gewesen, quetschen sie sich und ihre Instrumente zwischen Logh und deren Instrumente. Direkt daneben springen Menschen kreisformend wild berauscht mit Firewater um die Bühne. Und in der Ferne dahinter der Anbeginn, buntest funkelnde Lichterketten, so weit, nur verschwommen zu sehen, so dass sie dem Glutschein von flüssigem Eruptivgestein gleichen, ein plüschiger Gruß aus der Zeit, die Rockys.

Etwas benommen kehren die vom längsten Tag des Jahres der Müdigkeit besonders zugetanen Sinne wieder zurück und schnappen in dem Moment wieder in den Körper ein als sich auf der inzwischen von der Band eingenommenen Bühne an der E-Gitarre links ein sattes, durchdringend kreischendes Störgeräusch entzündet. Es ist nicht offenbar ob ungeplant oder integraler Bestandteil des Stückes, doch es wird ohne einen Wimpernschlag souverän in die tosend wilde Schönheit des ersten Liedes übergesetzt. Alles ist wieder wach.

… in die große Weite der Welt

Die Stimme des Sängers ist von der Art die den Zuhörer unmittelbar auf eine Anhöhe versetzt, rundum weite Steppen, Natur von atemberaubend wilder Schönheit über die die Stimme hinweggleitet, und sie ist untermalt vom begeistert krachvollem und ungestümen Einsatz der Instrumente, Gitarre, Bass, Violine und Schlagzeug, im Wechsel e-Piano und Banjo. Musik im landscape-Format. Mit der Stimme gleitet man mit über die vielschichtige Schönheit der Landschaft und des Seins, die laut durcheinanderwirbelnde Lebendigkeit sowie die scheinbar leere Weite einer symbolistisch gemalten Landschaft der Seele sind vereint … es ist Musik für die große Weite der Welt.

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Pianos Become The Teeth & Milk Teeth | 8.10.15 | 4 Rooms

Das Rauschen der Gezeiten wurde mir ins Ohr gesetzt.

I took the boat out on the lake, and I was okay,
need to get that feeling back, once in a lifetime, ripple water shine

but it’s a size I can’t teach

(ripple water shine)

Treffe mich bei ausgezeichnetem Konzertpilgerwetter mit dem pendelnden Kollegen A. an der Zentralstation. Der Regen ist von allerfeinster Nieselqualität. Das ausgeprochen humide Klima mag die Sound-Heimsuchung von der der Kollege aktuell befallen ist noch verstärken. Das rauschanschwellende Anbranden und wieder über den Sand fließende Zurückgleiten der Wellen des Nachtstrandes Nojas breitet sich wie eine Art beruhigender Tinitus durch seine Tage aus. Die Heimsuchung ist gelinde ansteckend. Wann immer sie im Gespräch Erwähnung findet, bauscht und schwappt es auch in meinen Ohren. Als begleitenden Unterton einen ganzen Ozean in unseren ohnehin größtenteils mit Wasser gefüllten Säcken, die wir Körper nennen, tragend, begeben wir uns also zum Konzert.

Die Vorband Milk Teeth ist live mehr Postrock und hardcore-Schrei als die Songs auf bandcamp vermuten ließen. Das erste Lied dort weckt immerzu die Erinnerung an das frühlingshaft leicht springende Punkgefühl von Dover. Das mag zum Teil an der stark verwaschenen Akustik des Raums liegen, in der die leitenden Melodien nur schwer herauszuhören sind. Die im Gegenzug aber, wie im nachhinein übereinstimmend festgestellt wird, das ebenfalls sehr zufriedenstellende Gefühl eines dreckig unperfekten Garagenkonzerts hinterläßt, dass auch durch andere räumliche Begebenheiten, zum Beispiel dass sich die Band auf gleicher Fußbodenhöhe wie das Publikum befindet, verstärkt wird. Manch einer würde ihr obgleich einen etwas erhabeneren Ort im Raum wünschen.

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Xiu Xiu plays the music of Twin Peaks | 1.10.15 | Die Nato

… the gum you like is coming back in style …

Twin Peaks naht. Es nähert sich durch das Wiedererblühen der heimischen Orchidee Phalaenopsis, durch das nächtliche Ambiente unserer Unterbringung in Mataelpino, voller Nadelbäume, die Gebäude scheinen alle aus demselben Holz wie das Real Great Northern Hotel, der Ortseingang wird von einem beeindruckenden Ortsschriftmonument geziert, und die Nacht hat diese besondere Konsistenz aus der die Log-Lady spricht und der Ruf einer Eule im Ohr wiederhallt. Es nähert sich durch die imposante Norfolktanne in Noja, die vor einem renovierungsgerüsteten kleinen Palacio steht. Und es nähert sich durch Xiu Xiu plays the music of Twin Peaks. Die dritte Staffel rückt nah.

Die Treppe. Der Deckenventilator.

Minutenlang gibt es nichts als das auf der Leinwand, und ein beinahe unter der auditiven Wahrnehmung liegendes dumpfes, fächerndes, waberndes Geräusch. Dann betreten Xiu Xiu die Bühne, ein metallischelektronischer Herzschlag wird an einem Gerät eingestellt und schließlich vom wunderbar klaren hellen Klang des Vibraphons, den klassischen Tönen der meist so sanft wie der Hauch des Namens Angelo Badalamenti gedrückten Tasten des Pianos, nicht näher identifizierten Störgeräuschfetzen, wuchtigen und distinkten Schlagzeugeinsätzen und dem ewig jung klingenden 50er-Sound der Gitarre umringt.

Das Set ist so variationsreich und dabei so durchdringend wie die Atmosphäre und Charaktere von Twin Peaks. Augenblicke die beinahe still zu stehen scheinen wechseln mit von einer wie entfesselt wirkenden Band dargebotenem hochflirrendem und kreischenden Hard Core, vermischen sich mit mal sacht schwebender und dann imposant donnernder Klassik am Piano, Blues und Jazz mit das Innere nervös verzerrenden, aus tiefer Kehle mystisch wabernden Gesangsdarbietungen von Jamie Stewart. Das alles ist durchsetzt von … in einem dunkel im Wald liegenden Eisenbahnwagon … geschmiedeten Geräuschsequenzen, und plötzlich scheppernd gewittrigen Schlägen auf die allen drei Xiu Xiu-Mitgliedern immer bereitstehenden High-Hats, dazwischen Phasen der Stille, der leise beruhigende doch unheilverkündende brummende Ton beim Blick in die Wälder.

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Steve von Till | 2.07.15 | UT Connewitz

Auf den Stufen eines kirchlichen Portals hat sich eine kleine Sippe Hominider zum Verspeisen ihrer soeben im Deli erbeuteten Abendmahlzeit niedergelassen. … äh, hier waren wir doch schon einmal?

Das Leben erbietet sich in Wiederholungen. Hin und wieder ist dies durchweg positiv. Der Reiz des Bekannten. Das Schwelgen in Vergangenem.

Das Konzert wird heute nicht mit einer Vorband, sondern mit einem Vorfilm eingeleitet. Kenneth Thomas’ Doku Blood, Sweat & Vinyl streift durch die Label Hydra Head, Neurot und Constellation und weckt verträumte Erinnerungen an vergangene Konzertabende. Neurosis natürlich, Isis, Godspeed You! Black Emperor und, mit tief mikrofonverstärkt brummender Katze, Thee Silver Mt. Zion. Und den Wunsch sich auch mit anderen Künstlern dieser Label endlich eingehender oder einmal wieder zu beschäftigen, mit Pelican zum Beispiel, Cave in, oder diese zu entdecken, wie bei hangedup.

Das Konzert selbst wird wieder einmal im Zwilicht zwischen glücklich halbhinwegdämmerndem Bewusstsein und plötzlich hochgeschreckter, hingerissener Konzentration verbracht. Man möchte noch nicht einmal das tiefsonore Brummen und die äonentief gelassene Ausstrahlung Herrn von Tills dafür verantwortlich machen. Es ist einfach schon spät. Draußen geht ein sommermatter Tag zu Ende. Hier drinnen ist es kühl und bestuhlt.

Die Musik ist sehr schlicht gehalten, meist wird der mit viel Stille zwischen den Versen vorgetragene Gesang nur mit einzelnen sachten Akkorden akzentuiert. Hin und wieder perlt sich eine Melodie aus der Gitarre und tanzt honigfarben um das Gehör. Und ab und an wird der Verstärker sehr weit aufgedreht, und mehrere Loopspuren erzeugen so etwas wie Neurosis light. In einem Lied wird etwas Schwung beigegeben. Zwischen den Stücken erzählt ein ausgesprochen wohl gelaunter Steve von Till etwas zu dem was war, und dem was sein wird. Und über all dem schwebt gottmächtig diese Stimme wie ein Lullaby.

Das aktuelle Album a life unto itself zum einhören gibt es hier.

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Faith No More in Berlin | 6.06.15 | Zitadelle Spandau

Ein überaschend geistunzerissenes Konzerterleben.
Eine joyce’sche Dialogtheraphie ist mitnichten notwendig.

Die tremolierende Klavierklangfront des Regenmachers der aufgrund des jüngsten Kollaborationsprojektes von Herrn Patton als Vorakt den Abend einleiten durfte ist soeben verklungen. Die nur wenige Tage alte und daher relativ umso überraschender klebrige Hitze ist zwar einer leicht wehenden Kühle in kleinen Gruppen aufziehender dunkelgetönter Cumulonimbuswolken gewichen, doch der Regen bleibt trotz der Bemühungen aus. Auch das mehrmalige frivolheitere Betonen von Herrn Sturm wie gut das Wetter sich halte, was beständig von Herrn Walte und mir niedergezischt werden muss, kann dem Himmel keinen Tropfen abwringen.

Während wir umgeben vom Backsteinmauerwerk der Zitadelle Spandau im dichtstehenden von einer Pappel, einer Birke und mehreren Kastanien prächtig grün gesäumten und hin und wieder von Schwalben und Enten überflogenen Menschenmeer links der mittleren Trennsperrung stehen, wird mir vornehmlich von Herrn Sturm, Herr Walte steuert ein paar Einwürfe bei, nochmal das emotionale Geflecht das Faith No More mit ihrer Fangemeinde verbindet im chronologischen Subtext der 90er näher gebracht. Als Nichtzeitzeuge kann ich es nun leider nicht so formschön, fundiert und durch die Kraft der eigenen Erinnerung im Glorienschein erleuchtet wiedergeben, doch dass in einer Zeit musikalisch sehr festgetretener Gleise im Metal- und Rockbereich Faith No More als eine der Neugründerväter des Crossover, mit energiefreisetzender Sprengkraft den ein oder anderen musikalischen Geist befreit oder gar erweckt haben, und daher bei sovielen eine geradezu überbandgroße Bedeutung erlangt haben, ist so offenkundig logisch, dass ich dazu nach dem oberflächlichen Studium vierer Alben in den vergangenen Wochen so einsichtig wie erkenntnisbegeistert nicken kann. Ich fühle mich nun bestens für das Kommende eingestimmt. Nichts mehr kann in Erstaunen versetzen, außer …

– als wir die Zitadelle betreten und zu einem kleinen Erkundungsrundgang zirkulieren, nehmen wir die Gelegenheit war, wenigstens einmal näher an die Bühne heranzutreten, später möchten wir gerne weiter hinten in einer ruhigeren Ecke Stellung beziehen. Es fällt auf dass abgesehen vom tiefschwarzglänzenden Konzertflügel alle Verstärkerboxen und sonstigen Konzertutensilien mit weißen Laken behangen sind. Ein Eindruck wie in beinahe jedem Jane Austen-Film wenn die Familie ihr Sommerdomizil verlässt und alle Möbel schützend von Bediensteten mit weißen Tüchern abgedeckt werden prägt sich der Vorstellung ein, und reißt zur Bemerkung hin dass Faith No More nun wohl in einem Alter sind, in dem auf den Mobilarbesitz besser achtgegeben wird –

… dass die weiße Belakung nun in Vorbereitung des Konzerts von zahllosen ebenfalls weiß betucht gewandeten Roadies dienstbeflissen durch endlos hereingetragene bunte Blumenarrangements, vornehmlich kelchige Doldenblüter, die in weißen Balkonkästen stecken, ergänzt wird, und sich die ganze Bühne in einen überirdisch weißleuchtenden New Age Flower Tempel verwandelt – eine unerwartete Wendung, mit jedem hereingetragenen Balkonkasten wächst das Erstaunen sowie die Freude über diesen amüsant transzendentalzitierenden doch gleichzeitig kitschig schönen Anblick. Als würde nun gleich eine Erleuchtungszeremonie stattfinden.

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Two Inch Astronaut ::: La Dispute | 1.06.15 | Conne Island

I want to write it all down so I can always remember.
(la dispute, king park)

Gießender Regen. Ausgezeichnetes Wetter um zu einem Konzert zu pilgern!

Und so hole ich Kollegen A. im Institut ab, jegliche Schlafdefizite werden negiert, bzw. sollen durch kühle Getränke ausgeglichen werden. Nicht bedacht, aber nicht minder bedeutend für die wachaufmerksame audielle Rezeption werden natürlich die Variablen 01 Lautstärke und 02 Seniorenstehplätze sein.

Der Hof zwischen Café und Konzertraum ist voll plaudernd wartender Menschen, der Regen hat leider nachgelassen doch Luftfeuchtigkeit und -temperatur sind noch durchaus angenehm zu nennen. Eintrittskarte, Getränke, kurzes Warten. Es ist 21 Uhr und lobenswerter Weise beginnt das Konzert der Vorband pünktlich.

Bei der Gestalt des Sängers scheint es sich um einen Zeitreisenden zu handeln. Wir kommen nicht umhin zu erkennen, dass es sich bei ihm um den zukünftigen Sohn von Don Martin und Miss Pili handelt. Die Alternative wäre, dass wir selbst in der Zeit gereist wären, was in gewissem Sinne, vorwärts, natürlich auch fortwährend geschieht. Oder haben wir den Planeten unwissentlich zu einer längeren lichtgeschwinden Reise verlassen?

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Nils Frahm | 27.04.15 | Schauspielhaus

Freizügig plätschernder Regen begleitet uns zum Schauspielhaus. Nach kurzem Auswringen, Garderobenabgabe und an die plötzliche nicht unwillkommene Trockenheit Gewöhnen weiter zum Einlaß, wir sind etwas spät, doch wie meist, belohnt das Leben genau diejenigen. Die Ränge sind geöffnet! Durch das Hintertreppenhaus geht es hinauf, immer weiter hinauf und wieder hinab in die erste Reihe. Ganz oben im Eingang kurz ein schwindelnder Eindruck, die Bühne liegt weit unten, wie am Grund eines Brunnens.

Der Blick wird als erstes von drei etwa zweimeterhohen kastigen Holzobjekten gefangen. Sie stehen links auf der Bühne, an ihren Seiten sind elektronische Blinkerapplikationen montiert, die flackernd rot und grün … blinken. Die ineinenandergedrungenen nach oben strebenden Formen, die Schachtigkeit der einzelnen Elemente der Kästen wirken wahlweise wie die Orgelbauteile, die sie auch sind, hätten sich aber auch ganz hervorragend auf dem Set der Original Enterprise ausgemacht, als einer der vielen fehlgeleiteten Supercomputer, die Captain Kirk in den Wahnsinn quatscht um Welten zu retten. Desweiteren kann man sich die nicht allzulange Wartezeit damit vertreiben Tasteninstrumente zu zählen. Insgesamt sind es acht. Der Flügel. Der mit der Orgel verbundene dreier-Turm, mit dem zuunterst liegenden Melotron, auf dem drei wertgeschätzte mit Nils Frahm bekannte Damen ihr jeweiliges musikalisches Talent auf immer per Tastendruck abrufbar auf Tonspur gebannt haben; Gesang, Cello, und irgendein Horn soweit ich mich erinnere. Unter der monströsen Schalt- und Drehknopftafel zwei weitere. Und daneben stehend noch ein zierliches aus Holz, das wie die mit einem befreundeten Orgelbauer zusammengeschraubte Orgel selbst gezimmert ist.

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Wovenhand | 18.04.2015 | UT Connewitz

Auf den Stufen eines kirchlichen Portals hat sich eine kleine Sippe Hominider zum Verspeisen ihrer soeben im Deli erbeuteten Abendmahlzeit niedergelassen. Wir wollen sie nur von Ferne beobachten und ihnen lieber nicht zu nahe kommen. Sie sprechen nicht. Ein jedes Angesicht ist tief in das die Speise umgebende Wachspapier versunken. Andächtig schmatzende Stille. Auffällig ist auch dass sie sich in relativ großen Abstand zueinander gesetzt haben, aus noch zu untersuchenden Gründen. Futterneid? Angst besudelt zu werden? Wunsch in gewissen Situationen im Leben ganz für sich allein zu sein? Ein wenig von alledem? Wie dem auch sei, es scheint eine geradezu zeremonielle, wenn auch unbewusst getroffene, Entscheidung, die sich tief mit Bedeutung aufladen läßt, eine Art leibliche Kommunion im Vorfeld der unmittelbar bevorstehenden – ein schmiedeisernes Kreuz an einer Halskette blitzt auf – Geistigen. Denn die vier Hominiden werden gleich beobachtet werden, wie sie – eine bemerkenswert fortgeschrittene Kulturtechnik – die Überreste ihres Mahls feinsäuberlich in den Futtertüten zerknüllt verstauen und sodann in einem nahe beistehenden Blecheimer verwahren, um dann …

… einem ihnen heiligen Platz im städtischen Steindschungel zuzustreben, an dem sich bereits viele andere ihrer Art versammelt haben. Es ist ausverkauft.

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The Devil Makes Three | 5.04.15 | Conne Island

MischionSchwabnWaschBieten. Spanische Schwaben über Ostern in Leipzig, zum Glück hat die Informantin gerade für diesen Samstag vor wenigen Tagen ein weiteres Konzert inseriert, und so begeben wir uns, vom konzertausgehungerten Don und seiner Verlobten chauffiert ins Conne Island, um — hier ist es vor allem der Band selbst wichtig vom Country zu differenzieren — Bluegrass unsere Beine umwippen zu lassen.

Die Fahrweise des Don soll hier mit fünf Adjektiven umrissen werden. Miss Pili beschreibt sie vorsichtig mit 01 gut. Weitere Adjektive stehen zur Diskussion 02 schwungvoll 03 vor Lebensfreude sprühend 04 überschwenglich 05 aahhhhhhoohneinwaahhhhh … wobei die Hinfahrt weniger Gelegenheit zur Bewunderung bietet, als die Rückfahrt durchs engbeparkte Waldstraßenviertel.

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